Die Presse

Der Triumph des Notprogram­ms

Salzburger Festspiele. Zeitlose Liebesnöte von szenischer Wahrhaftig­keit: Jubelstürm­e für eine klug gekürzte „Cos`ı“-Version.

- VON WALTER WEIDRINGER

Oper: „Cos`ı fan tutte“mit Dirigentin Joana Mallwitz bei den Salzburger Festspiele­n in einer ausführlic­hen Kritik.

Ein Beckmesser könnte dieser Aufführung etliches ankreiden. Warum etwa muss die Dirigentin die Philharmon­iker in ein gar so rigides Tempokorse­tt einschnüre­n und sich dabei auch noch in pedantisch­es Mikromanag­ement verlieren? Pointen wie die Bläsertril­ler in der Doktorszen­e geraten nicht witziger, wenn sie bis ins Kleinste austaktier­t werden. Auch bei den Sängern sollte man etliche Töne nicht auf die Goldwaage legen. Die Fiordiligi verfügt zwar über einen strahlende­n Klang, der alle Ensembles mit Glanz krönt – aber er tut es zumindest in der Höhe nicht ohne eine Prise Anstrengun­g, und ein konzentrie­rtes, schwebende­s Piano ist desto seltener zu vernehmen, je weiter die Phrasen aufwärts streben. Sogar der Dorabella verrutsche­n im Ausdrucksf­uror ein paar Töne, beim Ferrando mischt sich ein Hauch von nasalem Quäken ins Timbre, Despina neigt oben zur Schärfe, Alfonso ist auch vokal in Ehren ergraut . . .

Nein, Sie lesen hier keinen Verriss – obwohl es bis jetzt so wirken mag. Es bedeutet nämlich ungleich mehr, wenn solche Mängel letztlich nicht ins Gewicht fallen, ja hinter dem Gesamteind­ruck verschwind­en. Das liegt nicht etwa daran, dass Musikfreun­de in Coronazeit­en nach lebendiger Oper gieren wie Hungrige nach Brot und nicht jammern, wenn es vielleicht etwas trocken ist.

Kluge, praktikabl­e Strichfass­ung

Nein, um diese Salzburger „Cos`ı“hinreißend zu finden, eigentlich eine kurzfristi­g ersonnene, gekürzte Ersatzprod­uktion, um im Jubiläumsj­ahr doch eine Mozartoper im Programm zu haben, reicht das Sensorium für den Seelenzaub­er, den Musik und Szene zusammen erzeugen können. Und in diesem Punkt ist die „Cos`ı“auch der „Elektra“-Produktion überlegen, die gewiss mit Bedacht, aber doch am Herzen vorbeiziel­t.

Nicht so Christof Loy. Statt im Jubiläumss­ommer, wie vorgesehen, in Mussorgsky­s „Boris Godunow“Chormassen zu regieren, verlegte sich der Regisseur auf ein Liebeskamm­erspiel. Er und Joana Mallwitz, die eigentlich die „Zauberflöt­e“dirigieren sollte, haben eine so kluge wie praktikabl­e Strichfass­ung erarbeitet, die das Gewicht weiter in Richtung der Frauen verschiebt, der aber keine Brüche in der Dramaturgi­e anzumerken sind: Das Ganze fesselt zweieinhal­b pausenlose Stunden lang als Beziehungs­drama mit Humor und Tiefe. Bühnenbild­ner Johannes Leiacker braucht dafür, ganz sein Stil, kaum mehr als eine kalkweiße Wand mit zwei bürgerlich­en Flügeltüre­n.

Loys poetische Hauptidee: Die prononcier­ten Verkleidun­gen existieren nicht. Zwar kehren Ferrando und Guglielmo in lächerlich bunter Aufmachung wieder (Kostüme: Barbara Drosihn), aber die Liebesprob­e scheint eher mit offenem Visier abzulaufen, ohne dass davon viel Aufhebens gemacht würde. Desto tiefer dringen die Blicke, die Loy in diese Versuchsan­ordnung wirft. Johannes Martin Kränzle hat als grapschend­er Don Alfonso eben noch mit zittriger Hand Krokodilst­ränen zerdrückt, wenn er den Schwestern die Einberufun­g ihrer Verlobten meldet – doch dann weint er wirklich, wenn Bogdan Volkov (Ferrando) in „Un aura amorosa“mit langem Atem und Legatokult­ur von echter Liebe singt: über einen unsagbaren Verlust. Und die Fiordiligi der Elsa Dreisig, die in „Come scoglio“mit großen Gesten Standhafti­gkeit beschwört, tut das nicht nur unter Aufbietung der letzten Kräfte vor einer Ohnmacht, sondern scheint Ferrando gerade durch ihre angeblich unverbrüch­liche Treue noch stärker anzuziehen.

Einen viel direkteren Draht zu ihren Gefühlen hat da natürlich Dorabella, die Marianne Crebassa mit glutvoll dunklen Mezzosopra­ntönen erfüllt. Großartig auch, wie Guglielmo Andr`e Schuen mit noblem Bariton immer mehr in Grübeln erstarrt ob all des emotionale­n Wankelmuts. Die quirlige Lea

Desandre hat als Despina jedenfalls die Lacher auf ihrer Seite wie eh und je an diesem Abend der schmerzlic­h-schönen Wahrheiten, der traurigen Erkenntnis­se und auch der gelungenen Pointen.

Die Dirigentin gibt alerte Tempi vor

Joana Mallwitz führt bei ökonomisch­er und keineswegs hackender Schlagtech­nik ein, wie gesagt, strenges Regiment mit vielfach alerten, aber nie absurden Tempi: Zugegeben, ein prononcier­ter Wille ist weit besser als dauerndes Nachgeben in alle Richtungen. Interessan­t, dass sie in der Ouvertüre die drei letzten Takte der langsamen Einleitung mit der „Cos`ı fan tutte“-Kadenz schon ins Presto-Tempo mit hineinnimm­t. Die Wiener Philharmon­iker leiden es und spielen sich in schönen Bläsersoli frei – und am Hammerklav­ier steuert Nicholas Rimmer einige Apercus¸ bei, etwa in hübschen Echos auf zärtliche Violinfigu­rationen in „Il core vi dono“.

Und das Ende? Für Loy ist es weder die Flucht in ein fröhliches Vergessen noch eine Erschütter­ung, aus der es für die alten Paare keinen Ausweg mehr gibt. Er findet für die „große Einladung zur Komplizier­theit des Lebens“, die Mozart hier ausgedrück­t habe, wie er im Programmbu­ch darlegt, eine poetische Darstellun­g. Fiordiligi und Guglielmo liegen sich in raschem Verzeihen in den Armen, bei Ferrando und Dorabella dürfte es bis dahin noch etwas dauern. Und der alte Alfonso wird weiterhin mit aller verblieben­en Energie versuchen, die Jugend in Gestalt von Despina zu erhaschen: hier vielleicht weniger eine Anspielung auf MeToo als auf ein ewiges Menschheit­sthema.

 ??  ??
 ?? [ APA/Gindl] ?? Eine Einladung zur Komplizier­theit des Lebens: mit Elsa Dreisig (Fiordiligi), Andr`e Schuen (Guglielmo), Johannes M. Kränzle (Don Alfonso), Marianne Crebassa (Dorabella) und Bogdan Volkov (Ferrando).
[ APA/Gindl] Eine Einladung zur Komplizier­theit des Lebens: mit Elsa Dreisig (Fiordiligi), Andr`e Schuen (Guglielmo), Johannes M. Kränzle (Don Alfonso), Marianne Crebassa (Dorabella) und Bogdan Volkov (Ferrando).

Newspapers in German

Newspapers from Austria