Der bedrängte Autokrat geht in die Offensive
Belarus. In einer Rede kurz vor der Präsidentenwahl am Sonntag wetterte Amtsinhaber Alexander Lukaschenko gegen seine unerwartete Konkurrenz, warnte vor einem Putschversuch und stellte sich als Garant für Stabilität dar.
Moskau/Minsk. In einer emotionalen Rede hat sich der belarussische Präsident, Alexander Lukaschenko, wenige Tage vor der Wahl an die Bürger gewandt. Gut eineinhalb Stunden referierte er seine bisherigen Verdienste und skizzierte seine Agenda angesichts des Coronavirus und der Wirtschaftskrise. Vor allem aber zeichnete er das Bild eines Landes, das von äußeren Kräften destabilisiert werden soll. Deshalb sollten die Menschen am Sonntag ihre Wahl gut überdenken: „Ich bin kein Heiliger. Ich habe gute und schlechte Eigenschaften“, sagte der seit mehr als einem Vierteljahrhundert amtierende Staatschef. „Aber sind Sie bereit, die in der Verfassung festgeschriebenen Vollmachten jemand anderem zu geben?“
Seinen politischen Gegnern, die von „Puppenspielern“aus dem Ausland dirigiert würden, warf er vor, das Land ins Chaos führen zu wollen. „Reformen sind keine
Kampagne, sondern ein Prozess.“Zeitweise nahm sich die Rede vor hohen Beamten, Abgeordneten und Diplomaten wie die paternalistische Schelte eines Landesvaters mit dem ungezogenen Volk aus. Kinder dürften nicht ihr Elternhaus anzünden, so Lukaschenko.
Lukaschenko ist zuletzt stark durch seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja unter Druck geraten: Der Quereinsteigerin ist es gelungen, verschiedene Gegner
Lukaschenkos hinter sich zu versammeln. Ihre Kundgebungen werden von Zehntausenden besucht, die faire Wahlen und eine Begrenzung der präsidentiellen Amtszeit fordern (etwas, das unter Lukaschenko abgeschafft wurde).
Das Ausmaß, in dem er auf die ungewohnte Konkurrenz Bezug nahm, illustriert die Bedrängnis des Staatschefs. Gleichzeitig gab er sich angriffslustig und nutzte die Ansprache, um an die Loyalität bestimmter Berufsgruppen zu appellieren und ihnen Unterstützung zuzusichern. „Auch ohne mich kann Belarus sich verteidigen“, sagte der 65-Jährige, der richtig ins Schwitzen kam. „Bei uns gibt es die Polizei, Armee und Geheimdienste.“Ein Hinweis darauf, dass mit harter Hand auf die für den Wahlabend erwarteten Proteste reagiert werden könnte.
„Krieg im Zentrum von Minsk“
Auch auf die Söldneraffäre kam der Präsident zu sprechen. Lukaschenko kritisierte die „Lügen“, wonach die 33 festgenommenen Russen nur auf der Durchreise in die Türkei oder Venezuela gewesen seien. „Ein Krieg im Zentrum von Minsk“sollte vorbereitet werden. Eine weitere Abordnung von Kämpfern sei im Süden des Landes aufgegriffen worden. Am Schluss schwor der Autokrat, dass er „Belarus nicht hergeben“werde. Das Publikum klatschte ausdauernd. Doch außerhalb des Saales kann sich Lukaschenko seiner Unterstützung nicht mehr so sicher sein.