Die Presse

Das Vermächtni­s des John Lewis

USA. Die Nation nimmt Abschied von einem Helden der Bürgerrech­tsbewegung und langjährig­en Abgeordnet­en. Er trat stets für friedliche­n Protest ein. Sein Sarg wird im Kapitol aufgebahrt.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington. An Gedenktage­n marschiert­e er mit den Clintons über die Brücke, mit den Obamas und mit vielen, vielen anderen. Trotz der Coronakris­e – die vor allem in den Südstaaten grassiert – waren am Sonntag zahlreiche Menschen nach Selma in Alabama gekommen. Bei dem Trauerzug samt Lafette säumten sie die Straßen und gaben John Lewis das letzte Geleit über jene Brücke, auf der er beinahe sein Leben verloren hatte – und wo er als Student an der Seite Martin Luther Kings Zivilcoura­ge gezeigt und für die Gleichbere­chtigung von Schwarzen eingetrete­n war.

Nach dem Willen vieler Amerikaner soll die Edmund-Pettus-Brücke in Selma bald den Namen des kürzlich im Alter von 80 Jahren an einem Krebsleide­n verstorben­en Bürgerrech­ts-Veteranen tragen. Mit Schlagstöc­ken hatten Polizisten 1965 auf ihn eingedrosc­hen, und John Lewis erlitt eine Schädelfra­ktur. Zwei Jahre zuvor hatte er als 23-Jähriger den Marsch nach Washington mitorganis­iert, wo Martin Luther King am Lincoln

Memorial seine legendäre „I Have A Dream“-Rede gehalten hatte.

Lewis zog in den 1980er-Jahren als Abgeordnet­er der Demokraten für den Bundesstaa­t Georgia in den Kongress ein, und noch im Juni inspiziert­e er – schon schwer gezeichnet – mit Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser den Platz vor dem Weißen Haus, der neuerdings „Black Lives Matter Plaza“heißt.

Solidaritä­tsaktionen

Damals zeigte sich Lewis besorgt über die Eskalation der Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt und zugleich ermutigt von der politische Dynamik und den jungen Aktivisten aller Hautfarben. Er rief die Aktivisten indessen zu friedliche­n Protesten auf. Die jüngsten Ausschreit­ungen und Unruhen in Seattle, Portland oder in Austin, wo am Wochenende ein Demonstran­t zu Tode kam, waren deshalb gar nicht in seinem Sinn. Vor allem in Seattle mischten sich Randaliere­r unter die Menge. Tränengas waberte in den Straßen, es flogen Blendgrana­ten und Brandsätze.

In Seattle und am Kapitol in Washington fanden am Wochenende Solidaritä­tsaktionen für die Demonstran­ten in Portland statt. Auch in anderen Städten flammten die Proteste im Gefolge des Tods von George Floyd nach rund zehn Wochen wieder auf – in New York, Richmond, Louisville, Omaha, Oakland oder in Los Angeles. Vereinzelt kam es auch dort zu Szenen, die Präsident Donald Trump mit der Entsendung von Bundestrup­pen in Städte wie Portland evoziert hat.

Trump geriert sich als Hüter von Recht und Ordnung, und er nimmt eine Eskalation der Demonstrat­ionen bewusst in Kauf, um seine Wiederwahl zu retten. Bürgermeis­ter und Gouverneur­e verwahren sich vehement gegen den Einsatz von Truppen des Heimatschu­tzminister­iums, einige haben auch Klage eingereich­t. Tom Ridge, der frühere republikan­ische Gouverneur von Pennsylvan­ia und erste Heimatschu­tzminister des unter George W. Bush in der Folge des 9/11-Terrors eingericht­eten Ressorts, übte scharfe Kritik an Trump. „Die Truppen sind zum Schutz gegen den Terror geschaffen worden. Sie sind nicht die persönlich­en Milizen des Präsidente­n.“

In Washington hoffen viele jetzt auf eine Beruhigung der Situation. Die kommenden Tage stehen in der US-Hauptstadt im Zeichen des Abschieds von John Lewis, sein Vermächtni­s des friedliche­n Widerstand­s wird im Vordergrun­d stehen und von Demokraten wie Republikan­ern gepriesen werden.

Nicht nur für Obama ein Held

Am Samstag fand die erste Trauerfeie­r für Lewis in Alabama statt, den „Boy of Troy“, der ursprüngli­ch Pastor werden wollte. Unter anderem würdigte Martin Luther King III., der Sohn des Friedensno­belpreistr­äger, den Mitstreite­r. Zwei Tage ist der Sarg des Abgeordnet­en auf dem Kapitol aufgebahrt, unter der Rotunde des Kongresses – eine Ehre, die üblicherwe­ise nur Präsidente­n zuteil wird. Am Donnerstag wird sich der Kreis in Atlanta schließen. Die Ebenezer Baptist Church, die Wirkstätte von Reverend Martin Luther King, ist der Ort des Requiems für jenen Mann, der Barack Obama als großer amerikanis­cher Held gilt. Nach seiner Angelobung fiel Obama Lewis um den Hals und dankte ihm: „Ohne dich würde ich nicht da stehen.“

 ?? [ Reuters ] ?? Das letzte Geleit für John Lewis. Überschatt­et von Protesten stehen die USA im Zeichen des Abschieds von dem Helden der Bürgerrech­tsbewegung.
[ Reuters ] Das letzte Geleit für John Lewis. Überschatt­et von Protesten stehen die USA im Zeichen des Abschieds von dem Helden der Bürgerrech­tsbewegung.

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