Mühevolle Heimkehr der Lachse
Theater. Alexandra Pˆazgus „Fluss, stromaufwärts“im Werk X Petersplatz wird von Alexandru Weinberger-Bara stringent inszeniert und von einem Trio lustvoll gespielt.
Der Theaterraum wird zum Flughafen. Die wegen Corona in gebührender Distanz voneinander platzierten Zuseher befinden sich bereits im Jet. Sie werden auf der Tribüne als Passagiere angesprochen. Ein Screen zeigt Destinationen und Gates an. Auf der Bühne die Abflughalle: Am Rand wartet der rumänische Übersetzer Tino (Sümeyra Yilmaz) mit einem lebensgroßen Stofflachs aufs Einchecken.
Schon taucht sein Alter Ego auf: Enrique Fiß spielt einen Lachs, wie sein rosa Anzug andeutet. Er tritt vor den Vorhang, der den Großteil der Bühne noch verbirgt. Man sieht dort zu Beginn der 80 Minuten langen Aufführung die Endlosschleife eines Unterwasser-Videos. Im Fluss müht sich ein Lachs ab. Fiß streichelt ihn im Vorbeigehen. Später werden Clips aus einer Fischfabrik und Historisches aus Rumänien zu sehen sein.
Die uralte Großmutter will rauchen
Wohin also geht die Reise für Tino und seinen Lachsersatz? Beharrlich gegen den Strom. Das könnte als umfassende Metapher des Stücks gelten, mit dem die in Wien lebende Autorin Alexandra Pazguˆ aus Sibiu den ExilDramatikerInnenpreis erhielt: „Fluss, stromaufwärts“behandelt das anstrengende Leben im Exil. Tino ist von zu Hause weggegangen, lebt nun meist in Metropolen Westeuropas. Das hat ihn nicht befreit, wie ein Wortwechsel mit dem Lachs über Identität und Verlust zeigen. Sein Erinnern an Bräuche, an „das stolze
Volk der Rumänen“, wirkt wie Widerstand gegen das Vergessen eigener Geschichte: „Du bist für immer ein anderer / ein Fremder hier, / ein Fremder überall, / nicht richtig hier, nicht richtig da.“
Gefühle der Ohnmacht, beherztes Entkleiden bis auf stromlinienförmige Trikots. Ist diese Begegnung bloß Projektion? Wahrscheinlich. Tino wird sich später Toni nennen, behaupten, er sei eine Möwe – Tschechow! Und wie real soll man sich die 122 Jahre alte, radikal fürs Rauchen eintretende Großmutter Effie (Lilly Prohaska) denken? Das bleibt im Nebel. Sie sitzt, nachdem der Lachs die Vorhänge heruntergerissen hat, in einem surreal anmutenden Wohnzimmer.
Wie Traumsequenzen wirken viele Passagen. Alexandru Weinberger-Bara aus Oradea hat das einfühlsame, dichte Drama raffiniert einfach inszeniert. Gespielt wird mit subtilem
Witz. Fiß durchbricht ungeniert die vierte Wand, schäkert dabei mit dem Publikum. Prohaska setzt Akzente des Skurrilen, sie flirtet eher mit den Mitspielern. Yilmaz versetzt ihrer Rolle das rechte Maß an Melancholie. Alle drei haben starke Präsenz.
Am Ende heißt es auf dem Video-Screen: „Stories Are Dead. Long Live Story Telling.“Pazguˆ hat recht; weiter geht’s. Zumindest war dieser Abend nach Monaten Theater-Enthaltsamkeit vielversprechend. Noch aber herrschen erschwerte Bedingungen. Bisher waren nur zwei streng reglementierte Voraufführungen für Kritiker etc. zu sehen. Vom 27. 6. ab 18 Uhr bis Ende Juni stellt das Werk X einen Stream dieser Produktion (eine Kooperation mit „baldanders theaterkollektiv“) kostenlos zur Verfügung. Die für diesen Monat geplante österreichische Erstaufführung wird auf die Saison 2021/22 verschoben.