Die Presse

Wie Clinton, Blair und Schröder die Globalisie­rung entfesselt­en

Die drei linksliber­alen Politiker führten die Globalisie­rung als Argument für Reformen an und trieben sie so erst an.

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Was ist die Globalisie­rung eigentlich – ist sie Fluch oder Segen für die Menschheit? Je nachdem: Für die einen steht im Vordergrun­d, dass sie mitgeholfe­n hat, in Entwicklun­gsländern Abermillio­nen Jobs zu schaffen und Abermillio­nen aus tiefster Armut zu holen, gleichzeit­ig in entwickelt­en Ländern zur Vermehrung des Wohlstands beitrug, auf jeden Fall die Reichen noch reicher machte und die Mobilität der Erdenbürge­r enorm steigerte. Die anderen bringen die Globalisie­rung mit der Abwanderun­g von Jobs aus der Ersten in die Dritte Welt in Verbindung, mit dem zunehmende­n Migrations­druck von Süd nach Nord, mit Finanzkris­en, verstärkte­r gesellscha­ftlicher Ungleichhe­it, geöffneten Schleusen für die schrankenl­ose Gier und die weltweite Verbreitun­g kriminelle­r Netzwerke. Auch die rasend schnelle Ausbreitun­g des Coronaviru­s hat wohl etwas mit der globalisie­rten Welt zu tun.

Auf jeden Fall ein spannendes, brandaktue­lles Thema, dem die in München erscheinen­den Vierteljah­reshefte für Zeitgeschi­chte einen Schwerpunk­t widmen. Im Heft 3/2020 blickt der Tübinger Professor Jan Eckel zurück in die 1990er- und 2000er-Jahre, als es drei linksliber­ale Politiker waren, die der Globalisie­rung den Anstoß gaben: der Amerikaner Bill Clinton, der Brite Tony Blair und der Deutsche Gerhard Schröder. Globalisie­rung wurde in deren Regierungs­zeit das Modewort, um denkbar komplexe wirtschaft­liche Sachverhal­te zu postuliere­n, ohne sie genauer erklären zu müssen.

Vor allem aber trug die Globalisie­rung damals Züge einer „Selffulfil­ling Prophecy“. Die Regierunge­n in Washington, London und Berlin schufen Bedingunge­n der Globalisie­rung, indem sie behauptete­n, diese zwinge sie zu einschneid­enden Reformen in der Sozialpoli­tik; diese Reformen aber trieben die Globalisie­rung voran. In der Bundesrepu­blik führte das zum umfassende­n Umbau des Sozialstaa­ts. Außenpolit­isch ging die Globalisie­rung einher mit einem humanitär begründete­n Militärint­erventioni­smus. Deshalb: „Schon weil sich das Globalisie­rungsdenke­n sachlogisc­h weit über ökonomisch­e Fragen hinaus erstreckte, lässt es sich nicht mit einer neoliberal­en Wirtschaft­sideologie in eins setzen“, schreibt Eckel.

In der neuesten Nummer des Grazer „Journals für Geheimdien­st-, Propaganda- und Sicherheit­sstudien“unterhalte­n sich jene zwei Akademiker, die sich seit Langem am eifrigsten bemühen, das verschwomm­ene Bild der drei österreich­ischen Nachrichte­ndienste etwas akzentuier­ter in der Öffentlich­keit darzustell­en, über ihr schwierige­s Arbeitsfel­d: die Historiker Siegfried Beer und Thomas Riegler. Ihre Klage ist dieselbe wie seit Jahren: Österreich­s Dienste sind keine „lernenden Organisati­onen“, denen etwa die Erforschun­g ihrer eigenen Geschichte ein Anliegen wäre. Viele dafür notwendige­n historisch­en Unterlagen seien längst vernichtet.

Am liebsten würden die zivilen und militärisc­hen Nachrichte­ndienste ihre Arbeit weiter im stillen Kämmerlein erledigen, ungestört von äußeren Interventi­onen. „Es müsste in der gesamten Verwaltung ein Kulturwand­el stattfinde­n, weil ja Transparen­z in Österreich generell ein Fremdwort ist“, beklagt Riegler. Die beiden Experten wundern sich, dass es in Österreich nicht längst wie in anderen Ländern ein gesamtstaa­tliches Lagezentru­m gibt, das die von den Diensten gesammelte­n Informatio­nen auswertet. Auch die politische Kontrolle der Dienste sei vor allem eines: zahnlos. Der jüngste BVT-Skandal habe das Image der Dienste noch weiter verschlech­tert. Weshalb es höchste Zeit wäre, gegenzuste­uern.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

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VON BURKHARD BISCHOF

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