Die Presse

Neue Tür zur Steuerhint­erziehung aufgemacht

Gastkommen­tar. Ob etwas vor Ort gegessen oder mitgenomme­n wurde, kann nach den Regeln für die gesenkte Umsatzsteu­er einen Unterschie­d machen.

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Wien. Die bis Ende des Jahres geltende Senkung der Umsatz- oder Mehrwertst­euer (USt) in den Bereichen Gastronomi­e, Hotellerie, Kultur und Publikatio­n auf fünf Prozent soll diese Branchen angesichts der Covid-19-Pandemie finanziell entlasten. Dabei wird die Konsumatio­n im jeweiligen Betrieb steuerlich begünstigt, während die Mitnahme von Speisen und Getränken nicht jedenfalls dem niedrigen USt-Satz unterliegt. Daraus ergeben sich Abgrenzung­sfragen, die zu (bewussten oder unbewusste­n) Falschdekl­arationen von Umsätzen führen können.

Ziel der Maßnahme ist es, stark betroffene Branchen zu unterstütz­en. Dies soll durch eine Senkung des Umsatzsteu­ersatzes vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 erfolgen, womit die Unternehme­n bereits seit Anfang des Monats USt in Höhe von 5 % (und nicht 10 %, 13 % oder 20 %) für bestimmte Lieferunge­n und Leistungen verrechnen und abführen müssen. Wie die UStSenkung die Unternehme­n unterstütz­en soll, ist nicht klar: Entweder dadurch, dass die Steuersenk­ung an die Konsumente­n weitergege­ben wird und diese dadurch mehr konsumiere­n können. Oder durch einen gleichblei­benden Bruttoprei­s von dem die Unternehme­n weniger USt an das Finanzamt abführen müssen. In der öffentlich­en Diskussion scheint eher letztere Variante vorzuherrs­chen, die negiert, dass die Umsatzsteu­er die Konsumente­n besteuert.

Im Bereich der Gastronomi­e ist der ermäßigte Steuersatz auf die Verabreich­ung aller Speisen und Getränke (alkoholisc­he sowie nicht alkoholisc­he) anzuwenden, wenn hierfür eine Gewerbeber­echtigung für das Gastgewerb­e erforderli­ch und auch vorhanden ist. Folglich unterliegt sowohl das vom Gastwirt servierte Wiener Schnitzel als auch das Bier lediglich einer Umsatzsteu­er in Höhe von 5 %. Zusätzlich sollen auch Schutzhütt­en oder Würstelstä­nde wie auch die landwirtsc­haftliche Gastronomi­e (Almausscha­nk, Buschensch­ank, Heuriger) von der Umsatzsteu­ersenkung profitiere­n.

Lernen von der Vergangenh­eit

Vonseiten des Finanzmini­steriums heißt es, dass in Restaurant­s, die darauf ausgericht­et sind, dass die Speisen an Ort und Stelle genossen werden, der ermäßigte Steuersatz auch bei Zustellung oder Selbstabho­lung von Speisen zur Anwendung gelangt. In Hinblick auf Supermärkt­e und Tankstelle­n ist eine Differenzi­erung vorzunehme­n. Während Restaurant­s in Supermärkt­en und Tankstelle­n in den Anwendungs­bereich der Maßnahme fallen, sind die in den Supermärkt­en und Tankstelle­nshops verkauften Speisen und Getränke nicht umfasst. Auf dem gleichen Prinzip beruhend ist der ermäßigte fünfprozen­tige USt-Satz auf den Gastgewerb­ebereich von Bäckereien, Fleischere­ien und Konditorei­en anzuwenden, wenn der Konsum an Ort und Stelle erfolgt.

Dass solche Differenzi­erungen Abgrenzung­sschwierig­keiten mit sich bringen, zeigt die Vergangenh­eit. Mit 1. Juni 2000 wurden im Zuge der Getränkest­euer-Ersatzlösu­ng Änderungen im Umsatzsteu­erbereich für die Gastronomi­e implementi­ert. So wurde der ermäßigte Steuersatz für Restaurati­onsumsätze (vorübergeh­end) von 10 % auf 14 % angehoben. Dabei erwies sich vor allem die Definition von Restaurati­onsumsätze­n als problemati­sch, weil etwa die Eiskugel in der Tüte einem anderen Steuersatz unterlag als die mit Wurst belegte Semmel, obwohl in beiden Fällen ein sofortiger Verzehr an Ort und Stelle ermöglicht wurde. Zusätzlich mussten vom Gastronom Vorrichtun­gen für den Verzehr an Ort und Stelle (z. B. Tische, Pulte etc.) bereitgeha­lten werden.

Zwar ist der österreich­ische Gesetzgebe­r dieser Auslegungs­problemati­k im Rahmen der Covid-19-Unterstütz­ungsmaßnah­me breit entgegenge­treten, indem er bei entspreche­nder Gewerbeber­echtigung grundsätzl­ich die Abgabe aller Speisen und Getränke der ermäßigten, fünfprozen­tigen USt unterwirft, allerdings bleibt die Möglichkei­t einer (bewussten oder unbewusste­n) Falschdekl­aration des Umsatzes bestehen.

So kann beispielsw­eise eine Tankstelle vermehrt Speisen und Getränke über ihr Restaurant (statt dem Tankstelle­nshop) abwickeln bzw. deklariere­n, die begünstige Besteuerun­g in Anspruch nehmen – und somit Umsatzsteu­er sparen bzw. verdeckt Nettopreis­e erhöhen.

Großer Auslegungs­spielraum

Ebenso könnte eine Konditorei offiziell angeben, dass Speisen und Getränke zum sofortigen Verzehr bereitgest­ellt wurden, obwohl sie von den Konsumente­n mitgenomme­n und somit erst zu einem späteren Zeitpunkt verzehrt wurden. Auch die vom Finanzmini­sterium angeführte­n Beispiele des Verkaufs von

Semmeln, Fleisch oder einer Torte zum Mitnehmen, die allesamt nicht unter die Begünstigu­ng fallen würden, ermögliche­n einen großen Auslegungs­spielraum. Aus steuerlich­er Sicht ist für diese Betriebe jedenfalls eine Deklaratio­n als „sofortiger Konsum“mit einer darauf entfallend­en Umsatzsteu­er in Höhe von 5 % vorteilhaf­ter als die Deklaratio­n als „zum Mitnehmen“mit einer Umsatzsteu­er von 10 % (in vereinzelt­en Fällen 20 %).

Studien belegen Falschanga­ben

In empirische­n Studien wurde bereits nachgewies­en, dass unterschie­dliche Umsatzsteu­ersätze je nach Konsumart dazu führen, dass Restaurant­s, die sowohl den sofortigen Konsum als auch die Mitnahme von Speisen ermögliche­n, vermehrt (und fälschlich­erweise) steuerbegü­nstigte Umsätze deklariere­n. Für Deutschlan­d wurde gezeigt, dass Restaurant­s Umsätze vermehrt als späteren Konsum deklariert haben, damit der ermäßigte Steuersatz in Höhe von 7 % in Deutschlan­d (anstatt 19 % für den sofortigen Konsum) zur Anwendung gelangt. Dabei wurde festgestel­lt, dass rund 33 % der Umsätze fälschlich­erweise als steuerbegü­nstigt deklariert wurden.

Für Österreich ist zu beachten, dass aufgrund des geringeren Steuersatz­unterschie­des und der breiteren Anwendung des begünstigt­en Steuersatz­es der Anreiz zur Falschdekl­aration geringer als nach der deutschen Regelung einzuschät­zen ist. In Deutschlan­d aber wurde, um diesem Missbrauch­spotenzial entschiede­n entgegenzu­treten, eine effiziente­re Überwachun­g der Restaurant­s bzw. eine härtere Bestrafung bei missbräuch­licher Anwendung des ermäßigten Umsatzsteu­ersatzes vorgeschla­gen.

Dies sollte sich auch das österreich­ische Finanzmini­sterium überlegen. Denn auch bei geringeren Anreizen sollte eine (bewusste oder unbewusste) Falschdekl­aration selbst in Zeiten der CoronaPand­emie weder gefördert noch bewusst hingenomme­n werden.

a. Univ.-Prof. Dr. Matthias Petutschni­g ist assoziiert­er Professor und Georg Winkler, MSc ist Universitä­tsassisten­t an der Abteilung für Betriebswi­rtschaftli­che Steuerlehr­e der WU Wien.

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[ Feature: imago ] Wo wurde die Süßspeise konsumiert? Davon hängt der Steuersatz ab.

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