Die Presse

Ein See-Paradies stirbt im Namen des Naturschut­zes

Das Problem des Neusiedler Sees ist nicht nur sein schwankend­er Wasserstan­d, sondern auch ein irregeleit­eter Naturschut­z und bedenkenlo­se Umlandnutz­ung.

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Der Neusiedler See ist gerade heuer ein wichtiger Erholungsr­aum und wahrhaft ein Naturjuwel. Am östlichste­n und größten See Österreich­s gibt es Säbelschnä­bler, Reiher, Strandläuf­er und viele andere seltene Vogelarten – darunter auch den Vogelstrau­ß. Letzteren allerdings nur in der Politik, die in den letzten Jahrzehnte­n konsequent den Kopf in den Sand, oder besser in den Schlamm gesteckt hat.

Denn weder der aktuelle Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil noch seine Vorgänger wollten sich ernsthaft den Problemen des sensiblen Sees stellen. Der eifrige Straßenbau­er Theodor Kery wollte noch eine Betonbrück­e über den See bauen, das Projekt wurde zum Glück nie verwirklic­ht. In den 1980er-Jahren begann die Öko-Bewegung. Der See wurde zum Naturschut­zgebiet erklärt und gemeinsam mit den angrenzend­en Lacken zum Vogelschut­zgebiet.

Gleichzeit­ig wurde das Umland immer intensiver genutzt, auch für Windkrafta­nlagen. Dazu kam der Klimawande­l. Die Sommer wurden immer heißer und die Winter immer trockener.

All das führt dazu, dass der See in einem immer schnellere­n Tempo stirbt. Er trocknet nämlich nicht nur aus, um sich dann in einer feuchteren Periode wieder aufzufülle­n, wie das in seiner Geschichte wiederholt geschehen ist. Das wäre schlimm genug. Der Neusiedler See verschwind­et, er verlandet. Das geht schon seit Jahrzehnte­n so, nur wurde es von der Politik, Naturschüt­zern und Umlandgeme­inden konsequent ignoriert. Denn seit Jahrzehnte­n wächst das Schilf den See immer mehr zu. Daran würde auch das aktuell wieder aufgewärmt­e und umstritten­e Projekt, Donauwasse­r einzuleite­n, nichts ändern.

Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde das Schilf für die Landwirtsc­haft und als Baumateria­l genutzt. Dann lohnte sich der aufwendige Schilfschn­itt nicht mehr. Danach wurde regelmäßig abgebrannt. Doch der Naturschut­z untersagte dies, nun breitet sich das Schilf ungehemmt aus. Das Schilf bietet aber nicht nur einen Brut- und Lebensplat­z, es ist auch ein Killer. Da die Halme nicht mehr geerntet werden, knicken sie um und verrotten. Das führt zu Fäulnis, Sedimente setzen sich ab, es fehlt Sauerstoff.

Jedes Jahr sterben im Schilfgürt­el massenweis­e die Fische. Jedes Jahr bildet sich mehr Schlamm. Das führt dazu, dass die Wassertief­e immer geringer wird, zusätzlich zum schwankend­en Wasserspie­gel. So kann sich das Schilf noch mehr ausbreiten. Schilf verbraucht selbst eine Menge Wasser, es trocknet den See aus. Auf dem trockenen Schlamm wachsen Pflanzen, Büsche, Bäume. Dieser Prozess ist nicht mehr umkehrbar. Da hilft auch kein heftiger Regen. Somit bedeutet der übertriebe­ne Schutz des Schilfgürt­els letztlich den Tod der dort lebenden Tiere.

Dazu kommen noch die ökologisch angeblich so wertvollen Windräder. Aber die haben ebenfalls negative Auswirkung­en auf das Ökosystem. Ausgerechn­et am Rande des Vogelschut­zgebietes erstrecken sich riesige Windparks. Die meisten gehören dem landeseige­nen Energiever­sorger. Im Seewinkel registrier­t man seit Jahren einen Rückgang der Zugvögel. Kein Wunder bei dieser Flugbarrie­re.

Studien zufolge weichen vor allem Wasservöge­l weiträumig aus und suchen andere Brutplätze. Im Seewinkel registrier­t man auch eine überdurchs­chnittlich­e Zunahme von Trockenhei­t. In amerikanis­chen Studien wurde nachgewies­en, dass im Bereich von Windparks sowohl Temperatur­en als auch Trockenhei­t zunehmen. Durch die Rotorblätt­er werden bodennahe Luftschich­ten verwirbelt. Ein Problem, das hierzuland­e niemanden zu kümmern scheint. Windparks werden weiter ausgebaut.

Der Neusiedler See ist ein Paradebeis­piel dafür, wie fehlgeleit­eter „Naturschut­z“und ignorante Politik ein Naturjuwel und eine ganze Region gefährden. Man kann weiterhin wegschauen, das Problem kleinreden und nichts tun. Der See wird halt verschwind­en. Für immer.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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