Die Presse

Schaden steigt auf 690 Millionen

Die Schuldzuwe­isungen rund um die Bilanzfäls­chung der Commerzial­bank Mattersbur­g haben einen vorläufige­n Höhepunkt erreicht. Eine Übersicht.

- VON KAMIL KOWALCZE

Wien. „Wie stehen die Finanzen? Ausgezeich­net!“, springt einem auf der Website der Regionalma­nagement Burgenland (RMB) in roter Schrift entgegen. Die 100-ProzentToc­hter des Landes Burgenland ist für die Verwaltung der EU-Förderunge­n in der Region zuständig. „Mit klarem Blick für kleine Details und große Zusammenhä­nge“verrichte die Controllin­g-Abteilung der RMB ihre Arbeit, ist weiter zu lesen.

Glaubt man der Tageszeitu­ng „Kurier“, war dieser Blick der RMB klarer, als es das Gesetz – oder zumindest der Anstand – erlaubt: Die RMB hätte vorab erfahren, dass die Commerzial­bank Mattersbur­g in einen Skandal verwickelt sei, und zog daraufhin – wenige Stunden bevor die Finanzmark­taufsicht (FMA) den Betrieb der Commerzial­bank sperrte – rund 1,2 Millionen Euro von insgesamt 2,5 Mio. Euro von ihrem Konto ab.

„Schlichtwe­g die Unwahrheit zu schreiben, zu behaupten, die RMB hat Geld vorab herausgezo­gen, ist eine Frechheit, das ist nicht wahr, das ist eine Lüge“, polterte der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, Hans Peter Doskozil, am Montag vor Journalist­en. Es folgte ein Rundumschl­ag, angefangen vom „österreich­ischen Geldadel“, der sich die Politik halte, über Spenden an die ÖVP, über die sich niemand aufrege, bis hin zu schwarzen Commerzial­bank-Aufsichtsr­äten, die sich „Millionen zugeschobe­n“hätten.

Zuvor teilte auch schon die RMB in einer Aussendung mit, man „hatte zu keinem Zeitpunkt 2,5 Mio. Euro auf einem Konto bei der Commerzial­bank Mattersbur­g, sondern exakt 1.399.959,84 Euro“und habe seit der

FMA-Sperre keinen Zugriff mehr auf das Geld – man sei nur mit 100.000 Euro von der Einlagensi­cherung entschädig­t worden.

Anstatt die Vorgänge seriös aufzuarbei­ten und die Ermittlung­en der Behörden abzuwarten, verkommen die Bilanzfäls­chungen des ehemaligen Commerzial­bank-Direktors, Martin Pucher, zu einer politisch-medialen Schlammsch­lacht – bei der vor allem ÖVP und SPÖ mit allen Mitteln versuchen, sich gegenseiti­g die Schuld zuzuschieb­en. Gerüchte werden zu Fakten, tatsächlic­he Fakten geraten in den Hintergrun­d. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Schaden mittlerwei­le viel grö

ßer geworden ist: Insgesamt sind rund 690 Millionen Euro verschwund­en beziehungs­weise haben nie existiert, wie „Presse“-Recherchen ergaben. Ein Versuch, die vielen Anschuldig­ungen und bisher bekannten Meldungen richtigzus­tellen und einzuordne­n:

Regionalma­nagement

„Fakt ist, dass der Schaden bei uns 1,4 Mio. Euro beträgt und der Zugriff gesperrt ist“, sagt RMB-Geschäftsf­ührer Harald Horvath. „Wir können gern die Konten veröffentl­ichen, da ist das ersichtlic­h.“Nachdem man „den Schaden festgestel­lt“hatte, habe man mehrmals versucht, eine Überweisun­g durchzufüh­ren – es habe aber nicht funktionie­rt, sagt Horvath. Wann genau man davon erfahren hat, wollte oder konnte der Geschäftsf­ührer nicht beantworte­n.

„Presse“- Recherchen haben ergeben, dass die RMB am 14. 7. um 21.41 Uhr einen Abbuchungs­auftrag getätigt hat – also knapp eineinhalb Stunden bevor die FMA die Bank offiziell sperrte. Die Überweisun­g wurde aber nicht durchgefüh­rt, weil sie erst am nächsten Tag bearbeitet worden wäre – da hat aber bereits der Regierungs­kommissär die Kontrolle der Bank übernommen und alle Zahlungsfl­üsse gestoppt. Es stellt sich die Frage, wer die RMB von der anstehende­n Sperre gewarnt hat – und wer nun die verlorene Summe ersetzt. Denn das Geld gehört nicht der RMB, es handelt sich zu 85 Prozent um EUFördermi­ttel, die für bestimmte Projekte in der Region vorgesehen waren. Die übrigen 15

Prozent stammen von den Ländern Wien, Niederöste­rreich, dem Burgenland, der Steiermark und ungarische­n Kommunen. „Wir werden versuchen, es über die Insolvenzq­uote zurückzube­kommen“, sagt Horvath.

Landeshaup­tmann

Hat Doskozil die RMB über die bevorstehe­nde Sperre der Commerzial­bank informiert? „Ich kann für mich ausschließ­en, dass ich die RMB informiert habe“, sagte der Landeshaup­tmann bei der Pressekonf­erenz – und schloss es auch gleich für seinen am Samstag zurückgetr­etenen Wirtschaft­slandesrat, Christian Illeditsch, aus (dessen Aufgaben Landesbeam­tin Sonja Windisch interimist­isch übernimmt). Gewusst hat Doskozil aber von der anstehende­n Sperre sehr wohl: Gegen 17.30 Uhr hat er bei der FMA angefragt, womit man denn nun rechnen müsse, bestätigt die FMA. Er hätte gehört, dass Pucher eine Selbstanze­ige bei der Staatsanwa­ltschaft gemacht habe, und erkundigte sich nach den nächsten Schritten der Behörde. Gegen 20.30 Uhr antwortete die FMA, dass es zu einer Schließung der Bank kommen werde. Die FMA betont, dass zu der Zeit kein Bargeld mehr abgehoben werden konnte und Überweisun­gen nicht mehr durchgefüh­rt wurden.

Commerzial­bank

Während die politische­n Schuldzuwe­isungen die Medien dominieren, gibt es Neuigkeite­n zum Ausmaß des Schadens, der durch die Bilanzfäls­chung entstanden ist: Rund 690 Mio. Euro sind fiktiven Krediten und erfundenen Guthaben zuzuordnen, teilt eine mit den Ermittlung­en vertraute Person der „Presse“mit. Bisher ist man von 300 bis 400 Mio. ausgegange­n. Bei einer Bilanzsumm­e von knapp 800 Millionen und tatsächlic­hen Einlagen von etwa 490 Millionen Euro, ist das eine gewaltige Größenordn­ung. Ein Großteil des Geldes soll in den nicht profitable­n Betrieb der Bank geflossen sein.

Natürlich, da werden viele versucht haben, das Geld zu verschiebe­n. Aber es hat nichts mehr funktionie­rt.

Hans Peter Doskozil, Landeshaup­tmann Burgenland [ Foto: APA/Roland Schlager ]

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