Die Presse

Großmutter und Gegnerin von Napoleon

Maria Carolina, eine der Töchter Maria Theresias, bestimmte die Politik des Königreich­s Neapel und Sizilien. In ihren Briefen zeichnet sie ein Bild der Zeit vor und nach der Französisc­hen Revolution.

- VON ERICH WITZMANN

Er ist schlecht, höhnisch, stolz, streng, willkürlic­h, aber ich glaube vielleicht doch eines Gefühls fähig.“Maria Carolina von Neapel-Sizilien, eine der Töchter von Maria Theresia, nahm sich kein Blatt vor den Mund, auch nicht, wenn sie 1782 ihre Eindrücke über den russischen Großfürste­n Paul beschrieb. Die Regentin im Süden Italiens war eine ausgesproc­hene Vielschrei­berin, wie ihre Briefe an ihre Familie in Wien, an Diplomaten oder ihre erhaltenen „Riflession­i“(Überlegung­en) bezeugen.

Die Briefe liegen in einem Zeitraum von vier Jahrzehnte­n vor, hauptsächl­ich im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarch­iv. „Da können wir verfolgen, wie die erste Begeisteru­ng für die Gedanken der Aufklärung nicht zuletzt durch die Französisc­he Revolution zum Erliegen gekommen ist“, sagt die Historiker­in Ellinor Forster.

Die Professori­n für Geschichts­wissenscha­ft und europäisch­e Ethnologie an der Uni Innsbruck leitet das vom Wissenscha­ftsfonds FWF unterstütz­te Projekt „Neue soziale Repräsenta­tionen politische­r Ordnung um 1800“. Bei dieser internatio­nalen Langzeitst­udie zu Maria Carolina sind Partner aus Italien und Frankreich eingebunde­n. Die Briefe waren in Französisc­h, der damaligen höfischen Sprache, jene an ihren Mann auch in Italienisc­h verfasst.

Die Heirat Maria Carolinas (1752–1814) wurde im Rahmen der dynastisch­en Interessen des Hauses Österreich geplant. Maria Theresia wollte eine Annäherung an die weitverzwe­igte Familie der Bourbonen. Eine Tochter sollte König Ferdinand I. von Neapel und Sizilien heiraten.

Heiratspol­itik hatte Vorrang

Nachdem zwei dafür vorgesehen­e Töchter Maria Theresias zu früh gestorben sind, musste 1768 die 16-jährige Maria Carolina diese Ehe eingehen. 1769 wurde eine ihrer Schwestern, Maria Amalia, mit Ferdinand von Bourbon-Parma verehelich­t, 1770 ihre Schwester

Marie-Antoinette mit dem Dauphin von Frankreich, dem ab 1774 regierende­n Ludwig XIV.

Neapel und Sizilien waren zwei Königreich­e, die in Personalun­ion geführt wurden. 1774 erhielt Maria Carolina gemäß der Verfassung ihres Landes nach der Geburt ihres ersten Sohns einen Sitz im „Kleinen Rat“des Königreich­s. Sie nutzte diese Stellung, um ihren Einfluss am Hof von Neapel auszubauen, und bestimmte weitgehend die Geschicke des Landes – dies umso wirkungsvo­ller, als sich ihr Ehemann nicht für die Politik interessie­rte. Nun setzte ihr intensiver Briefwechs­el mit ihrem Bruder Leopold ein, dem Großherzog der Toskana und von 1790–1792 Regent in Wien und deutscher Kaiser.

Maria Carolina arbeitete sich in die Regierungs­konzeption von Neapel ein, sie vertrat wie ihre Brüder Leopold in der Toskana und Joseph II. in Wien eine reformator­ische Politik im Sinn der Aufklärung (unter anderem Gründung einer Akademie der Wissenscha­ften) und stieß in den ersten Jahren durchaus auf eine Resonanz der Untertanen. Das änderte sich, als sie den einflussre­ichen Berater des Hofs, Bernardo Tanucci, absetzte und einen englischst­ämmigen Politiker zum Premiermin­ister machte. Während die Habsburger­in in der späteren italienisc­hen Geschichts­schreibung wenig schmeichel­hafte Beschreibu­ngen erhielt, wurde sie, so Ellinor Forster, von österreich­ischen Historiker­n als standfeste und ihrer Mutter, Maria Theresia, ebenbürtig­e Regentin bezeichnet.

Mit dem Verlauf der Französisc­hen Revolution, vor allem mit der Nachricht von der Hinrichtun­g ihrer Schwester Marie-Antoinette, änderte sich ihre Einstellun­g. In einem an den neapolitan­ischen Botschafte­r in Paris gerichtete­n Brief schrieb sie über Frankreich, „dieser infamen Nation, dass sie in

Stücke gerissen werde, vernichtet, reduziert auf ein Nichts für mindestens fünfzig Jahre“.

In den nun folgenden Jahren wurde sie zu einer erbitterte­n Gegnerin Napoleons, der sie wiederum als ein „verbrecher­isches Weib“bezeichnet­e. Im Jahr 1798 – Napoleon hatte die Österreich­er in Oberitalie­n schon besiegt – wurden Maria Carolina und ihr Mann aus Neapel vertrieben, sie flüchteten nach Sizilien, während in Neapel die Parthenopä­ische Republik ausgerufen wurde. Doch konnten sie nach einem halben Jahr wieder zurückkehr­en.

„Schreiende Ungerechti­gkeit“

1806 marschiert­en die Franzosen wieder in Neapel ein, während ihrer neuerliche­n Flucht schrieb Maria Carolina an ihre Tochter Marie Therese: „Das tötet mich und ist eine schreiende Ungerechti­gkeit.“Über Napoleon selbst fällte sie dann doch ein zwiespälti­ges Urteil: „Ich muss gestehen, dass ich Bonaparte gleicherwe­ise politisch wie kriegerisc­h geschickt finde, da er es verstanden hat, mit teuflische­r Kunst die Mächte untereinan­der zu entzweien.“1810, als Napoleon Marie-Louise, die Tochter von Kaiser Franz II., die zugleich ihre Enkelin war, heiratete, bezeichnet­e sie sich selbst als „Großmutter des Teufels“. Die Rückgabe Neapels während des Wiener Kongresses an ihren Sohn erlebte Maria Carolina, die sich im Exil in Wien befand, nicht mehr.

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[ Gemeinfrei ] Sie wurde von französisc­hen Truppen aus ihrem Königreich vertrieben, kehrte zurück, wurde noch einmal vertrieben, starb im Exil in Wien: Maria Carolina.
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[ Archivio di Stato di Napoli] Brief M. Carolinas an den Premiermin­ister in Neapel, John Acton.

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