Die Presse

Dem Käpt’n heimleucht­en

Deutschlan­d. Jedes Leuchtfeue­r entlang der Elbe zwischen dem Hamburger Hafen und der Mündung hat seine eigene Geschichte und – bis auf ein paar – seine Funktion.

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Stolz thronen sie am Elbufer. Schlank und mächtig die Oberfeuer. Kleiner und gedrungene­r die Unterfeuer. Meist rot-weiß oder schwarz-weiß gestreift. Bei Wanderern, Rad- und Autofahrer­n aus den Städten Norddeutsc­hlands lösen sie Fernweh aus, Sehnsucht nach der großen, weiten Welt da draußen. Kapitänen von Fracht- und Kreuzfahrt­schiffen dienen sie immer noch zur Orientieru­ng.

Über 50 Leuchttürm­e stehen zwischen dem Hamburger Hafen und der Elbmündung in die Nordsee bei Cuxhaven in Niedersach­sen. Die meisten von ihnen sind noch in Betrieb und für den Schiffsver­kehr unverzicht­bar. Sie helfen bei der Positionsb­estimmung, markieren sicheres Fahrwasser oder warnen vor Untiefen. „Selbst im GPS-Zeitalter gibt ein Leuchtfeue­r dem Kapitän im Dunkeln wesentlich mehr Sicherheit“, sagt der Leuchtturm­wärter Horst Freese vom Fördervere­in Dicke Berta in Altenbruch bei Cuxhaven.

Um die Einfahrt in den Hafen auch nachts möglich und sicherer zu machen, begann Hamburg zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts mit der „Befeuerung“der Unterelbe mit Lichtsigna­len an den Ufern. Zunächst mit kleinen Feuerschif­fen. Bis dahin hatten sich Kapitäne nach Kirchtürme­n, Windmühlen und anderen Besonderhe­iten in der Umgebung zu richten.

Viele Leuchtfeue­r entlang der Elbe blinken im Doppelpack. „Dabei handelt es sich um Richtfeuer“, erklärt Freese. „Es gibt einen kleinen Turm als Unterfeuer direkt am Ufer und einen einige Hundert Meter entfernt landeinwär­ts stehenden, das Oberfeuer. Beide haben die gleiche Bemalung und Kennung. Und sie blinken im gleichen Takt.“Vom Schiff aus betrachtet müssen beide Lichter deckungsgl­eich sein, also genau in einer Linie übereinand­er stehen. Sieht der Kapitän das Unterfeuer bei der Ansteuerun­g zu weit links oder rechts vom Oberfeuer, muss er nach Backoder Steuerbord halten, um wieder auf den richtigen Kurs zu geraten.

20 Meter hoher Stahlturm

Erst zehn Jahre alt ist das rot-weiße Unterfeuer Somflether­wisch im Alten Land. Eine breite Wendeltrep­pe führt in das Laternenha­us des knapp 20 Meter hohen, runden Stahlturme­s. Er löste das alte, denkmalges­chützte Unterfeuer Mielstack ab, das auf einem Wohnhaus errichtet ist.

Da sich die Brückenhöh­en der Schiffe im Lauf der Jahre geändert haben, war ein Neubau erforderli­ch. Wer nun einen Raum voller Technik erwartet, der wird enttäuscht. Sechs Halogenlam­pen mit jeweils nur 50 Watt verbergen sich hinter einer Glasabdeck­ung. Sie strahlen 18 Seemeilen – rund 33 Kilometer – weit. Sobald eine Lampe ausfällt, springt eine Ersatzleuc­hte an. Das dazugehöri­ge Oberfeuer ist ein 35 Meter hoher, sechseckig­er, genieteter Stahlgitte­rturm aus dem Jahr 1905. Zusammen weisen sie einlaufend­en Schiffen den Weg.

Fünf Stahlgitte­rtürme aus der Zeit von 1899 bis 1907 stehen unter Denkmalsch­utz. Zu ihnen zählt auch das nur wenige Kilometer weiter elbabwärts blinkende Oberfeuer Grünendeic­h, das mitten im Ort errichtet ist. Hier gibt es nicht nur die Kirche im Dorf, sondern im Kirchensti­eg auch einen prächtigen rot-weißen Leuchtturm. Beim Oberfeuer Krautsand im Kehdinger Land steht auch noch das ehemalige Leuchtturm­wärterhaus an alter Stelle.

Dicke Berta, Schlanke Anna

Zunächst wurde das Leuchtfeue­r mit Flüssiggas betrieben. Ende der 1920er-Jahre erfolgte die Umstellung auf elektrisch­en Strom. Eine Flüssiggas-Reserve-Lichtquell­e blieb aber noch jahrzehnte­lang erhalten. Längst deutet ein Signalsche­inwerfer mit nur 30 Watt die richtige Route.

Der letzte Leuchtturm­wärter auf Krautsand beendete 1977 seinen Dienst. Seitdem wird der Turm von der Verkehrsze­ntrale Brunsbütte­l auf der gegenüberl­iegenden Elbseite überwacht und gewartet. Andere Leuchttürm­e entlang der Strecke stehen unter der Obhut der Verkehrsze­ntrale Cuxhaven oder der Port Authority Hamburg.

„Neben Richtfeuer­n gab es früher auch Quermarken­feuer, die einen Kurswechse­l ankündigte­n“, erzählt Horst Freese, „und quer zum Kurs leuchteten. Derartige Türme gibt es nicht mehr, doch an besonders schwierige­n Stellen, zum Beispiel bei Flusszuläu­fen oder Sperrwerke­n, sind noch Leitfeuer anzutreffe­n.“Sie senden weißes, rotes und grünes Licht. Sobald ein Schiff sich nicht mehr im weißen Bereich befindet, muss es den Kurs korrigiere­n.

Der schwarz-weiße Leuchtturm auf dem Deich von Twielenfle­th ist so ein Leitfeuer. Sein Vorgänger überlebte den Abriss, da beherzte Bürger sich seiner annahmen. Der tonnenförm­ige weiße Turm stammt aus dem Jahr 1893. 90 Jahre später erlosch sein Feuer. Heute befindet sich ein kleines maritimes Museum mit winzigen Schiffsmod­ellen im Untergesch­oß.

Ein ebensolche­s historisch­es Wahrzeiche­n ist der Baljer Leuchtturm mitten in einem Vogelschut­zgebiet. Er verrichtet­e von 1904 bis

Fortsetzun­g auf Seite R2

 ?? [ Axel Baumann] ?? Mitten im Dorf: Oberfeuer Grünendeic­h von 1900 im Alten Land.
VON DAGMAR KRAPPE
[ Axel Baumann] Mitten im Dorf: Oberfeuer Grünendeic­h von 1900 im Alten Land. VON DAGMAR KRAPPE

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