Die Presse

„Es ist abnormal, was gerade passiert“

Interview. Karen Khachanov, die Nummer 15 der Tenniswelt, teilt mit der „Presse“seine Gedanken zur Coronakris­e. Der Russe, 24, über den neuen Alltag, die US Open und Dominic Thiems Zukunft.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Presse: Die Verantwort­lichen in Kitzbühel haben ein strenges Sicherheit­skonzept für „Thiems 7“erarbeitet, die Einhaltung der Abstands- und Hygienereg­eln ist elementar. Wird so die neue Normalität auf der Tour aussehen? Karen Khachanov: Zumindest für das nächste halbe Jahr wird es wohl so ablaufen. Aber wir müssen die Situation länderspez­ifisch beurteilen. Es gibt Länder wie Österreich, da ist die Situation schon viel besser als in anderen Regionen. Wir sind momentan alle in einer Situation, in der wir unser Leben und unseren Alltag anpassen müssen. Das gilt auch für uns Tennisprof­is.

Die Tour soll Mitte August in Washington und New York wieder aufgenomme­n werden. Haben Sie es vor ein paar Wochen überhaupt für möglich gehalten, dass 2020 tatsächlic­h noch Tennis gespielt werden könnte?

Meine Gedanken haben sich im Wochenrhyt­hmus geändert. Als das Turnier in Indian Wells Anfang März abgesagt wurde, dachte ich: Okay, es geht um ein Turnier, das ist nichts Dramatisch­es, es wird schon bald wieder weitergehe­n. Wenig später wurde mir bewusst: Verdammt, das ist etwas richtig Ernstes. Vielleicht begleitet uns dieses Problem für eine lange Zeit.

Glauben Sie, dass die US Open stattfinde­n werden? In New York möchte man das Turnier unbedingt austragen.

Ich bezweifle, dass wir in den USA spielen können. Am Ende des Tages will ich genauso spielen wie alle anderen Jungs auch, aber ich sehe uns derzeit einfach nicht in ein paar Wochen in New York Tennis spielen.

Was haben Sie in den vergangene­n Monaten am meisten vermisst?

Auf den Platz zu gehen, sich mit anderen zu messen und alles zu versuchen, um zu gewinnen. Ich vermisse dieses Adrenalin in mir. Es ist seltsam, wenn du monatelang trainierst, aber kein Turnier spielst. Wir Tennisprof­is sind das nicht gewöhnt. Unser ganzes „System“ist also etwas kaputt.

Sie waren nicht wie sonst ständig auf Reisen, sondern haben einige Monate in Moskau verbracht. Für einen Globetrott­er muss das seltsam sein.

Ich habe in den vergangene­n acht Jahren nicht so viel Zeit in Russland verbracht wie zuletzt. Aber für mich hatte diese Phase auch Vorteile. Ich konnte viel Zeit mit meiner Familie verbringen, mit meiner Frau und meinem Sohn. Ich habe ihn aufwachsen sehen, bekam das Gefühl, als hätte ich ein ganz normales Leben, weil ich eben nicht ständig unterwegs war. Diese Monate haben mir also ein bisschen das Gefühl vermittelt, wie mein Leben nach der Karriere aussehen könnte.

Wen trifft diese Zwangspaus­e härter: ältere Spieler, denen die Zeit davonläuft, oder jüngere, denen die Matches fehlen, um sich zu entwickeln?

Diese Situation betrifft uns alle. Wenn du etwas älter bist, ist es vielleicht schwierige­r, dein früheres Niveau zu erreichen. Aber es ist einfach abnormal, was gerade passiert. Jeder von uns hatte Pläne, den Turnierkal­ender vor Augen.

Während dieser Pause ist es wirklich schwierig, Körper und Geist in Balance zu halten. Du weißt nicht, wann du wieder Matches spielst. Sechs Monate eine hohe Intensität im Training beizubehal­ten ist nahezu unmöglich.

Dominic Thiem hat viel und hart trainiert. Sie haben ihn vor Kitzbühel lang nicht gesehen. Ist Ihnen aufgefalle­n, dass er drei Kilo an Muskelmass­e zugelegt hat? Nein, nicht wirklich. Drei Kilo siehst du nicht so einfach. Wären es fünf Kilo, erkennst du den Unterschie­d.

Sehen Sie in Thiem einen künftigen Grand-Slam-Sieger? Definitiv. Dominic hat schon ein paar Mal bewiesen, dass er ganz nah dran ist, stand in drei GrandSlam-Finals – und nur Rafael Nadal und Novak Djokovic´ waren besser. Er ist der Spieler, der diese beiden am allermeist­en fordert.

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[ JFK / EXPA / picturedes­k.com ] Karen Khachanov holte in Kitzbühel einen Sieg aus drei Spielen, sammelte aber wichtige Matchpraxi­s.

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