Microsoft greift nach TikTok
Übernahme. Das Weiße Haus will China in die Schranken weisen, aber 100 Millionen USNutzer nicht verärgern. Mit der Übernahme durch Microsoft kann der Balanceakt gelingen.
US-Präsident Donald Trump macht Druck auf den chinesischen Eigentümer der App.
New York. Vielleicht hat Donald Trump die delikate Angelegenheit bis ins Detail durchgeplant. Oder der Zufall half nach. Endgültig wird sich diese Frage nicht klären lassen. Sollte aber der Gigant Microsoft den US-Arm der chinesischen Video-App TikTok übernehmen, kann das durchaus als Erfolg des Weißen Hauses gesehen werden.
Die Regierung habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und eine „Winwin“-Situation für die USA erzielt, will Senator Lindsey Graham wissen, ein deklarierter Unterstützer Trumps. Auch die übliche Kritik der Demokraten blieb aus. Schließlich sind sich beide Parteien einig, dass TikTok eine Gefahr für die USA darstellt, weil Peking über die App an Daten amerikanischer User gelangen könne. So forderten Demokraten wie auch Republikaner ihre Angestellten wiederholt auf, TikTok von ihren Mobiltelefonen zu löschen.
Über eine potenzielle Übernahme des US-Geschäfts von TikTok durch Microsoft wird seit Wochen spekuliert. Am Wochenende bestätigte der US-Konzern die Verhandlungen, nachdem Trump vergangene Woche damit gedroht hatte, die App per Dekret in den USA zu verbieten. Zwar betont TikTok stets, dass es keine Daten an das Regime in Peking weiterleite. Die USA verweisen jedoch darauf, dass die Führung Chinas das jederzeit verlangen könne – so steht es im Gesetz, so praktiziert es Peking seit Jahrzehnten mit ausländischen Konzernen.
Freilich: Trump würde sich ein politisches Eigentor schießen, wenn er die beliebte Social-Media-Plattform abdrehte. 100 Millionen Amerikaner nutzen TikTok, im Internet formierte sich bereits Widerstand, inklusive der Aufforderung junger Republikaner, der Wahl im November fernzubleiben. So liefen über das Wochenende die Telefone heiß, und nach einem Gespräch zwischen Trump und Microsoft-Chef Satya Nadella am Sonntagabend gab das Weiße Haus einer Übernahme grünes Licht, setzte jedoch gleichzeitig eine Deadline von 45 Tagen.
Der Streit um TikTok zielt mitten ins Herz der US-chinesischen Differenzen über Meinungsfreiheit, Demokratie und unfaire Handelspraktiken. Zwar stehen auch amerikanische Technologie-Giganten wie Facebook und Google im Kreuzfeuer der Kritik. Dabei geht es jedoch eher um die Allmacht der Konzerne sowie die Gefahr, dass die Unternehmen Daten von Usern an private Konzerne verkaufen würden. Anders als in China könnte die US-Regierung die Firmen kaum dazu zwingen, Informationen an das Weiße Haus zu liefern.
Weltweit verwenden 800 Millionen Menschen TikTok, Facebook bringt es auf dreimal so viele User. Allerdings wächst die im Eigentum des Start-up-Konzerns ByteDance stehende App schneller als der USKonkurrent. Noch schreibt TikTok Verluste. Doch es sei nur eine Frage der Zeit, bis durch Werbeeinnahmen schwarze Zahlen erzielt werden, heißt es. Dabei helfen soll Kevin Mayer: ByteDance heuert den früheren Walt Disney-Manager an, um TikTok finanziell auf die Erfolgsspur zu bringen.
Gleichzeitig erhoffte sich der chinesische Konzern, so auch ein Friedensangebot nach Washington zu senden. Unter der Führung eines Amerikaners sei die Gefahr geringer, dass TikTok mit Peking kooperiere, so die Nachricht. Trump ließ sich nicht beeindrucken. Im Fall eines TikTok-Kaufs durch Microsoft besteht das Weiße Haus darauf, dass der US-Konzern alle Daten der User in den USA – und nicht in China – speichert.
Es ist ein Balanceakt Trumps. Auf der einen Seite will er Härte im Kampf gegen China demonstrieren. Gleichzeitig versucht er sich den radikaleren Stimmen in seiner Regierung zu verwehren – Handelsberater Peter Navarro setzte sich vehement für eine Schließung von TikTok ein –, um China nicht allzu sehr zu verärgern. Das bestehende Phase-Eins Handelsabkommen soll nicht platzen, nicht vor den Wahlen. Mit dem Microsoft-Deal könnte Trump einen Etappensieg erzielt haben. Der Konflikt zwischen Washington und Peking ist keineswegs gelöst. Er wird sich wohl weiter zuspitzen.