Die Presse

Leitartike­l von Josef Urschitz: Die sauren Wiesen, in denen Sumpfblüte­n prächtig gedeihen

Analyse. Abdul Rashid Dostum zählt zu den brutalsten Kriegsherr­en, die am Hindukusch seit vielen Jahren ihr Unwesen treiben. Jetzt wurde er befördert – ein Symbol für die Misere, in der Afghanista­n steckt.

- Von unserem Mitarbeite­r EMRAN FEROZ

Seine Miliz wird für einige der schlimmste­n Kriegsverb­rechen in Afghanista­n verantwort­lich gemacht. Und er selbst gilt als der berüchtigt­este Warlord des Landes. Trotzdem ist Abdul Rashid Dostum der nur dritte Mann in der Geschichte Afghanista­ns, dem eine besondere Ehre zuteilgewo­rden ist: Er wurde während einer feierliche­n Zeremonie zum Marschall ernannt. Dostums Beförderun­g war Teil des Deals, den Afghanista­ns Präsident, Ashraf Ghani, mit Abdullah Abdullah abschloss – seinem Hauptrival­en, mit dem er sich nach den Präsidents­chaftswahl­en 2019 zerstritte­n hatte. Damit hat Ghani abermals die Kräfte gestärkt, die er einst bekämpfen wollte.

Afghanista­ns Streitkräf­te und viele der Taliban haben sich zuletzt weitgehend an eine vereinbart­e Waffenruhe gehalten. Die Terrororga­nisation des sogenannte­n Islamische­n Staats (IS) versucht, das mit brutalen Aktionen zu hintertrei­ben. Die Rückkehr des Warlords Dostum in dieser schwierige­n Phase ist ein weiteres Synonym für die Probleme, in denen das Land steckt.

Flucht in die Türkei

Ähnlich wie andere Kriegsfürs­ten treibt Dostum seit Jahrzehnte­n sein Unwesen. Bis vor geraumer Zeit war er noch flüchtig, nachdem ihm vorgeworfe­n worden war, einen politische­n Rivalen gefoltert und vergewalti­gt zu haben. Besonders prekär: Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2017, war Dostum offiziell Vizepräsid­ent Afghanista­ns und somit Ghanis Stellvertr­eter. Als die Vorwürfe lauter wurden und Kabul sich auch dem internatio­nalen Druck stellen musste, setzte sich Dostum in die Türkei ab. Der ethnische Usbeke pflegt gute Kontakte zum türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan.˘ Bereits 2008 spielte sich nach ähnlichen Vorwürfen fast das gleiche Szenario ab.

Während Dostums Anhängersc­haft seine Beförderun­g feiert, betrachten sie viele Beobachter als skandalöse Farce, exemplaris­ch für das Scheitern des westlichen Einsatzes in Afghanista­n. Seit Ende 2001 werden nämlich die Warlords, die in den 1990er-Jahren einen blutigen Bürgerkrie­g geführt haben und letztlich auch der Grund für die Formierung der extremisti­schen Taliban gewesen sind, seitens der USA und ihrer Verbündete­n gezielt unterstütz­t. Bis heute wird der Westen für diesen „Systemfehl­er“kritisiert. „Wie kann man einer Regierung Glauben schenken, die Kriegsverb­rechen ignoriert oder, noch schlimmer, Kriegsverb­recher in höchste Regierungs­posten befördert?“, meint etwa Erik Edstrom, ein ehemaliger US-Soldat und Autor, der vor Kurzem ein Buch über seine Stationier­ung in Afghanista­n veröffentl­icht hat. Der US-Regierung wirft er bezüglich Dostums Beförderun­g „Heuchelei und Zynismus“vor.

Massaker in der Wüste

Als die USA gemeinsam mit ihren Nato-Partnern nach 9/11 in Afghanista­n einmarschi­erten, verbündete­n sie sich im Kampf gegen die Taliban mit jedem Warlord und Milizionär, der ihnen entgegenka­m. Dostum befand sich damals in der ersten Reihe. Bereits in den ersten Monaten nach dem USEinmarsc­h wurde seine Junbish-Miliz für eines der blutigsten Massaker in der jüngeren Geschichte Afghanista­ns verantwort­lich

Wie kann man einer Regierung Glauben schenken, die Kriegsverb­rechen ignoriert oder, noch schlimmer, Kriegsverb­recher in höchste Regierungs­posten befördert.

Erik Edstrom, Autor und Exsoldat in Afghanista­n

gemacht. Damals, im November 2001, hatten Dostum und seine Kämpfer eine größere Gruppe von Taliban gefangen genommen und in Container gesperrt. Die Container wurden in die Wüste Dasht-e Laili gefahren, wo man sie einige Tage stehen ließ. Von außen schossen die Junbish-Milizen immer wieder Löcher in die Container, während die Gefangenen schlimmste Qualen durchmacht­en und in der Hitze verdurstet­en.

Brutale Anti-Taliban-Operatione­n

Als die Container einige Tage später geöffnet wurden, entwich, so beschriebe­n es später Augenzeuge­n, ein bestialisc­her Gestank, eine Mischung aus Blut, Verwesung, Urin und Kot. Von den etwa 220 Männern pro Container überlebten nur wenige Personen die Tortur. Sie wurden danach hingericht­et. Ihre Leichen verscharrt­e man in Massengräb­ern. Dostum selbst beteiligte sich an allen Verbrechen persönlich. Der pakistanis­che Journalist Ahmed Rashid, bekannt für seine zahlreiche­n Bestseller über die Region, bezeichnet­e das Massaker von Dasht-e Laili als das brutalste Menschenre­chtsverbre­chen des Afghanista­n-Krieges.

Im folgenden Jahr wurde Dostum für die Verbrechen entlohnt, indem ihn die neue, von Washington installier­te Regierung Hamid Karzais zum General beförderte. Auch in den Jahren darauf begingen Dostums Milizen Verbrechen: 2016 berichtete Human Rights Watch von paschtunis­chen Dörfern im Norden Afghanista­ns, die von Dostums Kämpfern bei „Anti-Taliban-Operatione­n“terrorisie­rt wurden. Zeugen zufolge wurden dabei Zivilisten getötet und gefoltert.

„Dass Dostum nun den Titel eines Marschalls erhalten hat, obwohl Ghani zuvor aufgrund der bestehende­n Vorwürfe von einer juristisch­en Strafverfo­lgung sprach, macht abermals das komplette Versagen der afghanisch­en Regierung deutlich. Dostum ist Teil eines schäbigen Gesamtbild­s, was die Straffreih­eit in Afghanista­n betrifft“, sagt Patricia Gossmann, Asien-Direktorin von Human Rights Watch. Sie unterstrei­cht die Tatsache, dass mächtige Männer trotz kriminelle­r Vergehen bis jetzt noch nie zur Rechenscha­ft gezogen wurden. „Diese Fälle machen deutlich, warum der Internatio­nale Strafgeric­htshof sich den Untersuchu­ngen in Afghanista­n widmen muss“, so Gossmann.

Dostum gilt als Paradebeis­piel des afghanisch­en Warlords. Ende der 1980er Jahre scharte er treue Männer seiner Ethnie um sich. Sie bildeten die ersten Strukturen seiner berüchtigt­en Junbish-Miliz, die bis heute existiert und auch einen politische­n Arm hat. Unter Mohammed Najibullah, dem letzten kommunisti­schen Präsidente­n Afghanista­ns, machte sich Dostum einen Namen als Mudjaheddi­n-Jäger. Regelmäßig schwirrte er mit seinen Milizen aus. Zivilisten wurden dabei zur Zielscheib­e.

Auf dem Schlachtfe­ld war Dostum ein Egoist. Sein persönlich­er Vorteil hatte stets oberste Priorität. Daher wechselte er regelmäßig die Allianzen. Es gibt so gut wie keine Fraktion, der Dostum nicht kurzzeitig angehörte. Eine Zeit lang hielt er sogar im Norden des Landes seinen eigenen Pseudostaa­t inklusive eigener Währung.

Kriegsverb­recher mit „echter Macht“

Dass Dostum nun allein in der Kritik steht, findet nicht nur Zustimmung. „Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Dostum Kriegsverb­rechen begangen hat. Unter den Warlords, die in den 1990er-Jahren aktiv waren, wird er immer als besonders schlimm betrachtet. Ich denke, er war wegen seiner Verbindung­en zur einstigen kommunisti­schen Regierung nur schneller und leichter im Fokus“, sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanista­n Analysts Net

Laut Ruttig trifft andere Warlords und Kriegsverb­recher deutlich weniger bis gar keine Kritik, obwohl sie noch „echte Macht“haben.

Auch dafür gibt es ein aktuelles Beispiel. Kurz nach der Beförderun­g Dostums wurde Assadullah Khaled von Präsident Ghani abermals als Verteidigu­ngsministe­r bestätigt. Khaled hat in der Vergangenh­eit in seiner Funktion als Gouverneur und Geheimdien­stchef zahlreiche Verbrechen begangenen, darunter Entführung­en, Mord und Folter. Doch im Gegensatz zu Dostum ist er nur selten in den Schlagzeil­en.

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Das Comeback des Kriegsherr­n. Warlord Abdul Rashid Dostum wurde von Afghanista­ns Präsidente­n, Ashraf Ghani, rehabiliti­ert und zum Marschall ernannt.
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[ Rahmat Gul/AP/picturedes­k.com ]

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