Schone Urlaubsgruße aus Hitlers Reich
Bier, Fachwerk und Fackelzüge: Nazideutschland war vor allem bei Engländern und Amerikanern ein beliebtes Reiseziel. Wie Schriftsteller und einfache Touristen die totalitäre Diktatur erlebten, schildern drei Bücher.
Thomas Wolfe schaute sich alles an, aber so manches übersah er. Der amerikanische Erfolgsautor litt an Germanophilie. Deutschland war für ihn das „spitzgiebelige Spielzeugland“, von dem er „immer geträumt hatte“. Auf sechs Reisen zwischen 1926 und 1936 berauschte er sich im Münchner Hofbräuhaus, erfreute sich an den intakten Altstädten von Frankfurt und Nürnberg, blickte vom Dampfer im Rhein zur Lorelei empor und staunte, wie „blitzblank und effizient“doch alles war. Sicher, die Stiernacken und von Säbeln zerfurchten Gesichter gefielen ihm nicht, und doch hegte er kollektive Sympathie für das „freundlichste Volk der Welt“. Erst ab 1935, als man den hofierten Literaten von früheren Bekannten fernhalten wollte, begann er, „das ganze Ausmaß des Schreckens zu spüren“. Mit einer Novelle, in der ein Jude auf der Flucht im Zug verhaftet wird, sagte Wolfe Deutschland ein bitteres Lebewohl – „jener uralten Erde, die ich so lange geliebt hatte“.
Zusammen mit zwei weiteren Erzählungen, Notizen und Briefen lässt sich diese exemplarische Erfahrung nun in „Thomas Wolfe. Eine Deutschlandreise“nachvollziehen. Herausgeber ist der Germanist Oliver Lubrich, der im (zurzeit vergriffenen) Buch „Reisen ins Reich“das Thema breiter behandelt hat. Nazideutschland war ein beliebtes Reiseziel, vor allem für Engländer und Amerikaner. Sie wurden von der Propaganda kräftig umworben, am stärksten rund um die Olympischen Spiele von 1936. Nicht wenige genossen auch andere Masseninszenierungen, vom Fackelzug bis zum Reichsparteitag, ganz naiv als prächtiges Spektakel.
Eine Amerikanerin für den Führer
Die Neugier lockte Literaten an, neben Sympathisanten auch entschiedene Gegner des Faschismus. Was nahmen sie mit dem fremden Blick wahr? Manche erstaunlich wenig. Graham Greene fand Berlin so charmant, dass er fast hinziehen wollte. Somerset Maugham feierte regelmäßig Fasching in München. Der später politisch so überwache Jean-Paul Sartre vergrub sich 1933, dem Jahr der Machtergreifung, weltentrückt in die Bibliotheken Berlins. Samuel Beckett brauchte sechs Monate, bis er fluchte: „Bald muss ich wirklich kotzen. Oder nach Hause gehen.“Virginia Woolf hingegen schildert ihren Transit durch den Terrorstaat so kom
pakt wie plastisch. Schon an der Grenze bemerkte sie: „Wir werden unterwürfig.“Mit dabei war ihr Hausäffchen Mitzi, auch um von ihrem jüdischen Ehemann abzulenken. Als ihr Auto in eine Menschenmenge geriet, die Göring erwartete, wurde das Gefährt mit jenem des Nazi-Bonzen verwechselt, und die Massen jubelten einem Affen zu. Angesteckt von der Euphorie, riss auch Woolf einen Arm zum Gruß hoch, wofür sie sich kurz darauf heftig schämte. Der „Maigret“Autor Georges Simenon, in Berlin als Korrespondent tätig, stieß im Lift mit Hitler persönlich zusammen – und verglich dessen Gesichtszüge mit denen eines Serienkillers.
Dem Führer regelrecht zugeführt wurde Martha Dodd – mit dem Hinweis, dieser brauche eine Frau. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Tochter des US-Botschafters sexuell sehr aktiv war. Männer in NaziUniform reizten sie besonders, sie schlief mit dem Fliegerhelden Udet und dem Gestapochef Diels. Aber sie war zu klug und gut informiert, um auf Dauer die Augen zu verschließen. Zurück in Amerika, verarbeitete sie ihren Gesinnungswandel im Bestseller „Meine Jahre in Deutschland“, der als Reisebericht anhebt, sich zum Bildungsroman weitet und als Manifest endet. Noch vor der Reichskristallnacht warnte Dodd, deutlich wie wenige, der Nationalsozialismus ziele auf die „Vernichtung“der Juden ab: „Hitlers Freveltaten werden ein Ausmaß annehmen, das in den Annalen beispiellos sein wird.“
Einen abgründigeren, aber auch kuriosen Wandel vollzog Jean Genet. Bevor er zum angesehenen Dichter avancierte, zog er als Dieb, Landstreicher und Stricher durch Europa, immer auf der Flucht. Als radikal Randständiger warf er sich Frankreichs Feinden in die Arme, ästhetisch und sexuell angezogen von der Gewalt und dem Bösen. Aber in Berlin erkannte er: „Das ist ein Volk von Dieben. Wenn ich hier stehle, gehorche ich nur der allgemeinen Ordnung.“Und so sehnte sich der „Poe`te maudit“dorthin zurück, wo die „Gesetze der geläufigen Moral“gelten, „auf die sich das Leben gründet“.
Naiver Kennedy, verblüffter Soziologe
Aus anderen Gründen schockieren die Reiseberichte des jungen John F. Kennedy. Als Collegestudent bereiste der spätere US-Präsident 1937 Europa, auch Deutschland. Er besichtigte brav, führte viele Gespräche – aber im Grunde hatte er wohl nur Mädchen und Partys im Kopf. Anders lassen sich seine Notizen schwer pardonieren: „Faschismus ist das Richtige für Deutschland und Italien“, die „nordischen Rassen“seien den romanischen „überlegen“und die Deutschen „wirklich zu gut, deshalb rottet man sich gegen sie zusammen“. Freilich bissen sich viele Amerikaner auf die Zunge, bevor sie sich über Antisemitismus ereiferten – zu leicht war mit der Rassentrennung bei ihnen zu Hause zu kontern. Der schwarze US-Soziologe W. E. B. Du Bois stellte bei seinem Forschungsaufenthalt 1936/37 verblüfft fest, dass ihn niemand diskriminierte. Aber er verstand schnell, warum: Im Dritten Reich gab es fast keine Schwarzen, und der Rassismus fokussierte sich ganz auf die Juden, dies aber in einer „Grausamkeit“, die „alles übersteigt, was ich je gesehen habe; und ich habe viel gesehen.“
Wie wenig, wie viel sahen einfache Touristen? Vor allem an ihre Fersen heftete sich die Britin Julia Boyd in dem preisgekrönten Sachbuch „Travellers in the Third Reich“. Es beginnt mit einem britischen Paar auf Hochzeitsreise. In Frankfurt trat eine angsterfüllte jüdische Frau auf sie zu und flehte sie an, ihre Tochter nach England mitzunehmen. Wie hätten wir reagiert? Die Autorin antwortet ehrlich: Weggedreht hätte sie sich nicht, aber der Frau erklärt, sie könne ihr leider nicht helfen. Das junge Paar aber nahm Gre
ta mit und zog sie bei sich auf. Das wäre kein Sujet für Novellen und Romane, es klingt zu gewollt erbaulich. Aber es ist der beste, viel zu seltene Stoff für das echte Leben.