Ein brüchiges Bündnis
Wer Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“gesehen hat, wird die Szene nie vergessen, in der die beiden rivalisierenden Diktatoren versuchen, ihren jeweiligen Friseurstuhl höher als den des anderen zu stellen. Ein einprägsames Bild, das einen Teil der Beziehung zwischen Hitler und Mussolini satirisch wiedergibt. Es gibt allerdings auch andere Bilder: Einige Stunden nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 empfing der verwundete und traumatisierte „Führer“den Duce. Zwischen Schutt auf Kisten sitzend, monologisierte Hitler ungeachtet seiner üblen Verfassung, seiner Gewohnheit entsprechend, über die Weltlage.
Der einige Monate vorher von einem SS-Kommando aus der Gefangenschaft befreite Mussolini, dem Titel nach Regierungschef der „Italienischen Sozialrepublik“, tatsächlich Statthalter jenes Teils Norditaliens, den die Alliierten noch nicht besetzt hatten, versuchte währenddessen verzweifelt, dem längst in eine Traumwelt entschwundenen Hitler die Realität der eigenen Schwäche zu vermitteln. Und so standen nicht nur zwei Gescheiterte am Rand des Abgrunds, es war auch ein multimedial aufwendig illustriertes Narrativ zusammengebrochen: die Geschichte von den zwei Freunden, die der gleichen Ideologie anhängen und gemeinsam die Welt verändern würden.
Hitler war die treibende Kraft bei der Produktion des Narrativs – nicht erst nach der „Erlaubnis“zur Annexion Österreichs durch Mussolini wollte er mit diesem „durch dick und dünn“gehen. Die Ereignisse machten ihn zum Gefangenen des Kultes um den Duce, doch ungeachtet der öffentlichen Meinung in Deutschland, die Italien für das Ausbleiben des „Endsiegs“verantwortlich machte, verteidigte er Goebbels gegenüber Mussolini als „wirklichen Mann“– die Schwäche seines Partners hat er erst nach dessen Sturz erkannt. Mussolini dagegen hatte schon 1937 gegenüber seiner Geliebten Clara Petacci prophezeit, dass, wenn einer fallen würde, der andere folgen müsste.
Nach außen hin hatte diese persönliche Beziehung die Grundlage der „Achse Rom– Berlin“gebildet. Die Achse war politisch wichtig – populär war sie nicht. Die deutschen Nationalsozialisten hatten den italienischen „Verrat“1915 nicht vergessen, die deutschen Militärs zweifelten an der Ausrüstung und der Einsatzbereitschaft der Italiener. Das Südtirol- und das ÖsterreichProblem standen zwischen den beiden Ländern. Häufig waren auch die massiven Interessenskonflikte der ehrgeizigen Diktatoren stärker als das ideologische Band. Was blieb, war die sogenannte Freundschaft. Das Verhältnis der für die Propaganda so wichtigen Inszenierung zur Realität war dementsprechend widersprüchlich.
Der Besuch vom 20. Juli 1944 war die letzte der 17 Begegnungen der beiden, und ihr makabrer Charakter unterschied sie von den glänzenden Treffen in den Zeiten, als die Achse noch eine europäische Macht darstellte und Hitler und Mussolini ein scheinbar unzertrennbares Paar bildeten. Doch es dauerte, bis sich die persönliche Beziehung entwickelte; und was die ideologischen Gemeinsamkeiten betrifft, galt für Mussolini lange Zeit die Maxime, dass der Faschismus kein Exportartikel sei.
In den Anfangsjahren verfolgte er andere Optionen und verhielt sich dem Werben seines Bewunderers Hitlers gegenüber recht spröde: Ungeachtet dessen, dass dieser in seinem Büro eine große Skulptur des Duce aufgestellt hatte, verweigerte ihm dieser bis 1931 ein handsigniertes Foto. Erst 1934 traf man einander das erste Mal persönlich, Mussolini trug seine Paradeuniform und Hitler einen ein wenig zerknautschten Anzug. Doch allmählich begannen die Verhältnisse sich umzukehren: Hitler saß weder König noch Papst im Nacken. Und zudem begann er sich ideologisch überlegen zu fühlen, hatte doch Mussolini die „Judenfrage“nicht begriffen. Die Inszenierung überdeckte das: Mussolinis Gegenbesuch 1937 gilt als eines der größten und teuersten Propaganda-Ereignisse in der Geschichte des Dritten Reiches. Doch zu einem förmlichen Beistandsabkommen kam es nicht.
Die Geschichte, die Christian Goeschel, Historiker an der Universität Manchester, erzählt, protokolliert auf der ideologischen, der persönlichen und der politischen Ebene ein widersprüchliches Auf und Ab – Bewunderung und Verachtung, Rivalität und Kooperation, Loyalität und Verrat, großzügiges Zurückstellen der Eigeninteressen oder deren kleinliche Verfolgung wechselten einander ab. Mehrmals stellte einer der angeblich untrennbaren Partner den anderen vor vollendete Tatsachen, mehrmals rächte sich der auf subtile Weise. Noch 1938 machte Mussolini etwa in Verfolgung eigener Interessen dem Vatikan den Vorschlag, Hitler zu exkommunizieren, und diente sich Chamberlain als der an, der Hitler zähmen würde. Er unternahm viele Fluchtversuche, bis hin zum Projekt eines Separatfrieden mit der UdSSR. Die ursprünglich bejahte propagandistische Inszenierung, ein gigantisches Konvolut von Bildern, von denen manche nichts mit der Realität zu tun hatten, fesselte die beiden aneinander – auch nachdem die Allianz zur Belastung geworden war.
Was kann sich bei 17 protokollarisch gesteuerten Begegnungen auf der persönlichen Ebene ereignen? Scheinbar wenig; manche Behauptung Christian Goeschels, eines Meisters der narrativen Geschichtsschreibung, über das Verhältnis der beiden Diktatoren wäre spekulativ, könnte er sich nicht auf eine ungeheure Materialfülle berufen und eignete ihm nicht die Gabe, den Subtext diplomatischer Artikulationen und Inszenierungen zu dechiffrieren. Bisher unbeachtete Kleinigkeiten – wo man sich traf, wer am Steuer saß, und wie man einander gratulierte – erhalten bei Göschel einen glaubhaften Sinn. Zudem weist er auf eine immer noch aktuelle Folge dieser Beziehung hin: Spitzenpolitiker müssen so tun, als wären sie „best friends“.
Christian Goeschel Mussolini und Hitler
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