Leitartikel von Köksal Baltaci
Auf der Suche nach einem makellosen Frühwarnsystem haben sich das Gesundheitsministerium und die Länder verlaufen. Nicht zum ersten Mal.
Wie wichtig das Timing bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ist, zeigte sich insbesondere bei der Teststrategie Österreichs. Als nämlich erkannt und verkündet wurde, wie wichtig „Testen, Testen, Testen“ist, standen die Kapazitäten dafür noch nicht zur Verfügung und mussten erst mit viel Aufwand ausgebaut werden. Was auch gelang. Allerdings zu spät, weil wegen der Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkungen und Verhaltensregeln die Durchseuchung derart gering war, dass flächendeckende Tests nicht mehr zweckmäßig gewesen wären. Bis heute werden die Testmöglichkeiten nicht ausgeschöpft.
Auch die Stopp-Corona-App wurde angekündigt und beworben, ohne die Datenschutzbedenken der Bevölkerung auszuräumen. Technisch ausgereift und benutzerfreundlich wirkte die App ebenfalls nicht, weswegen der Imageschaden schon bald zu groß war. Mittlerweile geht kaum noch jemand davon aus, dass sie jemals einen nennenswerten Beitrag zur Kontaktverfolgung leisten wird.
Ein ähnliches Schicksal blüht nun der Corona-Ampel, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober zunächst für nicht notwendig erachtete, später auf Druck einiger kaum von Infektionen betroffener Regionen doch in Aussicht stellte, jetzt aber an ihrer Realisierung zu scheitern droht. Denn die Länder konnten sich bisher nicht auf gemeinsame Kriterien einigen.
Hintergrund des Konflikts ist, dass Anschober die Zahl der Neuinfektionen nicht als einziges Kriterium für die vier Warnstufen Grün, Gelb, Orange und Rot heranziehen will, wie das in Deutschland gemacht wird. Er fordert zusätzlich die Berücksichtigung von Clustern, der Anzahl von Tests sowie der Spitalskapazitäten in den jeweiligen Ländern, um auf lokale Ausbrüche mit österreichweit einheitlichen Maßnahmen zu reagieren.
Klingt grundsätzlich nicht unvernünftig, hat aber das Ampelsystem in eine Sackgasse manövriert. Denn: Diese Faktoren lassen zu viel Interpretationsspielraum und bieten auch Möglichkeiten zur Verzerrung, weshalb mehrere Länder (wie etwa Wien) skeptisch sind und weiterhin lieber eigenmächtig über die Anordnung von Maßnahmen entscheiden würden.
Bei den – regional unterschiedlich verfügbaren – Spitalsressourcen zum Beispiel ist unklar, ob die Zahl der Intensivpatienten oder die der freien Intensivbetten Einfluss auf die Farbe der Ampel haben wird. Zudem lassen sich Cluster kaum miteinander vergleichen – ein geschlossenes System wie ein Pflegeheim lässt sich leichter eingrenzen und isolieren als Hotels in einem Urlaubsort mit vielen Touristen sowie Saisonarbeitern.
Nicht zuletzt obliegt es den Bezirksbehörden, in welchen Orten und Berufsgruppen Screenings, also Tests ohne Verdachtsfall, durchgeführt werden – weswegen schon Befürchtungen zur Sprache kamen, dass (um auf die geforderte Zahl an Tests zu kommen) absichtlich auf Personen in Gebieten zurückgegriffen wird, in denen aufgrund bisheriger Erkenntnisse keine Infektionen zu erwarten sind. Mit dem Kalkül, den Tourismus nicht zu gefährden oder keine Schulschließungen zu riskieren.
Streitfragen, die eine Kommission klären soll, während angesichts häufiger werdender Cluster wie aktuell in St. Wolfgang die Uhr tickt. Denn ein Frühwarnsystem ist – das gilt auch für die App und Screenings, die von den angekündigten 65.000 Tests pro Woche weit entfernt sind – vor allem dann sinnvoll, wenn die Zahlen niedrig und Ausbrüche überschaubar sind. Daher sollte die Ampel einfachen, transparenten und allgemeingültigen Regeln wie etwa der Zahl der Infektionen pro 10.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen folgen und noch im Juli zumindest testweise ausgerollt werden. Um rechtzeitig vor dem Herbst Erfahrungen zu sammeln – dann wird die Alarmbereitschaft ohnehin steigen und die Ampel könnte nutzloserweise überall auf Orange stehen.
Inmitten einer Pandemie gibt es keinen perfekten Zeitpunkt für den Start einer neuen Strategie. Weder bei den Tests noch bei der App noch bei einem experimentellen Frühwarnsystem. Noch länger zu warten, bringt nichts. Oder besser: Grüner wird’s nicht.