Der Triumph des Notprogramms
Salzburger Festspiele. Zeitlose Liebesnöte von szenischer Wahrhaftigkeit: Jubelstürme für eine klug gekürzte „Cos`ı“-Version.
Oper: „Cos`ı fan tutte“mit Dirigentin Joana Mallwitz bei den Salzburger Festspielen in einer ausführlichen Kritik.
Ein Beckmesser könnte dieser Aufführung etliches ankreiden. Warum etwa muss die Dirigentin die Philharmoniker in ein gar so rigides Tempokorsett einschnüren und sich dabei auch noch in pedantisches Mikromanagement verlieren? Pointen wie die Bläsertriller in der Doktorszene geraten nicht witziger, wenn sie bis ins Kleinste austaktiert werden. Auch bei den Sängern sollte man etliche Töne nicht auf die Goldwaage legen. Die Fiordiligi verfügt zwar über einen strahlenden Klang, der alle Ensembles mit Glanz krönt – aber er tut es zumindest in der Höhe nicht ohne eine Prise Anstrengung, und ein konzentriertes, schwebendes Piano ist desto seltener zu vernehmen, je weiter die Phrasen aufwärts streben. Sogar der Dorabella verrutschen im Ausdrucksfuror ein paar Töne, beim Ferrando mischt sich ein Hauch von nasalem Quäken ins Timbre, Despina neigt oben zur Schärfe, Alfonso ist auch vokal in Ehren ergraut . . .
Nein, Sie lesen hier keinen Verriss – obwohl es bis jetzt so wirken mag. Es bedeutet nämlich ungleich mehr, wenn solche Mängel letztlich nicht ins Gewicht fallen, ja hinter dem Gesamteindruck verschwinden. Das liegt nicht etwa daran, dass Musikfreunde in Coronazeiten nach lebendiger Oper gieren wie Hungrige nach Brot und nicht jammern, wenn es vielleicht etwas trocken ist.
Kluge, praktikable Strichfassung
Nein, um diese Salzburger „Cos`ı“hinreißend zu finden, eigentlich eine kurzfristig ersonnene, gekürzte Ersatzproduktion, um im Jubiläumsjahr doch eine Mozartoper im Programm zu haben, reicht das Sensorium für den Seelenzauber, den Musik und Szene zusammen erzeugen können. Und in diesem Punkt ist die „Cos`ı“auch der „Elektra“-Produktion überlegen, die gewiss mit Bedacht, aber doch am Herzen vorbeizielt.
Nicht so Christof Loy. Statt im Jubiläumssommer, wie vorgesehen, in Mussorgskys „Boris Godunow“Chormassen zu regieren, verlegte sich der Regisseur auf ein Liebeskammerspiel. Er und Joana Mallwitz, die eigentlich die „Zauberflöte“dirigieren sollte, haben eine so kluge wie praktikable Strichfassung erarbeitet, die das Gewicht weiter in Richtung der Frauen verschiebt, der aber keine Brüche in der Dramaturgie anzumerken sind: Das Ganze fesselt zweieinhalb pausenlose Stunden lang als Beziehungsdrama mit Humor und Tiefe. Bühnenbildner Johannes Leiacker braucht dafür, ganz sein Stil, kaum mehr als eine kalkweiße Wand mit zwei bürgerlichen Flügeltüren.
Loys poetische Hauptidee: Die prononcierten Verkleidungen existieren nicht. Zwar kehren Ferrando und Guglielmo in lächerlich bunter Aufmachung wieder (Kostüme: Barbara Drosihn), aber die Liebesprobe scheint eher mit offenem Visier abzulaufen, ohne dass davon viel Aufhebens gemacht würde. Desto tiefer dringen die Blicke, die Loy in diese Versuchsanordnung wirft. Johannes Martin Kränzle hat als grapschender Don Alfonso eben noch mit zittriger Hand Krokodilstränen zerdrückt, wenn er den Schwestern die Einberufung ihrer Verlobten meldet – doch dann weint er wirklich, wenn Bogdan Volkov (Ferrando) in „Un aura amorosa“mit langem Atem und Legatokultur von echter Liebe singt: über einen unsagbaren Verlust. Und die Fiordiligi der Elsa Dreisig, die in „Come scoglio“mit großen Gesten Standhaftigkeit beschwört, tut das nicht nur unter Aufbietung der letzten Kräfte vor einer Ohnmacht, sondern scheint Ferrando gerade durch ihre angeblich unverbrüchliche Treue noch stärker anzuziehen.
Einen viel direkteren Draht zu ihren Gefühlen hat da natürlich Dorabella, die Marianne Crebassa mit glutvoll dunklen Mezzosoprantönen erfüllt. Großartig auch, wie Guglielmo Andr`e Schuen mit noblem Bariton immer mehr in Grübeln erstarrt ob all des emotionalen Wankelmuts. Die quirlige Lea
Desandre hat als Despina jedenfalls die Lacher auf ihrer Seite wie eh und je an diesem Abend der schmerzlich-schönen Wahrheiten, der traurigen Erkenntnisse und auch der gelungenen Pointen.
Die Dirigentin gibt alerte Tempi vor
Joana Mallwitz führt bei ökonomischer und keineswegs hackender Schlagtechnik ein, wie gesagt, strenges Regiment mit vielfach alerten, aber nie absurden Tempi: Zugegeben, ein prononcierter Wille ist weit besser als dauerndes Nachgeben in alle Richtungen. Interessant, dass sie in der Ouvertüre die drei letzten Takte der langsamen Einleitung mit der „Cos`ı fan tutte“-Kadenz schon ins Presto-Tempo mit hineinnimmt. Die Wiener Philharmoniker leiden es und spielen sich in schönen Bläsersoli frei – und am Hammerklavier steuert Nicholas Rimmer einige Apercus¸ bei, etwa in hübschen Echos auf zärtliche Violinfigurationen in „Il core vi dono“.
Und das Ende? Für Loy ist es weder die Flucht in ein fröhliches Vergessen noch eine Erschütterung, aus der es für die alten Paare keinen Ausweg mehr gibt. Er findet für die „große Einladung zur Kompliziertheit des Lebens“, die Mozart hier ausgedrückt habe, wie er im Programmbuch darlegt, eine poetische Darstellung. Fiordiligi und Guglielmo liegen sich in raschem Verzeihen in den Armen, bei Ferrando und Dorabella dürfte es bis dahin noch etwas dauern. Und der alte Alfonso wird weiterhin mit aller verbliebenen Energie versuchen, die Jugend in Gestalt von Despina zu erhaschen: hier vielleicht weniger eine Anspielung auf MeToo als auf ein ewiges Menschheitsthema.