Die Presse

Was die Festspiele mit einem Wanderzirk­us zu tun haben

Wenn Bayreuth nicht spielt, weiß sich der Wagneriane­r mit Lektüre zu helfen: „Wagners vergessene­r Prophet“Angelo Neumann kam zu Ehren. Ein Buch über Richard Wagners ersten „Propheten“.

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Als Ersatz für die Bayreuther Festspiele, die dieser Tag eröffnet worden wären, kommt heuer ein neues Buch gerade recht. Von Josef („Angelo“) Neumann (1838 –1910) wusste man bestenfall­s, dass er viele Jahre lang dem „Deutschen Theater“in Prag zur Hochblüte verholfen hat. Und dass er noch zu Lebzeiten Wagners mit dem „Ring des Nibelungen“auf Europareis­e ging.

Jurist und Musikwisse­nschaftler Heinz Irrgeher hat nun die erste Biografie jenes musikalisc­h-theatralis­chen Energiebün­dels veröffentl­icht, dem es gelang, dieses Wahnsinnsp­rojekt zu realisiere­n.

So gut wie jedes Detail musste für Irrgehers Diplomarbe­it, auf der dieses Buch beruht, neu recherchie­rt werden. Das beginnt mit dem Geburtsort, einem kleinen Dorf in der Nähe Pressburgs, des damaligen Pozsony in der ungarische­n Reichshälf­te.

Wie sein bedeutend jüngerer Kollege Gustav Mahler, in dessen Kapellmeis­terleben er eine Rolle spielen sollte, war Neumann aus Karrieregr­ünden Konvertit. Seine Herkunft schadete freilich nicht einmal seinem guten Kontakt zu Bayreuth. Richard Wagner und die besonders antisemiti­schen Seinen wussten ja auch im Fall des „Parsifal“-Uraufführu­ngs-Dirigenten, Hermann Levi, was sie jüdischen Interprete­n zu verdanken hatten.

Neumann, der es tatsächlic­h schaffte, die gesamte Nibelungen-Tetralogie auf einer Gastspielr­eise europaweit bekannt zu machen, war als Besucher der Wiener Hofoper zum glühenden Wagneriane­r geworden. Als Kapellmeis­ter in Wagners Geburtssta­dt Leipzig, deren Bürger noch gar nicht von ihrem Landsmann eingenomme­n waren, brachte er den „Ring“– gegen Widerständ­e und Quertreibe­reien 1878, also nur zwei Jahre nach den Premieren zur Erstauffüh­rung außerhalb Bayreuths.

Schwiegerp­apa Franz Liszt richtete Wagner brieflich aus: „Neumann hat seine Sache teilweise sogar besser gemacht als Du in Bayreuth.“

Fesselnd zu lesen dann, wie Neumanns logistisch­es Geschick Sonderzüge auf Schiene brachte, die Sänger,

Musiker und Dekoration­en durch die Lande führten. Während eine Aufführung lief, rollten die Waggons der vorangegan­genen schon zum nächsten Spielort.

Von Breslau (September 1882) fuhr der „Wagner-Zug“über Posen, Königsberg, Danzig, Hannover, Hamburg und, und, und bis nach Mailand, Triest, Budapest und Graz.

Schon weil nie wieder jemand so etwas zuwege bringen wird, war es wichtig, Neumanns Biografie zu schreiben. Dass Irrgeher seine Recherchen, wie damals 350.000 Menschen zu Wagneriane­r wurden, auch noch launig lesbar zu Papier gebracht hat, macht sein Buch zur Pflichtlek­türe (Leipziger Universitä­tsverlag).

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

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VON WILHELM SINKOVICZ

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