Der Sinneswandel des Quarterbacks
USA. Der US-Sport wacht beim Thema Rassismus auf: Football-Star Drew Brees kehrt Trump den Rücken, ganze Teams gehen auf die Straße – beim Saisonstart wird die NFL wohl kollektiv knien.
Los Angeles. Der auf Gewinn und Unterhaltung getrimmte nordamerikanische Sport ist politischer als je zuvor – und das mit mehr Stimmen als je zuvor. Neben ohnehin meinungsstarken Athleten wie Basketball-Superstar LeBron James (Los Angeles Lakers) haben die vergangenen Wochen mit landesweiten Anti-Rassismus-Protesten auch zu starken Statements von Leuten und Institutionen geführt, die gesellschaftliche Kontroversen bislang gescheut haben. Der USSport ist beim Thema Rassismus aufgewacht.
Die Basketballliga NBA betont, dass sie das Saisonfinale in Florida explizit dafür nutzen will, auf die Probleme im Land aufmerksam zu machen und sich für Veränderung einzusetzen. NFL-Boss Roger Goodell ermutigte Football-Profis zu friedlichem Protest. Der US-Fußballverband kippte eine seiner Regeln und entschuldigte sich für das Verbot, zu knien, und die Ignoranz gegenüber seinen schwarzen Spielern. Und die populärste und vor allem im Süden der USA beliebte Motorsportserie Nascar hat die Kriegsflagge der Konföderierten bei ihren Rennen verboten.
„Für die Verhältnisse des Sports ist dies eine Lawine. Und, aussagekräftiger als alles andere: Diejenigen, die eine starke Meinung vertreten, scheren sich nicht darum, was Trump und dessen mobbender Twitter-Account über sie zu sagen haben“, schreibt ein Kolumnist der „Washington Post“. Dass US-Präsident Donald Trump auf Twitter der Fußball-Profiliga MLS und sogar der NFL als Reaktion sein Interesse entzogen hat, verpufft einfach.
Vorreiter Kaepernick
Seit der Afroamerikaner George Floyd am 25. Mai so lang von einem weißen Polizisten mit dem Knie im Nacken auf den Boden gedrückt wurde, dass er daran starb, gehen die Menschen protestieren. Unter ihnen alte und junge, aus allen Schichten der Gesellschaft und mit allen Hautfarben – und mitunter fast ganze Mannschaften wie kürzlich in Denver das NFL-Team der Broncos.
Profisportler haben ein Gespür dafür, die Schwäche eines Gegners zu erkennen und für sich zu nutzen. Auch in den komplexen Gefügen eines Vereins mit Führungsspielern, einem Trainer und dem Management spüren Profis, wann sie sich Freiheiten erlauben können, weil der Boss gerade nicht mehr ganz so fest im Sattel sitzt und seine Autorität angekratzt ist.
Und so verwundert es nur für einen Moment, dass sich Drew Brees vor ein paar Tagen tatsächlich getraut hat, @realdonaldtrump in den sozialen Netzwerken direkt anzusprechen und ihm mehr oder weniger deutlich die Meinung zu sagen. Höflich, ohne Beleidigung, aber unmissverständlich kritisierend: „Wir können die Flagge nicht mehr länger dazu benutzen, die Menschen abzuweisen oder sie von den wirklichen Problemen abzulenken, mit denen unsere schwarzen Gemeinschaften konfrontiert sind“, schrieb der Quarterback der New Orleans Saints.
Der Super-Bowl-Champion (2009) hatte in den Tagen zuvor einen bemerkenswerten Sinneswandel durchlebt. So wie Trump und viele von dessen Anhängern empfand Brees das Knien beim Abspielen der Nationalhymne, wie es Colin Kaepernick 2016 als erster NFL-Profi aus Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus tat, als Respektlosigkeit gegenüber der US-Flagge. Das sagte Brees in einem Interview – und entschuldigte sich nach massiver Kritik in den Tagen danach glaubhaft und mehrfach dafür.
Er habe zugehört und verstanden, dass es Kaepernick und allen anderen um etwas Wichtiges gegangen sei und von einem respektlosen Umgang mit der Flagge keine Rede sein könne. Das hat er Trump, mit dem er sich auch schon gern fotografieren ließ, schließlich mitgeteilt.
NFL-Boss Roger Goodell ging – ebenfalls nach großem öffentlichen Druck, in diesem Fall befeuert durch die afroamerikanischen Topstars der Liga um Kansas-CityChiefs Quarterback Patrick Mahomes – sogar so weit, Profis das Protestieren explizit zu empfehlen und zu erlauben. Zwar hat die Liga kniende Profis auch in den vergangenen Jahren nie sanktioniert, dennoch sind diese Aussagen bemerkenswert, bedenkt man, wie wenig einverstanden Goodell mit Kapernicks Aktion war. Nun gehen die Experten davon aus, dass die NFL bei ihrem angepeilten Saisonstart im September mehr oder weniger kollektiv auf ein Knie geht.
Sport und Wahlkampf
Dass die Sportwelt bei einem der nun wichtigsten Themen ihre Reichweite nutzen will, kann Trump angesichts der Präsidentschaftswahlen im November nicht gefallen. „Wir haben das Gefühl, dass wir derzeit etwas Gehör und Aufmerksamkeit bekommen, und jetzt ist es für uns an der Zeit, endlich etwas zu bewirken“, sagte NBA-Superstar LeBron James der „New York Times“. (dpa/red.)