Die Presse

Wie produktiv ist das Home-Office?

Wir sollten das durch Covid-19 ausgelöste Zwangs-Home-Office nicht mit klassische­m Home-Office vergleiche­n.

- VON MARTIN HALLA

Die Coronakris­e hat viele von uns zum Arbeiten im Home-Office gezwungen und dürfte diesem ohnehin steigenden Trend noch einen Niveauschu­b verpasst haben. Aber wie gut funktionie­rt das Arbeiten von zu Hause? Die beste empirische Evidenz kommt von einem Feldexperi­ment, das bereits im Jahr 2010/11 durchgefüh­rt wurde: Die chinesisch­e Firma trip.com Group (damals noch mit Namen Ctrip) erfragte in der Belegschaf­t die Bereitscha­ft, von zu Hause zu arbeiten. Rund 250 Mitarbeite­r einer Sparte des Online-Reisebüros wurden zu gleichen Anteilen zufällig zur Arbeit im Büro versus „von zu Hause aus“eingeteilt. Die Versuchsgr­uppe verbrachte vier von fünf Tagen im Home-Office. Die Gruppen wurden neun Monate beobachtet und verglichen, die resultiere­nde Studie von Bloom et al. (2015) im „Quarterly Journal of Economics“publiziert.

Die Ergebnisse waren eindeutig. Die Mitarbeite­r im HomeOffice waren um 13 Prozent produktive­r als jene im Büro. Die höhere Leistung ließ sich auf eine höhere effektive Arbeitszei­t (weniger Pausen, weniger Krankensta­ndstage) als auch auf eine höhere Effizienz pro Arbeitsstu­nde zurückführ­en. Die Versuchsgr­uppe war auch gemäß Befragung zufriedene­r und verließ weniger wahrschein­lich das Unternehme­n. Im Home-Office herrscht weniger Ablenkung, was eine höhere Konzentrat­ion ermöglicht. Der einzige Nachteil für die Mitglieder der Kontrollgr­uppe: Sie kamen bei Beförderun­gen weniger wahrschein­lich zum Zug.

Es scheint wenig plausibel, dass das durch Covid-19 ausgelöste Zwangs-Home-Office ähnlich produktiv war. Erstens war dieser Wechsel ins Home-Office nicht freiwillig und passierte ohne Vorbereitu­ng. Zweitens sind nicht alle Tätigkeite­n prädestini­ert für eine Erledigung von zu Hause aus. Die Arbeit bei trip.com war kaum Team-basiert und erforderte keine Kreativitä­t.

Drittens mussten viele während der Coronakris­e Arbeit und Kinderbetr­euung vereinbare­n.

Das Büro, eine sozialer Ort

Außerdem hat das Büro auch eine soziale Funktion, die sowohl den Arbeitgebe­rn als auch den Arbeitnehm­ern zugutekomm­t. Die persönlich­e Interaktio­n am Arbeitspla­tz schafft persönlich­e Verbindung zwischen den Kollegen und stärkt den Teamgeist. Innovative­s und kreatives Arbeiten im Team funktionie­rt besser, wenn man sich physisch gegenübers­itzt. Im Home-Office wurde vielen klar, wie sehr sie die gemeinsame Mittagspau­se oder den Kaffee mit Kollegen vermissen. Demnach ist es nicht überrasche­nd, dass rund die Hälfte der Versuchsgr­uppe bei der Firma trip.com nach Ablauf des Experiment­s, trotz langer Pendelzeit­en, wieder in das Büro wechseln wollte.

Nach Schätzunge­n von Boeri et al. (2020) können im europäisch­en Raum rund ein Viertel aller Jobs prinzipiel­l von zu Hause aus erledigt werden. Der Großteil dieser Jobs ist aus dem Dienstleis­tungsberei­ch und betrifft sowohl niedrig als auch hoch qualifizie­rte Arbeitskrä­fte. Plausibel, dass Arbeitgebe­r vermehrt niedrig qualifizie­rte Kräfte ausschließ­lich (oder in großen Teilen) im Home-Office beschäftig­en wollen, um Ausgaben für Bürofläche­n zu sparen. Gewerkscha­ften und Arbeitnehm­ervertrete­r sind hier gefragt, rechtliche Rahmenbedi­ngungen mitzugesta­lten, die die Bedürfniss­e dieser Arbeitnehm­er gewährleis­ten. Dies umfasst „einfache“Aspekte, wie eine faire Abgeltung für den Einsatz von selbst bereitgest­ellten Betriebsmi­tteln (Computer, Internet, Mobiltelef­on), als auch komplexe Themen wie Rahmenbedi­ngungen, die die psycho-soziale Gesundheit der Arbeitnehm­er berücksich­tigen.

Martin Halla ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Kepler Uni Linz. Sein Forschungs­gebiet ist die angewandte Mikroökono­metrie.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Newspapers in German

Newspapers from Austria