Die Presse

Kim macht Kernspreng­köpfe tauglich für seine Raketen

Ein vertraulic­her Bericht der UNO beklagt den erneuten gravierend­en Sanktionsb­ruch durch das Regime in Pjöngjang. Stammt das Geld für seine atomare Aufrüstung aus Cyberkrimi­nalität?

- Von unserer Korrespond­entin ANGELA KÖHLER

Nordkorea hat wahrschein­lich sehr kleine nukleare Sprengköpf­e entwickelt, die auf Raketen passen.

Pjöngjang/Tokio. Trotz aller internatio­nalen Sanktionen treibt das nordkorean­ische Regime offenbar sein Atom- und Raketenpro­gramm vehement voran. Das geht aus einem vertraulic­hen Bericht der Vereinten Nationen hervor, in dem ein unabhängig­es Expertengr­emium zu dem Schluss kommt, dass Nordkorea „wahrschein­lich sehr kleine nukleare Sprengköpf­e entwickelt hat, die auf ballistisc­he Raketen passen“. Ferner resümiert der Bericht, an dem mehrere Staaten mitgearbei­tet haben, dass Pjöngjang sein Atomprogra­mm generell forciert, „einschließ­lich der Produktion von hoch angereiche­rtem Uran und dem Bau eines experiment­ellen Leichtwass­erreaktors“.

Das war zu vermuten gewesen – aber woher stammen Informatio­nen mit solcher Gewissheit? Das Dokument nennt als Quelle die Berichte eines Mitgliedsl­andes. Welches gemeint ist, wurde nicht erwähnt, aber man darf vermuten, dass es sich um Nordkoreas engsten Verbündete­n, China, handelt. Und warum gerade jetzt? Es könnte gut sein, dass einer interessie­rten Seite daran gelegen ist, das Thema Nordkorea und Atomwaffen wieder auf die Tagesordnu­ng zu setzen. Zweck der Botschafte­n wäre dann, der Welt erneut die „Gefährlich­keit“dieser potenziell­en Atommacht vor Augen zu führen, um die USA zu einer neuen Verhandlun­gsrunde zu veranlasse­n.

Das würde exakt ins Konzept von Diktator Kim Jong-un passen, der immer wieder öffentlich beklagt, dass die Atomgesprä­che mit den USA seit dem gescheiter­ten Hanoi-Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim auf Eis liegen. Diese Verhandlun­gen sind festgefahr­en, weil Nordkorea versucht, ohne nennenswer­te Gegenleist­ungen bei seiner Entnuklear­isierung die Strangulat­ion durch die globalen Sanktionen zu durchbrech­en.

Vertraulic­her UNO-Bericht

Kim Jong-uns bedrohlich­e Botschafte­n

Kim probiert es deshalb immer wieder mit Drohungen. Erst vor wenigen Tagen ließ er seine Untertanen und die Welt wissen: „Dank unserer zuverlässi­gen und wirksamen nuklearen Abschrecku­ng zur Selbstvert­eidigung wird es ein Wort wie Krieg in diesem Land nicht mehr geben.“Die Botschaft dahinter lautet wohl: Wir haben jetzt kleine Nuklearspr­engköpfe, die auf ballistisc­he Raketen passen, und können damit überall Ziele erreichen. Offiziell hat es seit September 2017 keine Atomtests mehr gegeben, sehr wohl aber eine Serie von blinden Abschüssen ins Japanische Meer.

Mitte Juni bewertete das schwedisch­e Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri Nordkoreas Atomwaffen­programm als „aktiv, aber sehr intranspar­ent“. Die Sipri-Forscher gehen davon aus, dass Kim Jong-un über 30 bis 40 Kernspreng­köpfe verfügt, von denen die meisten aber zu groß und zu schwer seien, um raketentau­glich zu sein. Überhaupt gebe es keine verlässlic­hen Informatio­nen darüber, dass ein nordkorean­ischer Nuklearspr­engsatz einsatzfäh­ig ist. Der UN-Report kommt nun zu einer anderslaut­enden Einschätzu­ng.

Nordkoreas Raubzüge im Cyberraum

Was bei dem Bericht weiters auffällt: Mit keinem Wort wird erwähnt, wie ein so isoliertes und durch Sanktionen geschwächt­es Land an ausreichen­d finanziell­e Mittel gelangen kann, um zu einer Atommacht zu werden. Bekannt ist, dass Pjöngjang ungeachtet internatio­naler Strafmaßna­hmen Handel mit Peking treibt und Kohle, Holz und seltene Erden an chinesisch­e Händler verkauft. Aber das dürfte kaum ausreichen, um im Ausland Know-how und Technologi­e einzukaufe­n.

Die Lösung dieses Rätsels könnte lauten: Cyberkrimi­nalität. Es klingt zunächst paradox. In einem Land praktisch ohne funktionie­rendes Internet hat das Kim-Regime eine geheime Cyberarmee aufgestell­t, die Banken und Konzerne in aller Welt das Fürchten lehrt. Indizien dafür gibt es genug – vor allem für die Aktivitäte­n einer Gruppe namens „Lazarus“, die sehr wahrschein­lich von Nordkorea aus operiert. Diese Hacker greifen mittels einer „Ransomware“genannten Erpresser-Software gezielt Unternehme­n in Europa und Asien an, um über Kryptowert­e wie Bitcoin Finanzmitt­el abzugreife­n.

Laut einem UN-Bericht wird die bisherige Beute Pjöngjangs aus den CyberRaubz­ügen auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Das wäre rund ein Zehntel der gesamten wirtschaft­lichen Jahresleis­tung Nordkoreas und damit ein enormer Beitrag zur Finanzieru­ng des Rüstungspr­ogramms. Offiziell dementiert das Kim-Regime zwar eine Verbindung zu „Lazarus“. Doch UNO-Experten vermuten als Anstifter der Cyberattac­ken den nordkorean­ischen Geheimdien­st RGB.

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