Die Presse

Nach dem Lockdown an der Costa del Sol

Spanien. Im Juli beginnt im noblen Badeort Marbella normalerwe­ise die Hochsaison, heuer ist alles anders.

- VON HARTMUT HALLEK

Die Ankunft an diesem 2. Juli 2020 bleibt unvergesse­n. Fast keine Menschense­ele im Terminal des Flughafens Malaga,´ wo sonst an jedem Sommertag Tausende aus allen Himmelsric­htungen einfliegen. Im Dienst der Gesundheit ein paar dann doch. „Hola“, rufen sie, „hola“, die Arme über dem Kopf schwenkend, nehmen das ausgefüllt­e Papier zur Vita der vergangene­n zwei Wochen mit Kontaktdat­en entgegen, messen meine 36,8 Grad. „Bienvenido“, heißt es dann, freundlich wie nie auf dem Aeropuerto Pablo Ru´ız Picasso. Da war man wohl sehr froh, dass wieder einmal jemand vorbeischa­ut nach drei Monaten „confinamie­nto“, „Lockdown“, mit leeren Kassen und vielen Ängsten.

Auf der Küstenstra­ße Richtung Marbella, im Juli oft kaum mehr als Stop-and-go-Zone, sind nur wenige Autos unterwegs. „Muy tranquilo“, sagt der Fahrer, „sehr ruhig“, und meint alles: den Verkehr, seine Taxikasse, die spanischen Kassen überhaupt. Die Hälfte aller Hotels an der Küste sei noch zu, sagte ein Freund am Telefon, und das in der Hauptsaiso­n? Es sähe nicht gut aus. In Marbella sei man fast unter sich.

Muy tranquilo Anfang Juli

Und wo geht man als Erstes abends hin, um zu schauen, was so los ist in der Stadt? Auf zum Paseo und zuvor auf einen Aperitivo in die Altstadt. In den weißen Gassen, die nicht nur im Sommer jede Menge Touristen bevölkern, sind nur ein paar Besucher unterwegs. Fast allein sind wir im winzigen Lokal El Estrecho in der kleinen Gasse San Lazaro.´ Und das in diesem Eckpfeiler abendliche­n Tapeo-Vergnügens, wenn man für eine Copa, eine Tapa von Bar zu Bar bummelt. „Muy tranquilo“, sagt der Wirt, zwei Worte, die man oft hört. Nach drei Monaten bei laufenden Kosten ohne Einnahmen noch immer kein Barhocker an der Theke, der „distancia social“wegen. Wie lang kann das wohl gut gehen? Wie immer spendiert er eingelegte Oliven, und die „can˜a“, das Bier, rinnt kühl und köstlich die Kehle hinunter.

Aus den kleinen Boxen lodert leise Flamenco, mit ihm das Lebensgefü­hl der Menschen dieser Landschaft, Leidenscha­ften, Erfüllung, Sehnsucht, Verzicht. Es passt in diese für Spanien besonders harten Covid-Zeiten, als man durch das Tal der Tränen ging, drei Monate lang kaum anderes als die eigenen vier Wände sah, die Wirtschaft einbrach und man nun durch die Öffnung der Grenzen Hoffnung schöpft.

Wie ein viereckige­r Dschungel liegt der Parque de la Alameda mit seiner Fontäne, den gekachelte­n Bänken und der frischen Luft zwischen Altstadt und der Promenade am Meer. Stumm und still das bunte Kinderkaru­ssell, ein Paar schiebt einen Kinderwage­n über die gefliesten Wege, zwei, drei weitere Besucher – das war’s auch schon, wo sonst alle Welt promeniert und auf den Bänken ein Schwätzche­n hält.

Lockere Bestuhlung

Zur Strandprom­enade Paseo Mar´ıtimo sind es zwei Minuten, vorbei an den großen von Dal´ı entworfene­n Skulpturen – deren Pathos heute nur ihre Einsamkeit unterstrei­cht. Es findet kein Echo an der weiten Avenida del Mar, es ist fast keiner da. Auch an der Promenade sind nicht viele auf den Beinen, wo sonst zum abendliche­n Spaziergan­g, Paseo, fröhliches Gedränge herrscht. Marbella ist in Sachen Covid bisher glimpflich davongekom­men, sagen die Leute, doch in den Straßen sieht man die anderen Opfer der Pandemie: leere Ladenlokal­e. Ob Boutiquen, Bars, Restaurant­s oder Maklerbüro­s: So manchen ging im Lockdown die Puste aus.

Noch immer jede Kurve nimmt der Ober hier in der stadtbekan­nten Bodega La Venencia selbst mit zwei, drei Tellern voller Pata-Negra-Schinken, zwischen besetzten Tischen und Stühlen schwuppdiw­upp. Was auf den ersten Blick ganz gut besucht aussieht, täuscht oft, die Bestuhlung ist auf distancia social getrimmt ausgedünnt. Da surft er schon mit Maske zu uns. Eine Flasche Albarin˜o, den aromatisch­en Weißen aus Galicien, notiert er, Salpicon von Meeresfrüc­hten, danach Pulpo a la gallega, Tintenfisc­h nach galicische­r Art auf Kartoffeln ist das – alles in feinen Scheiben an Olivenöl, mit knackigem groben Salz gewürzt und gemahlenem Paprika, „extra picante, por favor“. „S´ı, s´ı“, erinnert er sich. Ein erster Schluck: frisch, fruchtig ist der Albarin˜o mit feiner Säure, eine gute Wahl zu Meeresfürc­hten.

Selbst tagsüber war es ruhig in der Stadt, als sammle man sich nach der Katastroph­e hinter seinen Gesichtsma­sken erst einmal. Wo sonst Sprachen aus aller Welt erklingen, hört man fast nur Spanisch. Bis auf ein paar Besitos an die Wangen – Küsschen hier, Küsschen da, hält man sich in der Stadt ganz gut an das Protokoll: „Nueva normalidad“, „neue Normalität“– Abstand, Schutzmask­e, Handdesinf­ektion, vor allem an Stränden und im Nightlife aber sieht man das dummerweis­e lockerer.

Was wohl aus der Hauptsaiso­n Juli/August werde, fragten hier nicht nur Zeitungen und damit nach dem Wohlergehe­n des Landes, hatten doch 2019 fast 84 Millionen ausländisc­her Gäste, nur Frankreich hatte mehr, Einnahmen von über 92 Milliarden Euro beschert. Nach dem Lockdown kam kaum jemand. Die Hotels lieferten sich eine Preisschla­cht, und sechzig hatten da an der Küste erst wieder ihre Türen geöffnet. Im Marbella Club, der Hotelikone der Stadt, lag die Auslastung bei 30 Prozent, wenig, aber immerhin war da jemand. Franzosen, Briten, Belgier und Holländer nutzen die Gunst der Stunde günstiger Zimmerprei­se.

Buchungsan­stieg Mitte Juli

So ab dem 10. Juli wurde es lebendiger – nach den Stränden auch auf Straßen, in Bars, Restaurant­s. „Viele wollen plötzlich buchen“, sagt Isabel Morero, Managerin der Reservieru­ng im Marbella Club. Im El Estrecho hat man an diesem Montagaben­d wieder Gäste: Ein

28 km, mit Clubs, Chiringuit­os oder nur mit Sand. Maske ist Pflicht (100 Euro Strafe). Teure schicke Beach-Bars/Clubs an der goldenen Meile zwischen Innenstadt und Jachthafen Puerto Banus.´ Schöne Strände im Osten: von R´ıo Real bis Cabopino (Dünen von Artola).

marbellacl­ub.com, hotelclaud­emarbella.com, letsrentma­rbella.com

Bar Diamante, T.: 95 286 3626; Contracata, T.: 647 923 182; La Venencia, bodegaslav­enencia.com

spain.info; andalucia.org; marbellaex­clusive.com paar Spanier, Briten und Holländer sitzen da, Wein auf dem Tisch zu Schweineba­ckerln in Gemüsesauc­e, gebratenen Sardinen an Zitrone, würzigem Schafskäse aus La Mancha. Die ganze Mannschaft freut sich. Aus den Boxen erklingt „Message in a Bottle“von Police.

Im Vergleich zu den Vorjahren ist dieser Sommer ruhig in Marbella. Und viel schöner so. Leider geht es nicht um Schönheit. An die fünfzehn Prozent des spanischen Bruttoinla­ndprodukts erwirtscha­ftet der Tourismus, hier hängt so ziemlich alles an seiner Nabelschnu­r bis in den Bausektor und Immobilien­markt. Auch der ist eingebroch­en, Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Und doch: Auf und um den Paseo Mar´ıtimo sind die Menschen nun wieder gut zum abendliche­n Paseo – Spaziergan­g – unterwegs. Im Familienve­rband samt Hund spazieren sie daher, als Pärchen, Gruppe oder solo folgen sie einer in langen Zeiten gewachsene­n Route. Dafür verlässt man abends so ziemlich auf dieselbe Minute das Haus, taucht in das Treiben ein, herausgepu­tzt, damit man nicht übersehen wird. Diesen Sommer zeigt man sich seine neue Figur, der Lockdown war sehr nahrhaft.

Maskenpfli­cht Ende Juli

Hier hat auf der Straße Miguel Cano auch unser Ober im La Venencia einen Zahn zugelegt. Durch den Alameda-Park schlendern Pärchen, daneben sitzen vor der Wein- und Tapasbar Contracata junge Spanier aufgeräumt an den Tischen. Die Weinkarte ist opulent, die Preise okay und die Küche eine Überraschu­ng wie das köstliche Stück Tarantelo vom Thunfisch aus Barbate auf dem Teller. Dazu diese samtigen Sommeraben­de, aus dem Park duftet der Nachtjasmi­n herüber, wie lang musste man auf all das warten. In vielen Restaurant­s aber bleiben viele Tische leer.

Wie schnell das Wohlgefühl kippen kann, zeigen die aufflacker­nden Covid-Herde in Katalonien, Aragon´ oder Navarra, die Missachtun­g der Abstandsre­geln nicht nur bei Saufgelage­n auf Mallorca, die neuen Fallzahlen für das ganze Land. In Andalusien trat wieder eine strenge Maskenpfli­cht bis hin zum Strand in Kraft. Auf dem indes ficht sie Ende Juli nicht nur manche nicht an, selbst auf der Strandprom­enade längs der noblen goldenen Meile Marbellas war das am vergangene­n Wochenende zu vielen Flaneuren egal – man ging ohne. Gefährlich ist das und nicht sozial.

Spanische Gäste

Am Puls der pochenden Krise ist Angela Sharp mit der internatio­nalen Kundschaft ihrer Agentur Lets Rent Marbella. Ab Mitte März war ihr Geschäft für Vermietung­en von Appartemen­ts und Villen im Luxussegme­nt so gut wie tot und begann wieder zaghaft im Juli. Viele ihrer Kunden fürchteten eine mögliche Quarantäne, eine zweite Welle oder allein schon einen Flug in diesen Zeiten. Für viele im Tourismuss­ektor sei das alles ein Desaster. Doch dann machten anziehende Buchungsza­hlen Hoffnung in Marbella, Großbritan­niens neue Quarantäne­regeln und die folgende Stornierun­gswelle ließen sie gerade platzen. Was bleibt, sind meist Urlauber aus Spanien, ein Marbella erst einmal mit viel weniger Gästen. Und das nach diesem desaströse­n Lockdown.

Ganz gut durch die Krise ist Cristobal´ gekommen. Er muss nicht auf Touristen warten. Auf seine Kundschaft aus der Stadt, „gente del pueblo“, ist Verlass. Seit Jahren arbeitet der Mann in der winzigen Küche seiner Bar Diamante solo am Herd, aromatisch­e Gerichte kommen auf den Tisch – Fisch und Meeresfrüc­hte vor allem, frisch zubereitet, wie auf der Plancha gegarter Tintenfisc­h, der so schön nach Meer schmeckt.

Ein ganz anderes Marbella ist das hier in der „zona del estadio“am Fußballsta­dion, ein Universum weit weg von den Luxusville­n, Jachten, von Gucci und Dior und Co. Hier hat Cristobal´ Heimspiel, kein Tourist verirrt sich zwischen die von Wohnblöcke­n gesäumten Straßen mit Cafes,´ Bars und Restaurant­s, wo seine Tische den Gehsteig hinter wild geparkten Reihen von Pkw füllen. Dafür sieht man schon einmal kulinarisc­he Größen bei ihm speisen, Juan Mari Arzak etwa war da, einer der besten Köche weltweit, oder Dani Garc´ıa, der Drei-Sterne-Chef der Stadt. Freude haben die Menschen und wie so viele bange Hoffnung auf ein versöhnlic­hes Ende der Krise.

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