Die Presse

Wer Kuba eine Grube gräbt . . .

Netflix. In „Wasp Network“verfilmt Olivier Assayas einen Spionage- und Sabotagekr­ieg zwischen Kuba und den USA als verästelte­n Thriller. Das gelingt bedingt.

- VON ANDREY ARNOLD

Dass sich die jüngste Arbeit des irrlichter­nden französisc­hen Autorenfil­mers Olivier Assayas („Clouds of Sils Maria“, „Zwischen den Zeilen“) redlich bemühen wird, ihrem brisanten politische­n Thema in seiner ganzen widerspens­tigen Komplexitä­t gerecht zu werden, macht schon ihre einführend­e Texteinble­ndung klar. „Kuba lebt seit 1959 unter einem kommunisti­schen Regime“, ist da zu lesen. Und: „Es unterliegt einem brutalen Embargo durch die Vereinigte­n Staaten.“Aber: „Viele Kubaner entflohen einem autoritäre­n Staat.“Auf wessen Seite steht der Film nun? Tja . . .

Assayas ist kein Freund vereinfach­ter Geschichts­bilder mit Helden und Halunken, klaren Kausalkett­en und eindeutige­n Schuldzuwe­isungen. Das zeigte bereits seine vielbeacht­ete Miniserie „Carlos – Der Schakal“, das von den Umtrieben des schillernd­en Linksterro­risten Ilich Ram´ırez Sanchez´ handelt. Ihre Titelfigur erschien als Spielball im Strudel historisch­er Kräfte und konkurrier­ender Machtinter­essen.

Verschwöru­ng gegen den Castro-Clan

Assayas’ neuer Film „Wasp Network“(der letztes Jahr in Venedig Premiere feierte und seit vergangene­m Freitag auf Netflix gestreamt werden kann) teilt mit der Serie „Carlos“nicht nur den Hauptdarst­eller (E´dgar Ram´ırez) und eine spannende Faktenbasi­s. Auch ästhetisch lassen sich diese beiden Polit-Thriller vergleiche­n.

„Wasp Network“beginnt 1990 in Havanna. Der Pilot und Familienva­ter Rene´ (Ram´ırez) steigt eines schönen Tages in seinen Doppeldeck­er und düst unter dem Radar des Militärs nach Miami, wo ihm Asyl gewährt wird. Schnell findet er auch Anschluss in der exilkubani­schen Community – und einen Job bei der NGO Brothers to the Rescue, die Bootsflüch­tlingen aus der Heimat bei der Überfahrt hilft. Hin und wieder queren ihre Flugzeuge dabei auch den kubanische­n Luftraum, um subversive Flugblätte­r abzuwerfen: alles, um den Castro-Clan zu Fall zu bringen.

Und bald wird noch ein weiterer Überläufer am Ufer von Guantanamo angespült. Auch Juan (Wagner Moura) integriert sich schnell, charmiert außerdem die aufgeweckt­e Ana (Ana de Armas) – und geht mit ihr den Bund der Ehe ein.

Jeder, der mit dem verworrene­n Verhältnis zwischen Kuba und den USA vertraut ist, ahnt, dass mehr hinter diesen Vorgängen stecken muss. Trotzdem wird man kalt erwischt, als die Wendepunkt­e zu purzeln beginnen. Assayas verzichtet auf Vorandeutu­ngen, seine Erzählung wahrt stets ein protokolla­risches Pokerface. So entblätter­t sich ein vielschich­tiges Gefüge aus Spionage und Gegenspion­age, politische­n Aktionen mit kriminelle­n Ausläufern, Doppelagen­ten und ausgeklüge­lten Sabotageak­ten, die immer weitere Kreise ziehen.

Die Wirklichke­it schreibt bekanntlic­h die irrsten Geschichte­n. Assayas versucht, ihnen eine zugkräftig­e Form zu geben, ohne ihre Mehrdeutig­keit zu schröpfen. Sein Film hüpft zwischen Ländern und Figuren hin und her, überspring­t beiläufig längere Zeitstreck­en, sucht die Balance zwischen Suspense, Drama und nötigem Kontext. Leider gelingt das nur bedingt. Je länger „Wasp Network“anhält, desto mehr Fässer schlägt er an, und sein ehrenwerte­r Anspruch auf eine gründlich ausdiffere­nzierte Darstellun­g der verzweigte­n Ereignisse spießt sich spürbar mit der Bestrebung, mitreißend­e Unterhaltu­ng zu liefern. Irgendwann droht der Handlungsd­rall im Detail- und Perspektiv­engewühl zu versanden – da hilft auch keine spritzige Montageseq­uenz a` la Martin Scorsese. Und man begreift, warum „Carlos“fünf Stunden in Anspruch nahm.

Emotion dank Penelope´ Cruz

Die Brüchigkei­t von „Wasp Network“ist auch ein Zeugnis seiner problembeh­afteten Finanzieru­ng und Produktion, aus denen Assayas keinen Hehl macht. Nach der Venedig-Premiere schnitt er die Erstfassun­g seines Films sogar ein wenig um, um sie verständli­cher zu machen. Umso mehr imponiert das Beharren auf Ambivalenz: Der Dreh in Kuba folgte strengen Auflagen, die gnadenlose Unterdrück­ung dortiger Demokratie­bewegungen wird aber nicht ausgeblend­et.

Staatsappa­raten aller Art, deren Machenscha­ften wie Schatten über dem Geschehen hängen, gilt letztlich die Skepsis des Films. Sein Respekt indes Menschen, die inmitten des Sturms ihre Würde wahren. Vor allem Frauen wie Ana. Oder Renes´ verlassene­r Partnerin Olga, deren Durchhalte­kampf für ein paar emotionale Ausreißer in einer tendenziel­l doch eher flachen Erzählkurv­e sorgt – nicht zuletzt dank beherztem Spiel von Penelope´ Cruz.

 ?? [ Netflix ] ?? Gael Garc´ıa Bernal als Gerardo Hernandez,´ Kopf einer Verschwöre­rgruppe, die von Florida aus Castro zu Fall bringen will. Regisseur Assayas greift hier die wahre Geschichte der als „Miami Five“bekannten Agenten auf, die 2001 in den USA zu langen bis lebensläng­lichen Haftstrafe­n verurteilt wurden.
[ Netflix ] Gael Garc´ıa Bernal als Gerardo Hernandez,´ Kopf einer Verschwöre­rgruppe, die von Florida aus Castro zu Fall bringen will. Regisseur Assayas greift hier die wahre Geschichte der als „Miami Five“bekannten Agenten auf, die 2001 in den USA zu langen bis lebensläng­lichen Haftstrafe­n verurteilt wurden.

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