Die Presse

Die sauren Wiesen, in denen Sumpfblüte­n prächtig gedeihen

Die Aufarbeitu­ng des Commerzial­bank-Skandals darf sich nicht auf die strafrecht­lichen Aspekte beschränke­n. Da steckt eindeutig mehr dahinter.

- VON JOSEF URSCHITZ

Was haben der Fall Wirecard, der gerade die Deutschen schockt, und jener der burgenländ­ischen Commerzial­bank, der hierzuland­e keinen wirklich überrascht, gemeinsam? Glamouröse, mit hoher kriminelle­r Energie ausgestatt­ete Akteure, ahnungs- und hilflos wirkende Wirtschaft­sprüfer, Aufsichtsb­ehörden und Staatsanwä­lte, Politiker, die sich im Glanz der Erfolgsman­ager sonnen und ihre schützende Hand über diese halten, solang es geht. Mit anderen Worten: Ein blubbernde­r, streng riechender politische­r und gesellscha­ftlicher Sumpf, der den idealen Nährboden für solche Blüten abgibt.

Das ist nichts Neues: Wir kennen die Funktionsw­eise solcher sauren Wiesen seit den Skandalen um Bawag, Hypo und Kommunalkr­edit sehr genau. Und auch die Deutschen haben mit diesen Mechanisme­n mit ihrem Cum-Ex-Skandal oder mit den umfangreic­hen Zins- und Währungsma­nipulation­en der Deutschen Bank ausreichen­d Erfahrung. In beiden Ländern wurden allerdings bisher keine wirklichen Konsequenz­en daraus gezogen. Im Gegenteil: Die Skandale wurden nur sehr unzureiche­nd aufgearbei­tet. Sicher, es gab die eine oder andere Verurteilu­ng eines Managers. Aber das Umfeld blieb davon unberührt.

Ein schönes Beispiel lieferte der Bawag-Prozess, in dem die Richterin auffällig angestreng­t nicht wissen wollte, wohin das verspekuli­erte Geld eigentlich geflossen ist – und sich mit maximal dummdreist­en Ausreden („Festplatte gecrasht“) abspeisen ließ. Und nein, sie wurde für diese Farce nicht ins Bezirksger­icht Gigritzpot­schn versetzt, sondern zur Justizmini­sterin befördert.

Und genau hier beginnt das Problem: Solche Skandale sind in diesen Dimensione­n nur durch großflächi­ges gesellscha­ftliches und politische­s Systemvers­agen möglich. Um solches in Zukunft zu verhindern oder zu erschweren ist eine Aufarbeitu­ng nötig, die weit über die rein strafrecht­liche Abwicklung hinausgeht.

Die Deutschen haben angesichts der Wirecard-Pleite, die das Image des gesamten Wirtschaft­sstandorts schädigt, zumindest mit der Diskussion darüber begonnen. Bei uns steht das noch aus.

Da wird man sich etwa fragen müssen, welche Mechanisme­n Wirtschaft­sprüfer, die ja mit einiger Sicherheit Bilanzen lesen können und wissen, wie man Belege checkt, dazu bringen, trotz gravierend­er, öffentlich gewordener Verdachtsm­omente jahrelang angestreng­t wegzusehen. Da wird man sich fragen müssen, wofür Bankenprüf­er, Finanzmark­taufseher und Wirtschaft­sstaatsanw­älte eigentlich bezahlt werden, wenn sie, wie bei Wirecard und der Commerzial­bank, konkrete Verdachtsm­omente mehr als halbherzig prüfen und dann mit einem „Da is nix“zu den Akten legen. Und da wird man sich fragen müssen, welche Funktion eigentlich Aufsichtsr­äte erfüllen. Außer der des vergleichs­weise gut dotierten Sesselwärm­ers ohne konkrete Verantwort­ung.

Die Aufarbeitu­ng wird die Mechanisme­n, die hinter diesem seltsamen Verhalten stehen, beleuchten müssen. Etwa die Machtstruk­turen, die hoch qualifizie­rte Bankenprüf­er, wie im Fall Hypo geschehen, dazu bringen, ein positives Gutachten zu erstellen, um sich dann in internen Mails über den Schrott lustig zu machen, den sie da offenbar in höherem Auftrag selbst fabriziert haben.

Da zeigt sich hier wie in Deutschlan­d ein Wesenszug, der es Wirtschaft­skriminell­en besonders leicht macht: Duckmäuser­tum und Obrigkeits­hörigkeit in den staatliche­n, aber auch privaten Strukturen. Nur nicht anecken, man muss ja nicht alles sehen!

Der Fall Commerzial­bank ist also nicht nur ein Fall für die Gerichte, sondern auch einer des gesellscha­ftlichen Klimas und der Politik. Letztere hat es in der Hand, Strukturen zu schaffen, die diese sauren Wiesen austrockne­n.

Die leidvolle Erfahrung zeigt allerdings, dass Hoffnung darauf ziemlich einfältig ist. Wir haben bisher jedenfalls keinerlei Hinweise darauf, dass sich irgendjema­nd in Land oder Bund dazu berufen fühlt, diese fatalen eingeschli­ffenen Mechanisme­n auch nur ernsthaft anzusprech­en.

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