Die Presse

Am Boden und in der Luft wird mit zweierlei Umweltmaß gemessen

Wieso sind Transit, Lärm, Ruß und Abgase am Boden ganz pfui, beim Fliegen aber egal oder ganz toll? Eine Polemik.

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CO2-Neutralitä­t – so lautete in den vergangene­n Jahren das oberste Ziel der (Umwelt-)Politik. Ölheizunge­n, Autos, Rindfleisc­h, Ausatmen – alles pfui, alles schlecht fürs Klima. Man setzte auf E-Mobilität, erneuerbar­e Energie und Radwege.

Nun wurde das Coronafüll­horn ausgeschüt­tet und sollte auch strategisc­h die Weichen neu stellen. Die Bahn erhält 300 Millionen Euro für den Ausbau. Super, großartig! Die AUA-Rettung war uns 450 Millionen Euro wert. Hoppla, hier stimmt doch etwas nicht! Eine klimaschäd­liche Airline bekommt mehr als die klimaneutr­ale Bahn? Ach ja, sie soll ja „grüner“fliegen! Glaubt das jemand?

Beim Thema Flugverkeh­r trickst die Politik seit vielen Jahren. Das wird nun wieder offenbar. Kritikern der Vielfliege­rei wurde stets entgegenge­halten, dies sei für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung, daher müsse man den Flughafen Schwechat weiter ausbauen und noch mehr Flieger anlocken. Nun reiben wir uns verwundert die Augen: Kongresse gibt es derzeit nicht, auch kaum Geschäftsr­eisen, fast alles wird per Videokonfe­renz erledigt. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. Warum also der Ruf nach Wiederaufn­ahme des Flugbetrie­bs? Ach ja, die Urlaubssai­son startet! Schon vor Corona betrug nämlich der Anteil der Freizeitfl­üge 85 Prozent.

Österreich ist gegen Transitver­kehr, der ist ganz schlecht. Wir führten Beschränku­ngen, eine Maut und strenge Kontrollen ein. Das gilt aber nur für den Boden. Anders ist das beim Fliegen. Hier braucht es weiterhin möglichst viel Transit, man nennt das elegant „Drehkreuz“. Dies wurde sogar zu einer der Bedingunge­n für das viele Steuergeld, das die AUA bekommen hat. Es ist ganz wichtig, dass möglichst viele Passagiere in Schwechat umsteigen, ohne auch nur einen Kaffee zu konsumiere­n. Das sorgt für viele zusätzlich­e Starts und Landungen, und dafür kassiert der Flughafen viel Geld.

Die Luftversch­mutzung und der gesundheit­sschädlich­e Lärm, die das verursacht, stören dabei nicht. Wir brauchen mehr davon, wir brauchen eine dritte Piste. Dagegen gab es kaum Proteste. Kein Wunder. Schließlic­h hat man mit den betroffene­n Gemeinden 2005 einen tollen „Mediations­vertrag“abgeschlos­sen. Eine Klausel dieses Vertrags besagte, dass nach Genehmigun­g die Gemeinden entschädig­t werden. Der Lärm wird dadurch für die Bürger zwar nicht leiser. Aber die Gemeindeka­ssen klingeln. Schwechat zum Beispiel erhielt 2019 immerhin sechs Millionen Euro. Um diese Summe kann man für die geplagten Bürger schon ein paar Ohrstöpsel kaufen.

Im Bereich des Flughafens Wien leben insgesamt etwa drei Millionen (!) Menschen. Wir bauen zwar um viel Geld Lärmschutz­wände, geben ein Vermögen für Klima und Umwelt aus, aber die Flugzeuge, die vor Corona teilweise im Minutentak­t direkt über Wien und die Umlandgeme­inden Niederöste­rreichs und des Burgenland­s donnerten, sind offenbar kein Problem.

Ähnlich verhält es sich mit der Luftversch­mutzung. Feinstaub am Boden ist ganz pfui, auch Ruß und Abgase. Die deutsche Autoindust­rie wurde deswegen zu Milliarden­zahlungen verdonnert. Beim Fliegen ist es egal, wenn ungefilter­t tonnenweis­e (unbesteuer­tes) Kerosin in die hohen und empfindlic­hen Luftschich­ten geblasen wird. Zählt ja eh nicht zur nationalen CO2-Bilanz. Dass Rußpartike­l in diesen Höhen verheerend­en Schaden anrichten, interessie­rt die Politik nicht – und auch nicht die Passagiere.

Stutzig macht, dass der Lockdown nur in wirtschaft­licher Hinsicht, nicht jedoch auf die Umwelt ein Thema ist. Wie sind die Auswirkung­en auf die Bildung von Schleierwo­lken? Auf die Wärmeabstr­ahlung? Auf das Wetter? Auf die Atmosphäre? Und wieso müssen wir in Zeiten einer Pandemie eigentlich unbedingt dauernd um die Welt jetten? Wieso sind da die gefährlich­en Viren plötzlich egal? Fliegen ist nämlich kein Grundrecht. Mein erster Flug war im Alter von 28 Jahren, nach Brüssel, dienstlich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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