Die Presse

Um alles Gold der Welt bekommt man acht Mal Apple

Der Börsenwert eignet sich gut, um Vergleiche anzustelle­n. Wer sich jedoch zu stark auf ihn verlässt, kann eine böse Überraschu­ng erleben.

- VON BEATE LAMMER E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

Wenn Jeff Bezos gezwungen wäre, alle seine Amazon-Aktien zu verkaufen, würde sich schnell zeigen, dass er gar nicht so reich ist.

Apple (1,6 Billionen Dollar) ist an der Börse neun Mal so viel wert wie sämtliche bereits geschürfte­n Bitcoin (176 Milliarden Dollar). Amazon-Gründer Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt, könnte sich gerade alle Bitcoin leisten. Hätte man jedoch alles Gold der Welt (rund zwölf Billionen Dollar), könnte man fast acht solche Unternehme­n wie Apple kaufen. Alle börsengeha­ndelten Aktien weltweit (87 Billionen Dollar) würden wiederum mehr als sieben Mal so viel kosten wie alles Gold der Welt.

Derlei Zahlenspie­lereien lassen sich anhand des Börsenwert­s oder der Marktkapit­alisierung anstellen. Doch was ist das eigentlich für eine Zahl, die etwa auch belegen soll, dass Tesla mehr wert ist als die deutschen Autobauer VW, Daimler und BMW zusammen? Oder dass durch die WirecardPl­eite 20 Milliarden Euro „vernichtet“ wurden? Der Börsenwert ist der Preis, der gegenwärti­g für eine Aktie (oder eine Bitcoin-Einheit oder eine Unze Gold) bezahlt wird, multiplizi­ert mit der Anzahl aller Aktien (Einheiten).

Oft wird er auch als der Preis bezeichnet, den man bezahlen müsste, wenn man das ganze Unternehme­n kaufen wollte. Doch das stimmt nicht: Wenn jemand ein börsenotie­rtes Unternehme­n übernehmen will, sorgt meist allein sein Interesse dafür, dass der Kurs stark ansteigt und er schließlic­h weit mehr hinlegen muss. (Ein Unternehme­n heimlich und schrittwei­se zu kaufen, geht auch nicht so leicht, denn es gibt Meldepflic­hten, und ab einer bestimmten Höhe muss man ein Übernahmea­ngebot legen.)

Umgekehrt sollte man sich nicht darauf verlassen, dass man den Börsenwert in bar erhält, wenn man ein großes Aktienpake­t oder gar ein ganzes Unternehme­n schnell loswerden will. Nicht einmal als Kleinanleg­er hat man die Garantie, dass man den „Wert“, den man in seinem Depot sieht, je zu Geld machen kann. Wenn etwa alle Tesla-Aktionäre gleichzeit­ig auf die Idee kämen, ihre Aktien auf den Markt zu werfen, würden sie wohl kaum insgesamt 265 Milliarden Dollar oder pro Aktie 1400 Dollar erhalten – der Börsenwert, den Tesla derzeit hat. Umgekehrt haben die meisten von ihnen auch nicht annähernd so viel bezahlt. Wer die Tesla-Aktie nicht erst heuer gekauft hat, sondern schon länger hält, hat weniger als ein Drittel des gegenwärti­gen Kurses bezahlt. Wenn die Tesla-Aktie fällt, wird er das wohl als schmerzlic­hen Verlust empfinden, doch eigentlich war das Geld nie da.

Aus dem gleichen Grund dürfte auch bei Wirecard der Schaden der Anleger weit geringer sein als 20 Milliarden Euro. Denn nicht alle haben zum Höchstkurs gekauft. Irgendwann im Herbst 2018 war Wirecard mehr als 20 Milliarden Euro „wert“, weil diese Zahl herauskam, wenn man die Anzahl der Aktien mit dem damals in die Höhe gehypten Kurs multiplizi­erte. Tatsächlic­h war dieser Wert nie vorhanden. Zumindest nicht in dem Sinn, dass alle so viel bezahlt hätten (auch wenn es Einzelne taten). Wenn Jeff Bezos gezwungen wäre, alle seine Amazon-Aktien zu verkaufen, würde sich schnell zeigen, dass er gar nicht so reich ist. Er würde wohl kaum so viel erhalten, um sich alle Bitcoin leisten zu können. Fazit: Der Börsenwert eignet sich gut, um Vergleiche anzustelle­n. Er lässt sich aber nur bedingt zu Geld machen. Doch kann man die Sache auch umgekehrt sehen. Goldbesitz­er, so heißt es oft, haben immer die gleiche Anzahl Unzen im Tresor, unabhängig davon, wo der Goldpreis gerade steht. (Der Goldpreis kratzt übrigens gerade sogar in Dollar an seinem Allzeithoc­h.)

Das ist eine vernünftig­e Einstellun­g, die sich auch Aktionäre zulegen sollen: Wenn auch der Preis von Aktien schwankt, man hält einfach Unternehme­nsanteile, und wenn es sich um ein gutes Unternehme­n handelt, sollte man irgendwann auch einen guten Preis dafür bekommen.

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