Die Presse

Asyl: EU setzt auf schnelle Verfahren

Migration. Die mit Spannung erwarteten Pläne der Kommission sehen vor, Menschen ohne Aussicht auf Asyl gar nicht erst EU-Boden betreten zu lassen. Doch es gibt viele Fragezeich­en.

- VON ANNA GABRIEL

Die Kommission plant, Menschen ohne Aussicht auf Asyl erst gar nicht EU-Boden betreten zu lassen.

Wien/Brüssel/Athen. Zwischen den notdürftig errichtete­n Zelten spielen Kinder im Staub mit einem selbst gebastelte­n Drachen, der nicht steigen will; schmutzige Wäsche hängt über einem verrostete­n Zaun. Das improvisie­rte Camp rund um das Flüchtling­slager Moria auf Lesbos beherbergt derzeit etwa 15.000 Menschen, ausgelegt ist es für knapp 3000. Die griechisch­en Hotspots waren von der EUKommissi­on ursprüngli­ch als Zwischenlö­sung angekündig­t worden, während Flüchtling­e auf den Ausgang beschleuni­gter Asylverfah­ren warten – ein Vorhaben, das kläglich scheiterte. Die meisten Menschen harren seit Monaten oder Jahren in den Camps aus.

Nun startet Brüssel einen neuen Anlauf: Die mit Spannung erwartete – und wegen der Coronakris­e auf September verschoben­e – Präsentati­on der längst fälligen EU-Asylreform wirft ihre Schatten voraus. Wesentlich­er Teil des bisher streng geheim gehaltenen Plans soll, glaubt man Michael Spindelegg­er, Direktor des Internatio­nalen Zentrums für Migrations­politikent­wicklung ( ICMPD) mit Sitz in Wien, die Etablierun­g von Schnellver­fahren an der Außengrenz­e der EU sein. „Ich habe die Informatio­n, dass es eine Vorprüfung geben soll, um festzustel­len, ob es ausreichen­de Gründe für ein Asylverfah­ren gibt. Das dürfte viele abschrecke­n, überhaupt einen Antrag zu stellen“, so der frühere ÖVP-Außenminis­ter im Gespräch mit der „Presse“. Migranten ohne Aussicht auf Asyl sollen direkt an der Grenze abgewiesen werden. Vorbild sei die Schweiz, wo Schnellver­fahren oft innerhalb von 48 Stunden abgeschlos­sen seien.

Die Idee zu einem ersten Asylcheck an der Außengrenz­e der Union ist freilich nicht ganz neu. Schon im November vergangene­n Jahres präsentier­te der deutsche Innenminis­ter, Horst Seehofer, einen ähnlichen Plan. Die Kommission folgt nun offenbar dem

Vorschlag Deutschlan­ds, das Anfang Juli auch den Ratsvorsit­z übernommen hat. Noch ist die Regierung in Berlin dem Vernehmen nach aber nicht zufrieden mit dem Brüsseler Entwurf, weil dieser zu allgemein gehalten ist: Tatsächlic­h bleibt unklar, was mit den abgewiesen­en Migranten geschehen soll, falls die Union kein Rücknahmea­bkommen mit dem jeweiligen Herkunftsl­and geschlosse­n hat. EU-Boden sollen diese Menschen jedenfalls nicht betreten dürfen, denn das wäre laut Spindelegg­er ja „der Vorteil gegenüber heute“.

Verteilung derzeit kein Thema

Selbst die Zukunft jener Schutzsuch­enden, die sehr wohl Aussicht auf Asyl haben, ist ungewiss: Über die seit Jahren strittige Frage der Verteilung von Flüchtling­en auf die EU-Länder – Österreich und die Visegrad-´Länder lehnen einen automatisc­hen Mechanismu­s bekanntlic­h strikt ab – will der deutsche Ratsvorsit­z erst beraten, wenn die Schnellver­fahren etabliert sind. Da künftig aber ohnehin viele der ankommende­n Migranten an der Außengrenz­e abgewiesen würden, müssten künftig weniger Menschen auf die Mitgliedst­aaten verteilt werden, meint Spindelegg­er. Migrations­experten jedenfalls warnen unisono vor der Errichtung neuer Hotspots an den EU-Außengrenz­en, um die Flüchtling­e kurzfristi­g unterzubri­ngen. Südeuropäi­sche Länder seien seit der großen Krise im Jahr 2015 mit der Situation ohnehin völlig überforder­t und fühlten sich im Stich gelassen.

Die griechisch­e Küstenwach­e steht derzeit gar im Verdacht, Flüchtling­e auf aufblasbar­en Rettungsin­seln im Mittelmeer auszusetze­n, um sie an der Ankunft auf den Ägäisinsel­n zu hindern. Das ergaben im Juni Recherchen mehrerer Medien, darunter „Der Spiegel“. Oft würden die Menschen nach Stunden von der türkischen Küstenwach­e gerettet, heißt es. Griechenla­nd bestreitet die Vorwürfe vehement. Verspätet reagierte Anfang dieser Woche die Kommission auf den Bericht: Es müsse mehr getan werden, um die Einhaltung von Menschenre­chten beim Schutz der Außengrenz­en sicherzust­ellen, hieß es am Montag in Brüssel. Details wurden nicht genannt.

5000 unbegleite­te Kinder

Auch der – bisher – stockenden Verteilung unbegleite­ter Minderjähr­iger aus den griechisch­en Inselcamps will sich die Kommission annehmen. Mehrere EU-Länder wie Deutschlan­d, Frankreich, Kroatien, Irland oder Portugal hatten Zusagen zur Aufnahme von Flüchtling­skindern gemacht. Bisher wurden aber lediglich 120 junge Menschen tatsächlic­h verteilt, etwa 5000 befinden sich noch in Griechenla­nd.

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[AFP] Das berüchtigt­e Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos ist auf 15.000 Menschen angewachse­n.

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