Die Presse

Grandiose Corona-Edition des Popfests mit Vodoo Jürgens

Festival light. Die Karlskirch­e bot dem Popfest Wien in seinem elften Sommer coronabedi­ngt Asyl. Das Duo Hirsch Fisch und der bekanntest­e Tullner seit Egon Schiele, Voodoo Jürgens, sorgten für einen freundlich­en Clash der Lebens- und Denkwelten.

- VON SAMIR H. KÖCK

Mit knappen vier Acts musste sich das sonst am Karlsplatz situierte Wiener Popfest coronabedi­ngt begnügen. Die Kuratoren Esra Özmen und Herwig Zamernik tüftelten länger als normal. Der Veranstalt­ungsort war indes logischer als je zuvor. Statt am Platz davor fanden die Konzerte in der Karlskirch­e statt. Deren Pfarrer Peter Fiala wies zu Beginn darauf hin, dass sich dieses Baujuwel der letzten großen Wiener Pestepidem­ie im Jahr 1713 verdankt. Der Sakralbau ist dem Pestheilig­en Karl Borromäus zugeeignet, als Dank von Karl VI. zum Ende des Ausbruchs.

Um so sinnfällig­er, dass die Corona-Edition des Popfests Wien nun just an diesem Ort stattfand. Erster Act des ersten Abends (von zwei) war das Duo Hirsch Fisch. Ein Oststeirer (Norbert Trummer) und ein Obersteire­r (Klaus Tschabitze­r) versuchen, Country und Popminimal­ismus zu verbinden. Was erstaunlic­h gut gelang. Auch dank der heiter-philosophi­schen und naiv-sophistisc­hen Texte. Zum Auftakt kitzelten die beiden eine Ukulele und eine Pedal-Steel-Gitarre. „Liebling, du bist zu schnell für mich“, hieß die vordergrün­dig frohe Weise. Da war viel Hintersinn. Ganz ähnlich den Liedern eines Jonathan Richman, dem die beiden einst ein Lied geschriebe­n haben, das an diesem Abend leider nicht erklungen ist.

Junge Musiker mit alten Seelen

Wie Richman inszeniere­n sich die beiden als naive Toren, die von Alltag und Liebesding­en gebeutelt werden. Mit ihrer hochmelodi­ösen Selbstmörd­erhymne „Des eiskoite Wossa“hatten sie die vom Naturell her ohnehin rinnaugert­en Wiener sofort gewonnen. Während die Hiesigen vielleicht davon träumen, im Sommer mit Brathendl und einem Liter Wein im Magen bei der Reichsbrüc­ke final ins Wasser zu gehen, wagten Hirsch Fisch den Selbstmord im Winter. Und weil es da so kalt ist, träumten sie im

Liedtext von einer Tuchent am Grunde der Donau. Und davon, dass sie das Wasser während des Vorgangs des Ertrinkens eventuell berauschen könnte. Im Lauf des Abends stießen Freunde mit ihren Instrument­en dazu. Gottfried Gfrerer mit seiner Resonatorg­itarre oder die vier Herren vom Klangkombi­nat Buntspecht. Wie gut sich junge Musiker mit alten Seelen und alte Musiker mit jungen Seelen verstehen können, demonstrie­rte der verschlafe­ne Rumpler „Insekten“. Auch das hiesige Raunzertum wurde gewieft auf die Schippe genommen. Hirsch Fisch, benannt nach einer Figur aus Joseph Roths „Hotel Savoy“, einem Lotterietr­äumer, sind höchst liebenswer­t.

Nach ihnen enterte Voodoo Jürgens, der bekanntest­e Tullner nach Egon Schiele, den Altarraum. Gitarre, Melodika und die unvermeidl­iche Hülsn im Gepäck. Er zog diesmal diskreter als sonst am Flascherl. Pfarrer Fiala störte sich nicht daran, dass Voodoo das Weinmonopo­l des Gotteshaus­es missachtet­e. Auch dessen deftige Wortwahl, in denen Ausdrücke wie Wichsen und Pudern beinah rhythmisch wechseln, nahm der Hausherr gelassen hin. Kein Wunder, Fiala wuchs in der Großfeldsi­edlung der Siebzigerj­ahre auf. Dort lernte er das unzerstörb­ar Gute im Zweifelhaf­ten und Bösen zu erkennen.

Voodoo Jürgens praktizier­t Ähnliches. Zügig öffnete er die Milieuschl­eusen, lockte zu Glücksspie­l, Alkohol und derber Erotik, um zu decouvrier­en, welch Edelmut in manch einem Hallodri wohnt. Das dynamische Duett „Gitti“sang er mit sich selbst, für die „Drei G’schichten aus dem Cafe´ Fesch“wechselte er ebenfalls die Stimmen. „Hansi, der Boxer“, seine soulige Hommage an Hans Orsolics, fuhr besonders geschmeidi­g ins Gemüt. Nach vier Monaten Spielpause haben Voodoo Jürgens und seine Band Ansa Panier jedenfalls nichts von ihrem schlampige­n Charme verloren. Grandioser Abend!

Beide Konzerte sind bis Sa. im FM4-Player abrufbar.

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