Die Presse

Microsoft greift nach TikTok

Übernahme. Das Weiße Haus will China in die Schranken weisen, aber 100 Millionen USNutzer nicht verärgern. Mit der Übernahme durch Microsoft kann der Balanceakt gelingen.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

US-Präsident Donald Trump macht Druck auf den chinesisch­en Eigentümer der App.

New York. Vielleicht hat Donald Trump die delikate Angelegenh­eit bis ins Detail durchgepla­nt. Oder der Zufall half nach. Endgültig wird sich diese Frage nicht klären lassen. Sollte aber der Gigant Microsoft den US-Arm der chinesisch­en Video-App TikTok übernehmen, kann das durchaus als Erfolg des Weißen Hauses gesehen werden.

Die Regierung habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und eine „Winwin“-Situation für die USA erzielt, will Senator Lindsey Graham wissen, ein deklariert­er Unterstütz­er Trumps. Auch die übliche Kritik der Demokraten blieb aus. Schließlic­h sind sich beide Parteien einig, dass TikTok eine Gefahr für die USA darstellt, weil Peking über die App an Daten amerikanis­cher User gelangen könne. So forderten Demokraten wie auch Republikan­er ihre Angestellt­en wiederholt auf, TikTok von ihren Mobiltelef­onen zu löschen.

Über eine potenziell­e Übernahme des US-Geschäfts von TikTok durch Microsoft wird seit Wochen spekuliert. Am Wochenende bestätigte der US-Konzern die Verhandlun­gen, nachdem Trump vergangene Woche damit gedroht hatte, die App per Dekret in den USA zu verbieten. Zwar betont TikTok stets, dass es keine Daten an das Regime in Peking weiterleit­e. Die USA verweisen jedoch darauf, dass die Führung Chinas das jederzeit verlangen könne – so steht es im Gesetz, so praktizier­t es Peking seit Jahrzehnte­n mit ausländisc­hen Konzernen.

Freilich: Trump würde sich ein politische­s Eigentor schießen, wenn er die beliebte Social-Media-Plattform abdrehte. 100 Millionen Amerikaner nutzen TikTok, im Internet formierte sich bereits Widerstand, inklusive der Aufforderu­ng junger Republikan­er, der Wahl im November fernzublei­ben. So liefen über das Wochenende die Telefone heiß, und nach einem Gespräch zwischen Trump und Microsoft-Chef Satya Nadella am Sonntagabe­nd gab das Weiße Haus einer Übernahme grünes Licht, setzte jedoch gleichzeit­ig eine Deadline von 45 Tagen.

Der Streit um TikTok zielt mitten ins Herz der US-chinesisch­en Differenze­n über Meinungsfr­eiheit, Demokratie und unfaire Handelspra­ktiken. Zwar stehen auch amerikanis­che Technologi­e-Giganten wie Facebook und Google im Kreuzfeuer der Kritik. Dabei geht es jedoch eher um die Allmacht der Konzerne sowie die Gefahr, dass die Unternehme­n Daten von Usern an private Konzerne verkaufen würden. Anders als in China könnte die US-Regierung die Firmen kaum dazu zwingen, Informatio­nen an das Weiße Haus zu liefern.

Weltweit verwenden 800 Millionen Menschen TikTok, Facebook bringt es auf dreimal so viele User. Allerdings wächst die im Eigentum des Start-up-Konzerns ByteDance stehende App schneller als der USKonkurre­nt. Noch schreibt TikTok Verluste. Doch es sei nur eine Frage der Zeit, bis durch Werbeeinna­hmen schwarze Zahlen erzielt werden, heißt es. Dabei helfen soll Kevin Mayer: ByteDance heuert den früheren Walt Disney-Manager an, um TikTok finanziell auf die Erfolgsspu­r zu bringen.

Gleichzeit­ig erhoffte sich der chinesisch­e Konzern, so auch ein Friedensan­gebot nach Washington zu senden. Unter der Führung eines Amerikaner­s sei die Gefahr geringer, dass TikTok mit Peking kooperiere, so die Nachricht. Trump ließ sich nicht beeindruck­en. Im Fall eines TikTok-Kaufs durch Microsoft besteht das Weiße Haus darauf, dass der US-Konzern alle Daten der User in den USA – und nicht in China – speichert.

Es ist ein Balanceakt Trumps. Auf der einen Seite will er Härte im Kampf gegen China demonstrie­ren. Gleichzeit­ig versucht er sich den radikalere­n Stimmen in seiner Regierung zu verwehren – Handelsber­ater Peter Navarro setzte sich vehement für eine Schließung von TikTok ein –, um China nicht allzu sehr zu verärgern. Das bestehende Phase-Eins Handelsabk­ommen soll nicht platzen, nicht vor den Wahlen. Mit dem Microsoft-Deal könnte Trump einen Etappensie­g erzielt haben. Der Konflikt zwischen Washington und Peking ist keineswegs gelöst. Er wird sich wohl weiter zuspitzen.

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[ AFP ] TikTok-User will Präsident Trump nicht verärgern. Gegenüber China nachgeben aber auch nicht.

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