Der Wald, in dem die weißen Wölfe heulen . . .
Das Palten-Liesingtal, die waldige Region zwischen Mur und Enns, ist kaum touristisch. Die meisten Besucher gehen in Mautern auf Wildtiersafari. Doch das Umfeld rechtfertigt einen längeren Aufenthalt.
Eins vorweg: Weder liegt das Liesingtal im 23. Bezirk noch Mautern an der Donau, sondern beides in einem eher unbekannten Teil der Steiermark, flankiert von den Eisenerzer Alpen, den Niederen Tauern und besagtem Fluss, der – gemeinsam mit der Palten – das Ennstal mit dem oberen Murtal verbindet. Eine ruhige Gegend inmitten prächtiger Naturkulisse, wo sich Fuchs und Hase heute durchaus noch Gute Nacht sagen.
Aber nicht nur diese: Auf dem sogenannten Wilden Berg, einem 65 Hektar großen Areal hoch über Mautern, treiben sich auch andere Tiere wie Bären, Steinböcke, Gänsegeier, Murmeltiere, PrzewalskiPferde, Bisons und Wölfe in friedlicher Eintracht herum. Wobei gerade die wilden Urahnen unserer Haushunde des Öfteren für Verwirrung sorgen. „Mama, warum sind die einen da so schmutzig und die anderen so sauber?“, will etwa eine junge Besucherin wissen und bestaunt die strahlend weißen Polarwölfe, die ihren entfernten Verwandten mit dem graubraunen Fell meistens die Schau stehlen. „Und warum liegen die Waschbären in der Sonne herum, während die Braunbären baden?“, sinniert sie.
Fragen über Fragen, die hier auf erfrischenden 1100 Metern Seehöhe auftauchen – im Zuge einer Art hochsteirischer Wildtiersafari mit Kinderbauernhof, Greifvogelevents, gläsernem Bienenhaus und Einkehr in der Steinbockalm. Ein Highlight ist, wenn im Sommer Tom und Jerry, zwei Wildkatzen, in ihren Catwalk einziehen, der sich wie eine gläserne Brücke sechs Meter über den Köpfen der Besucher erstreckt. Doch bevor Eltern, Kinder, Tierfreunde und Wanderer zum Wildkatzengehege mit Catwalk marschieren, geht es wieder bergab. Zu Fuß bietet sich der Waldwanderweg durchs Gelände des Wilden Bergs an, vorüber an Dufthäuschen und Baumtrommeln, etwas rascher gelangt man mit dem „Wiesengleiter“auf der Sommerrodelbahn ins Tal, und für all jene, die gern Kurven kratzen, stehen speziell konstruierte geländegängige Karts bereit.
Ein Lama als Stresstherapeut
Wieder auf dem Boden des Liesingtals gelandet, ist das OutdoorErlebnis nicht zu Ende. Mautern selbst verfügt über ein derart ausgedehntes und vielfältiges Wandergebiet, dass einem jede Wegkarte wie ein Strickmusterbogen vorkommen muss. Am besten, man marschiert einfach drauflos, immer der Nase beziehungsweise dem Duft der Wälder nach. Hinauf geht’s auf den Eselberg, hinunter in die Walch, durch Zidritz, Magdwiesen oder Reitingau, vielleicht macht man eine Runde nach Ehrnau oder in die Rannach – im Grunde trifft man hier wie dort auf eine schön intakte Landschaft. Mit etwas Zielstrebigkeit auch auf g’schmackige Pilze, Naturdenkmäler (sieben majestätische, über 300 Jahre alte Bäume und eine Wildwasserklamm) sowie fünf schnuckelige Lamas, wobei jenes namens Tommy Hilfiger mit seinem Gehabe mein persönlicher Favorit ist. Kaum sieht er Menschen, wirft er sich in Pose und kommt interessiert angetrabt. Als Stresstherapeut hätte er bestimmt Karriere gemacht, als Begleitlama für entschleunigte Ausflüge macht er gleichfalls gute Figur. Das kann Doris Hubner vom Rösslhof nur bestätigen. Mit ihren flauschigen Exoten, die neben Pferden den Hof besiedeln, organisiert sie verschieden lange Touren in die Umgebung. Zuvor erfahren große wie kleine Teilnehmer alles Wissenswerte über diese Tiere, danach wird gemeinsam aufgehalftert, und schon geht es los. „Zum Wandern haben wir hier paradiesische Zustände“, meint Hubner. „Wir ziehen aber am liebsten zum Pöschl-Anwesen. Von dort hat man einen wunderschönen Blick auf Mautern und die Reitingau.“Immer vorausgesetzt, man schafft es, sich vom Anblick der putzigen Kleinkamele loszureißen.
Mautern hat aber nicht nur Wiesen, Wälder, Wasserläufe und Wildtiere zu bieten, auch das Zentrum der Marktgemeinde ist sehenswert. Das gilt ebenso für die beiden Kirchen mit dem wundertätigen Kreuz, die zahlreichen Sonnenuhren und Fresken an den Fassaden, Pranger und Troadkasten, die Thewanger Tenne mit ihren pittoresken Luftgitterfenstern. Auffällig ist zudem die Gelassenheit, die über dem ganzen Ort zu liegen scheint. „Das Besondere an Mautern ist vielleicht nicht nur die intakte und reichhaltige Natur, sondern vor allem die Authentizität. Wir haben hier keine Kulissen, hier kommen die Besucher wirklich mitten im Dorfgeschehen an“, betätigt Bürgermeister Andreas Kühberger. „Man wird freundlich gegrüßt, nach seinen Wünschen gefragt und ins Gespräch mit einbezogen, das sind viele Menschen gar nicht mehr gewohnt. Man kann hier ankommen und entspannt aufatmen.“
Felsen für Raubritter
Wandert man von Mautern Richtung Kammern, dem südlicheren Nachbarort, nähert man sich schrittweise einer nicht immer nur guten alten Zeit. Auf dem zehn Kilometer langen Erlebnisweg Rittersteig etwa, der den schweißtreibenden Aufstieg mit schönen Ausblicken belohnt, sind heute noch zwei verfallene Raubritterburgen zu sehen: die Ruine Ehrenfels, von der hoch oben auf einem Gebirgsvorsprung des Reitings nicht mehr viel übrig geblieben ist, und die Ruine Kammerstein aus dem frühen 13. Jahrhundert. Der Sage nach wurde das Geschlecht der habgierigen Ehrenfelser einst sogar vom Teufel persönlich ausgelöscht. Der wilde Graf und seine Knappen landeten in der Hölle, nach deren Schätzen wird nach wie vor gesucht.
Alte bäuerliche Maschinen
Keinesfalls verschollen sind hingegen die Preziosen des Museumshofes in Kammern. In dieser stilvoll revitalisierten Scheune hat Rüdiger Böckel, Arzt, Historiker und Obmann des Museumsvereins, in jahrzehntelanger Arbeit Dutzende Gerätschaften aus der Landwirtschaft sowie dem Kohlebergbau gesammelt, restauriert und ausgestellt. „In unserer schnelllebigen Zeit ist es mir ein Anliegen, den Blick der Menschen einmal von der unsicheren Zukunft weg in eine sichere, wenngleich oft mühevolle Vergangenheit zu lenken“, erzählt Böckel und präsentiert einige seiner einzigartigen Objekte: beispielsweise eine mit voller Muskelkraft durch Holzkurbeln betriebene Leistendreschmaschine, eine Getreideputzmaschine und einen Kartoffelroder. Besonders kurios und ein echtes Unikat ist allerdings die Besenbindemaschine, die in dieser Form nur ein einziges Mal existiert. „Der Erfinder hat sich dabei wirklich etwas gedacht. Das ist keinesfalls ausgedientes Graffl, diese Maschine ist ein handwerklicher Geniestreich.“Böckel beschäftigt sich mit dem Alten nicht nur in handwerklicher Hinsicht, sondern auch in geologischer. Die reich bestückte Fossiliensammlung im Museum, die er ebenso betreut, reicht zurück bis zu den Anfängen des Lebens, was ein über 500 Millionen alter Trilobit eindrucksvoll demonstriert. Ein urzeitlicher Exkurs, für den man sich gleichfalls Zeit nehmen sollte.