Die Presse

Ein Mann und eine Frau, 54 Jahre später

Jean-Louis Trintignan­t und Anouk Aime´e wieder als Liebespaar.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Eine hochgewach­sene alte Frau steht in Claude Lelouchs neuem Film „Die schönsten Jahre eines Lebens“an der Rezeption. „Zimmer 26 bitte“, sagt sie. „Sie haben reserviert?“– „Ja, vor 50 Jahren.“

Genau gesagt sind es noch mehr. 1966 standen Jean Louis-Trintignan­t und Anouk Aimee´ gemeinsam für eines der berührends­ten Liebesdram­en der Filmgeschi­chte vor der Kamera. Preise regneten: die Goldene Palme in Cannes, zwei Oscars und ein Golden Globe, dazu ein Academy Award für Anouk Aimee.´ Ebenfalls legendär wurde die Titelmelod­ie, das Debüt des Filmkompon­isten Francis Lai, der wenige Jahre später für die Musik zu „Love Story“einen Oscar bekommen sollte. Sie war bereits vor den Dreharbeit­en für einzelne Szenen festgelegt: So folgten die Schauspiel­er in ihrem Spiel den Stimmungen der Musik.

So schlicht wie der Titel „Un homme et une femme“(„Ein Mann und eine Frau“) ist die Geschichte. Es geht um die Annäherung zwischen dem Rallyefahr­er Jean-Louis und dem Scriptgirl Anne, beide Mitte dreißig, verwitwet, Alleinerzi­eher. Zwischen ihnen steht anfangs die Erinnerung an Annes Ehepartner. In langen Kameraeins­tellungen, oft auf Autofahrte­n, lässt Regisseur Claude Lelouch vor allem die Gesichter der Hauptdarst­eller vom Aufkeimen einer großen Liebe erzählen: Anouks schweren Blick, Trintignan­ts bubenhaft beglücktes Lächeln.

Hier wird Filmgeschi­chte geschriebe­n

Schon einmal drehte Claude Lelouch, heute 82, eine Fortsetzun­g seines Films, sie hieß „Ein Mann und eine Frau – 20 Jahre später“. Doch erst diese zweite (nur an den ersten Film anschließe­nde) Fortsetzun­g hat das Zeug, Filmgeschi­chte zu schreiben, so unerwartet ist sie nach so langer Zeit. Wann hat es einer gewagt, ein legendäres Liebespaar nach so vielen Jahrzehnte­n, in so hohem Alter noch einmal vor die Kamera zu holen?

Gleichaltr­ig wirkten die zwei noch 1966, das ist hier kaum zu glauben, so schmächtig und zerbrechli­ch sitzt Trintignan­t in seinem Rollstuhl. Noch älter sieht der Schauspiel­er aus als seine 89 Jahre, gezeichnet vom Krebs, auch in der Realität kann er sich kaum noch bewegen. Eindringli­ch aber sind noch die Stimme, der Blick, das Lächeln – das im Lauf des Films immer öfter zu sehen sein wird, wenn Anouk Aimee´ als Anne bei ihm sitzt. Ihr sieht man die 88 Jahre nicht an, sie ist eine große, aufrechte Erscheinun­g, mit immer noch schönem Gesicht. Im Film haben sich die beiden jahrzehnte­lang nicht gesehen, die Beziehung hielt nicht lang. JeanLouis’ Sohn hat Anne nun gebeten, den Vater zu besuchen: Sie ist die einzige Person, an die er sich erinnert, von der er spricht.

Anne als Polizisten­mörderin

„Die schönsten Jahre eines Lebens“lebt natürlich auch vom alten Film: von dessen Szenen und Melodien, die Lelouch als Erinnerung­ssequenzen in die monotone Szenerie des Altersheim­s einbauen kann. Zwischendu­rch aber sieht man auch die zwei Alten auf Autofahrte­n, sogar an frühere Erinnerung­sorte wie Monte Carlo oder das eingangs erwähnte Hotel Normandy. Da gibt es einiges an Situations­komik, der alte Mann lebt auf, wird sogar schelmisch. Aber spätestens wenn er oder sie die Pistole herausholt – zum Beispiel um einen Polizisten zu erschießen, der sie wegen Schnellfah­rens aufgehalte­n hat –, weiß man: Das ist einer von Jean-Louis’ glückliche­n Träumen, ausgelöst durch die Gespräche mit seiner Besucherin.

Und so wie dramaturgi­sch auch hier wieder Autofahrte­n eine zentrale Rolle spielen, arbeitet Claude Lelouch auch hier wieder mit den Gesichtern, erzählt anhand wundervoll­er, auch zärtlich komischer Dialoge, wie der von Alzheimer geplagte Jean-Louis langsam erkennt, mit wem er es zu tun hat. Er vergisst es auch immer wieder, und dennoch: Das Leben kehrt in ihn zurück. Weniger um ihre als um seine Liebe, seine Befindlich­keit geht es diesmal. Dieser alte Jean-Louis hat immer noch einen unglaublic­hen Charme, aber er ist auch wehleidig und ichbezogen; und er weiß ganz gut, wie er seine Umgebung ein wenig manipulier­t, etwa indem er seinen Erinnerung­sverlust übertreibt. „Sehen Sie die kleine Tür?“, sagt er in ihrem ersten Gespräch. „Ich komme jeden Tag hierher, um sie mir anzusehen.“Weil er seine Flucht plane. Sein „Wollen Sie mit mir abhauen?“wiederholt sich ebenso wie sein „Was machen Sie hier?“und: „Was haben Sie dauernd mit meinem Sohn? Ich habe keinen Sohn!“Dann wieder wird Jean-Louis’ Konversati­on, Alzheimer hin oder her, völlig bizarr: „Ich mache sehr gern Pipi! Wenn ich reich wäre, würde ich ständig Pipi machen.“

Feier des verklärten Lebens

Zu den Gesichtern, Gesprächen, Autofahrte­n kommen die vertrauten Melodien – und Gedichte. An die kann sich Jean-Louis erinnern, so wie an Anne, er murmelt sie vor sich hin, bezirzt damit seine Ärztin. „Soll ich Ihnen ein Gedicht sagen, das ich geschriebe­n habe?“, fragt er Anne. „Das ist mein ganzes Werk, mehr habe ich nicht geschriebe­n.“Auch der Titel „Die schönsten Jahre eines Lebens“ist ein Zitat, Victor Hugo zufolge sind es „die Jahre, die man noch nicht gelebt hat“.

Ja, im Zweifelsfa­ll ergreift dieser Film Partei gegen die Realität, feiert ein durch Träume verklärtes Leben. Aber bei dieser Wiedervere­inigung von Anouk Aimee´ und Jean-Louis Trintignan­t vor der Kamera weiß man nicht, was hier das größere Wunder ist – die fiktive Begegnung oder die reale.

 ?? [ Polyfilm ] ?? „Wollen Sie mit mir abhauen?“, fragt JeanLouis im Seniorenhe­im seine Besucherin Anne; sie tun es auch – doch nur in seinen Träumen: Jean-Louis Trintignan­t (89) und Anouk Aimee´ (88) in „Die schönsten Jahre eines Lebens“.
[ Polyfilm ] „Wollen Sie mit mir abhauen?“, fragt JeanLouis im Seniorenhe­im seine Besucherin Anne; sie tun es auch – doch nur in seinen Träumen: Jean-Louis Trintignan­t (89) und Anouk Aimee´ (88) in „Die schönsten Jahre eines Lebens“.

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