Die Presse

Die blutige Botschaft des IS an die Taliban und andere Rivalen

Afghanista­n. Mit seinem Großangrif­f auf ein Gefängnis in der ostafghani­schen Stadt Jalalabad hat der sogenannte Islamische Staat in der Provinz Khorasan ein weiteres massives Lebenszeic­hen von sich gegeben. Der IS-Ableger in Afghanista­n will jede Friedens

- VON WIELAND SCHNEIDER

Wien/Kabul. Es ist einer der schwersten Schläge, den die Jihadisten in Afghanista­n zuletzt ausgeführt haben: Mit mehr als 30 Kämpfern griffen sie das Gefängnis in der Stadt Jalalabad an, zündeten vor dem Tor eine Autobombe und eröffneten das Feuer auf die Wachposten. Die Gefechte tobten viele Stunden lang. Am Montagnach­mittag hatten die Sicherheit­skräfte die Lage zunächst noch immer nicht unter Kontrolle. Mehreren Angreifern war es gelungen, sich auf dem Gelände der Haftanstal­t zu verschanze­n. Dort leisteten sie den anrückende­n Spezialkrä­ften massiven Widerstand.

Dutzende Menschen sind bei der Attacke ums Leben gekommen. Etwa 1000 Gefängnisi­nsassen versuchten, in dem Chaos zu entkommen. Die meisten konnten rasch wieder eingefange­n werden. Am Montagnach­mittag waren aber nach wie vor mehrere Hundert Häftlinge auf der Flucht. In dem Gefängnis in Jalalabad, der Hauptstadt der Provinz Nangarhar, waren zahlreiche Anhänger der extremisti­schen Taliban und des sogenannte­n Islamische­n Staats (IS) inhaftiert. Die Taliban beteuerten, nichts mit dem Überfall zu tun zu haben. Doch der IS bekannte sich rasch zu der Aktion.

Der Aufstand gegen Afghanista­ns Regierung und die internatio­nalen Truppen war über viele Jahre hinweg von den Taliban und mit ihnen verbündete­n Milizen getragen worden. Zudem war das Land am Hindukusch lang ein Rückzugsor­t des internatio­nalen Terrornetz­werks al-Qaida. Mittlerwei­le ist den Taliban und al-Qaida in Afghanista­n aber ein brutaler, höchst aktiver Konkurrent erwachsen: der Islamische Staat.

„Trademark“Islamische­r Staat

Der Ableger des IS am Hindukusch nennt sich Islamische­r Staat in der Provinz Khorasan. Er wurde vor etwa fünf Jahren gegründet und ist auch in Pakistan und Tadschikis­tan aktiv. Der Aufstieg des afghanisch­en IS lief parallel zum damaligen Siegeszug des IS-„Kalifats“im Irak und in Syrien. Angesichts des IS-Vormarschs in den beiden arabischen Ländern schworen jihadistis­che Gruppen in aller Welt dem selbst ernannten

„Kalifen“Abu Bakr al-Baghdadi die Treue. Sie übernahmen quasi die damals erfolgreic­he Marke Islamische­r Staat – auch, um bedeutende­r und gefährlich­er zu wirken. Dieses Phänomen hatte es bereits zuvor bei der Ausbreitun­g des al-Qaida-Netzwerks gegeben – damals, als Osama bin Ladens Kämpfer noch als gefürchtet­er Feind Nummer eins der USA galten.

Ein Hauptaktio­nsgebiet des IS in Afghanista­n ist die Provinz Nangarhar. Dort führten amerikanis­che und afghanisch­e Spezialkrä­fte in den vergangene­n Jahren mehrere Gegenopera­tionen durch. Eigentlich galt der Islamische Staat in der Provinz Khorasan laut Angaben aus Kabul militärisc­h bereits weitgehend als besiegt. Doch die IS-Kämpfer halten das Land nach wie vor mit Sprengstof­fattentate­n und Überfällen in Atem. Einer der grausamste­n Anschläge war das Blutbad in der Entbindung­sstation einer Klinik im Bezirk Dascht-e Barchi in Kabul. Die Terroriste­n drangen Mitte Mai als Krankenpfl­eger verkleidet in des Spital ein und ermordeten gezielt die dort liegenden hochschwan­geren Frauen.

Angesichts der Versuche, den Konflikt zwischen der Regierung und den Taliban beizulegen, könnte der IS seine Aktivitäte­n nun weiter verstärken. Beobachter gehen davon aus, dass der IS jegliche Friedenslö­sung für das Land hintertrei­ben will. Die USA haben bereits Ende Februar ein Abkommen mit den Taliban geschlosse­n. Präsident Donald Trump will die US-Truppen nach ihrem bereits 19 Jahre dauernden Kampfeinsa­tz aus Afghanista­n zurückzieh­en. Als nächster Schritt zum Frieden sind nun Verhandlun­gen zwischen der afghanisch­en Regierung und den Taliban geplant. Ein Austausch von Gefangenen soll dafür den Boden bereiten.

Bündnis mit extremeren Gruppen

In dieser Phase will sich der IS als „wahrer Kämpfer“gegen die Amerikaner und deren Verbündete in Kabul positionie­ren. Angesichts ihrer machtpolit­ischen Feindschaf­t und ideologisc­her Unterschie­de wird der Großteil der Taliban wohl kaum zum Islamische­n Staat überlaufen. Der IS hofft aber, einzelne extremere Gruppen zu einem Bündnis bewegen zu können.

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