Kim macht Kernsprengköpfe tauglich für seine Raketen
Ein vertraulicher Bericht der UNO beklagt den erneuten gravierenden Sanktionsbruch durch das Regime in Pjöngjang. Stammt das Geld für seine atomare Aufrüstung aus Cyberkriminalität?
Nordkorea hat wahrscheinlich sehr kleine nukleare Sprengköpfe entwickelt, die auf Raketen passen.
Pjöngjang/Tokio. Trotz aller internationalen Sanktionen treibt das nordkoreanische Regime offenbar sein Atom- und Raketenprogramm vehement voran. Das geht aus einem vertraulichen Bericht der Vereinten Nationen hervor, in dem ein unabhängiges Expertengremium zu dem Schluss kommt, dass Nordkorea „wahrscheinlich sehr kleine nukleare Sprengköpfe entwickelt hat, die auf ballistische Raketen passen“. Ferner resümiert der Bericht, an dem mehrere Staaten mitgearbeitet haben, dass Pjöngjang sein Atomprogramm generell forciert, „einschließlich der Produktion von hoch angereichertem Uran und dem Bau eines experimentellen Leichtwasserreaktors“.
Das war zu vermuten gewesen – aber woher stammen Informationen mit solcher Gewissheit? Das Dokument nennt als Quelle die Berichte eines Mitgliedslandes. Welches gemeint ist, wurde nicht erwähnt, aber man darf vermuten, dass es sich um Nordkoreas engsten Verbündeten, China, handelt. Und warum gerade jetzt? Es könnte gut sein, dass einer interessierten Seite daran gelegen ist, das Thema Nordkorea und Atomwaffen wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Zweck der Botschaften wäre dann, der Welt erneut die „Gefährlichkeit“dieser potenziellen Atommacht vor Augen zu führen, um die USA zu einer neuen Verhandlungsrunde zu veranlassen.
Das würde exakt ins Konzept von Diktator Kim Jong-un passen, der immer wieder öffentlich beklagt, dass die Atomgespräche mit den USA seit dem gescheiterten Hanoi-Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim auf Eis liegen. Diese Verhandlungen sind festgefahren, weil Nordkorea versucht, ohne nennenswerte Gegenleistungen bei seiner Entnuklearisierung die Strangulation durch die globalen Sanktionen zu durchbrechen.
Vertraulicher UNO-Bericht
Kim Jong-uns bedrohliche Botschaften
Kim probiert es deshalb immer wieder mit Drohungen. Erst vor wenigen Tagen ließ er seine Untertanen und die Welt wissen: „Dank unserer zuverlässigen und wirksamen nuklearen Abschreckung zur Selbstverteidigung wird es ein Wort wie Krieg in diesem Land nicht mehr geben.“Die Botschaft dahinter lautet wohl: Wir haben jetzt kleine Nuklearsprengköpfe, die auf ballistische Raketen passen, und können damit überall Ziele erreichen. Offiziell hat es seit September 2017 keine Atomtests mehr gegeben, sehr wohl aber eine Serie von blinden Abschüssen ins Japanische Meer.
Mitte Juni bewertete das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri Nordkoreas Atomwaffenprogramm als „aktiv, aber sehr intransparent“. Die Sipri-Forscher gehen davon aus, dass Kim Jong-un über 30 bis 40 Kernsprengköpfe verfügt, von denen die meisten aber zu groß und zu schwer seien, um raketentauglich zu sein. Überhaupt gebe es keine verlässlichen Informationen darüber, dass ein nordkoreanischer Nuklearsprengsatz einsatzfähig ist. Der UN-Report kommt nun zu einer anderslautenden Einschätzung.
Nordkoreas Raubzüge im Cyberraum
Was bei dem Bericht weiters auffällt: Mit keinem Wort wird erwähnt, wie ein so isoliertes und durch Sanktionen geschwächtes Land an ausreichend finanzielle Mittel gelangen kann, um zu einer Atommacht zu werden. Bekannt ist, dass Pjöngjang ungeachtet internationaler Strafmaßnahmen Handel mit Peking treibt und Kohle, Holz und seltene Erden an chinesische Händler verkauft. Aber das dürfte kaum ausreichen, um im Ausland Know-how und Technologie einzukaufen.
Die Lösung dieses Rätsels könnte lauten: Cyberkriminalität. Es klingt zunächst paradox. In einem Land praktisch ohne funktionierendes Internet hat das Kim-Regime eine geheime Cyberarmee aufgestellt, die Banken und Konzerne in aller Welt das Fürchten lehrt. Indizien dafür gibt es genug – vor allem für die Aktivitäten einer Gruppe namens „Lazarus“, die sehr wahrscheinlich von Nordkorea aus operiert. Diese Hacker greifen mittels einer „Ransomware“genannten Erpresser-Software gezielt Unternehmen in Europa und Asien an, um über Kryptowerte wie Bitcoin Finanzmittel abzugreifen.
Laut einem UN-Bericht wird die bisherige Beute Pjöngjangs aus den CyberRaubzügen auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Das wäre rund ein Zehntel der gesamten wirtschaftlichen Jahresleistung Nordkoreas und damit ein enormer Beitrag zur Finanzierung des Rüstungsprogramms. Offiziell dementiert das Kim-Regime zwar eine Verbindung zu „Lazarus“. Doch UNO-Experten vermuten als Anstifter der Cyberattacken den nordkoreanischen Geheimdienst RGB.