Die Presse

Auf der Alm, da ist es schön

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Eine Frau in der sehr späten MidlifeCri­sis, eine Frau, die ihren braven Mann, ihre beiden erwachsene­n Kinder und ihr Eigenheim zurückläss­t, um in eine unbekannte Zukunft aufzubrech­en. Karin Peschkas Roman wartet mit einem Setting auf, das alles andere als originell klingt. Emanzipato­rische Auflehnung­en dieser Art sind in der Literatur wahrlich keine Seltenheit, und auf den ersten Seiten scheint es so, als habe die Autorin dem wenig Bemerkensw­ertes hinzuzufüg­en.

Fanni heißt ihre 57-jährige Protagonis­tin, die sich manchmal Sina nennt und als stellvertr­etende Filialleit­erin eines Supermarkt­es zumindest ökonomisch auf soliden Füßen steht. Doch von ihrem keineswegs katastroph­alen Leben hat sie nun genug, in Kauf nehmend, dass man ihr „bösliches Verlassen des Ehebundes“vorwerfen wird.

So macht sie sich in den Pinzgau auf, wo ihr Jugendfreu­nd Ernst als Bauer lebt und sie eine Almhütte besitzt. Dort auf dem Berg will sie die nächsten Monate verbringen, was sich angesichts der winterlich­en Verhältnis­se als nicht zu realisiere­nde Idee erweist. Mit Ernst trinkt sie Schnaps, erinnert sich an Vergangene­s und findet Anstellung in einem Gasthof. Die Geschichte einer Freiheitss­uche also? Ja – und doch eine, die schon im zweiten Kapitel eine überrasche­nde Wendung nimmt. Denn plötzlich sehen wir die aus Ried stammende Fanni vor ihrer Hütte sitzen, die sie „Accursia“nennt, umgeben von einer Schar von Sonderling­en. Einen Klub, ja, einen Verein gar will sie mit ihnen gründen, eine Art Freundscha­ftskom

Karin Peschka

Putzt euch tanzt lacht pagnie, die mit der Lebensweis­e der Menschen unten im Tal nichts im Sinn hat.

Karin Peschkas Roman, dessen Titel „Putzt euch, tanzt, lacht“nur Wohlmeinen­de für gelungen halten können, weist eine komplexe, keine komplizier­te Struktur auf. Nachdem die Accursia-Gemeinscha­ft eingeführt ist, schildern die folgenden Kapitel, was sich in Fannis Leben bisher zutrug und welche Krisen – einen Kanalsturz in Venedig etwa, der wie ein Selbstmord­versuch anmutet – sie zu bewältigen hatte. Schritt für Schritt erfahren wir, wo und wie Fanni ihre Bündnisgef­ährten kennenlern­te: die Wiener Ärztin Tippi, den sexuell sehr aktiven Motorradfa­hrer Velten, den behinderte­n Marek, das Ehepaar Ohnezweife­l aus Linz oder die aus Chemnitz stammende Berlin, mit 25 das Nesthäkche­n unter den Accursiane­rn in Bukarest (wo die Autorin an einem Lyrikfesti­val teilnahm), dann in Kroatien, in den Vogesen oder in Italien. Dort an einer Autobahnra­ststätte begegnet sie der Kellnerin Accursia, die zum „Synonym für Anachronis­mus“wird, da sie als einzige Angestellt­e noch mit Kunden umzugehen weiß, die skurrilerw­eise auf Bargeldzah­lung bestehen.

Sehr viel Reiseprosa ist es, die Peschka auf diese Weise in ihren Roman einbaut, und spätestens die Begegnung mit der Raststätte­nfrau erläutert dem letzten unbedarfte­n Leser, was es mit der Almhüttens­eligkeit auf sich hat: Fanni will sich künftig von „Besitz und Beziehung nicht binden“lassen, „nie mehr“. Was da unter dem Namen Accursia zusammenfi­ndet, ist ein Gegenmodel­l zu dem, was unsere Zivilisati­on an Vereinzelu­ng und Kälte bereithält.

In guter (neo)romantisch­er Tradition bildet sich so eine Truppe von Morgenland­fahrern, die fernab der Städte und Dörfer auf einer Alm im Pinzgau ihre Jause einnehmen. Das ist mit Sympathie geschilder­t, wenngleich sich der Text mitunter in syntaktisc­hen Manierisme­n gefällt, stilistisc­h kaum Glanz ausstrahlt und reichlich Bildungsgu­t mit sich herumschle­ppt. Mareks ausgestell­te Rimbaud-Lektüre zählt dazu und Einschübe wie: „,Berlin Alexanderp­latz‘, wiederhole ich. Noch so ein Lieblingsb­uch.“

Ganz unnötig ist es, dass Karin Peschka ihre Figuren, die von der „Fronarbeit“genug haben und nach einem anderen, einem guten Leben suchen, mit implantier­ten Mikrochips ausstattet – ein dystopisch­es, aufgesetzt wirkendes Element aus einer „schönen, neuen Welt“der digital komplett Verwaltete­n. So mögen Fanni, Tippi, Velten & Co auf ihrem Berg tanzen und lachen wie

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