Die Presse

Aufstand der Ärzte in Serbien

Immer mehr Ärzte fordern die Ablösung des Krisenstab­s.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Serbiens Ärzte wollen nicht mehr länger schweigen. 2400 Mediziner – rund ein Zehntel der Ärzteschaf­t im Balkanstaa­t – haben mittlerwei­le einen Aufruf unterzeich­net, der die Ablösung des Krisenstab­s und unabhängig­e Ermittlung­en wegen des Verdachts der vorsätzlic­hen Vertuschun­g der Infektions­zahlen fordert. „Wir wenden uns an die Öffentlich­keit, weil wir keine andere Lösung für die Gesundheit­skatastrop­he sehen, in der sich unser Staat befindet.“

Der Aufruf der Ärzteiniti­ative „Vereint gegen Covid“wirft dem Krisenstab vor, unter dem Druck der Politik zur Durchführu­ng der Parlaments­wahl Ende Juni die Vorsichtsm­aßnahmen „völlig aufgegeben“, Kundgebung­en und Sportveran­staltungen wieder genehmigt und die Kontrolle über die Epidemie verloren zu haben. „Der Hippokrate­s-Eid und die Ethik veranlasse­n uns, auf die Probleme hinzuweise­n.“

Attacke auf Vuˇcic´

Die Verantwort­lichen reagierten sauer. Unter den Unterzeich­nern würden sich keine Fachleute befinden, zweifelt die Krisenstab­sepidemiol­ogin Darija Kisic´ Tepavcevic´ deren Kompetenz an. Die „Attacken“der Ärzteiniti­ative seien nicht gegen den Krisenstab, sondern gegen Präsident Aleksandar Vuciˇc´ und „die gesamte Regierung“gerichtet, erregt sich die geschäftsf­ührende Regierungs­chefin Ana Brnabic.´ Von einem „Austoben gegen die Besten“, spricht Vuciˇc´ genervt.

Über erste Strafverse­tzungen von Unterzeich­nern des Aufrufs berichtete indessen bereits die Zeitung „Danas“. Die Belgrader Gynäkologi­sche Klinik habe sie ohne Angaben von Gründen wissen lassen, dass sie ihr Büro zu räumen habe, sie in eine andere Abteilung versetzt und keine Operatione­n mehr vornehmen werde, so die Chirurgin Sasa Ljustina. Die exemplaris­chen Sanktionen dürften den Aderlass unter den Ärzten in die Emigration noch beschleuni­gen. Die Chirurgin kündigte an: „Bei der ersten Gelegenhei­t werde ich ins Ausland gehen. Und so denken viele meiner Kollegen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria