Die sauren Wiesen, in denen Sumpfblüten prächtig gedeihen
Die Aufarbeitung des Commerzialbank-Skandals darf sich nicht auf die strafrechtlichen Aspekte beschränken. Da steckt eindeutig mehr dahinter.
Was haben der Fall Wirecard, der gerade die Deutschen schockt, und jener der burgenländischen Commerzialbank, der hierzulande keinen wirklich überrascht, gemeinsam? Glamouröse, mit hoher krimineller Energie ausgestattete Akteure, ahnungs- und hilflos wirkende Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsbehörden und Staatsanwälte, Politiker, die sich im Glanz der Erfolgsmanager sonnen und ihre schützende Hand über diese halten, solang es geht. Mit anderen Worten: Ein blubbernder, streng riechender politischer und gesellschaftlicher Sumpf, der den idealen Nährboden für solche Blüten abgibt.
Das ist nichts Neues: Wir kennen die Funktionsweise solcher sauren Wiesen seit den Skandalen um Bawag, Hypo und Kommunalkredit sehr genau. Und auch die Deutschen haben mit diesen Mechanismen mit ihrem Cum-Ex-Skandal oder mit den umfangreichen Zins- und Währungsmanipulationen der Deutschen Bank ausreichend Erfahrung. In beiden Ländern wurden allerdings bisher keine wirklichen Konsequenzen daraus gezogen. Im Gegenteil: Die Skandale wurden nur sehr unzureichend aufgearbeitet. Sicher, es gab die eine oder andere Verurteilung eines Managers. Aber das Umfeld blieb davon unberührt.
Ein schönes Beispiel lieferte der Bawag-Prozess, in dem die Richterin auffällig angestrengt nicht wissen wollte, wohin das verspekulierte Geld eigentlich geflossen ist – und sich mit maximal dummdreisten Ausreden („Festplatte gecrasht“) abspeisen ließ. Und nein, sie wurde für diese Farce nicht ins Bezirksgericht Gigritzpotschn versetzt, sondern zur Justizministerin befördert.
Und genau hier beginnt das Problem: Solche Skandale sind in diesen Dimensionen nur durch großflächiges gesellschaftliches und politisches Systemversagen möglich. Um solches in Zukunft zu verhindern oder zu erschweren ist eine Aufarbeitung nötig, die weit über die rein strafrechtliche Abwicklung hinausgeht.
Die Deutschen haben angesichts der Wirecard-Pleite, die das Image des gesamten Wirtschaftsstandorts schädigt, zumindest mit der Diskussion darüber begonnen. Bei uns steht das noch aus.
Da wird man sich etwa fragen müssen, welche Mechanismen Wirtschaftsprüfer, die ja mit einiger Sicherheit Bilanzen lesen können und wissen, wie man Belege checkt, dazu bringen, trotz gravierender, öffentlich gewordener Verdachtsmomente jahrelang angestrengt wegzusehen. Da wird man sich fragen müssen, wofür Bankenprüfer, Finanzmarktaufseher und Wirtschaftsstaatsanwälte eigentlich bezahlt werden, wenn sie, wie bei Wirecard und der Commerzialbank, konkrete Verdachtsmomente mehr als halbherzig prüfen und dann mit einem „Da is nix“zu den Akten legen. Und da wird man sich fragen müssen, welche Funktion eigentlich Aufsichtsräte erfüllen. Außer der des vergleichsweise gut dotierten Sesselwärmers ohne konkrete Verantwortung.
Die Aufarbeitung wird die Mechanismen, die hinter diesem seltsamen Verhalten stehen, beleuchten müssen. Etwa die Machtstrukturen, die hoch qualifizierte Bankenprüfer, wie im Fall Hypo geschehen, dazu bringen, ein positives Gutachten zu erstellen, um sich dann in internen Mails über den Schrott lustig zu machen, den sie da offenbar in höherem Auftrag selbst fabriziert haben.
Da zeigt sich hier wie in Deutschland ein Wesenszug, der es Wirtschaftskriminellen besonders leicht macht: Duckmäusertum und Obrigkeitshörigkeit in den staatlichen, aber auch privaten Strukturen. Nur nicht anecken, man muss ja nicht alles sehen!
Der Fall Commerzialbank ist also nicht nur ein Fall für die Gerichte, sondern auch einer des gesellschaftlichen Klimas und der Politik. Letztere hat es in der Hand, Strukturen zu schaffen, die diese sauren Wiesen austrocknen.
Die leidvolle Erfahrung zeigt allerdings, dass Hoffnung darauf ziemlich einfältig ist. Wir haben bisher jedenfalls keinerlei Hinweise darauf, dass sich irgendjemand in Land oder Bund dazu berufen fühlt, diese fatalen eingeschliffenen Mechanismen auch nur ernsthaft anzusprechen.
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