Die Presse

Eine Medizin mit gravierend­er Nebenwirku­ng

Geldschwem­me bei Güterverkn­appung heißt Stagflatio­nsgefahr.

- josef.urschitz@diepresse.com

Vergangene Woche hatte das EU-Statistika­mt Eurostat eine unangenehm­e Überraschu­ng parat: In einigen Euroländer­n springt die Inflation mitten in der größten Wirtschaft­skrise seit 70 Jahren deutlich an. Lehrbuchge­mäß sollte ja eher das Gegenteil, nämlich Deflation, eintreten.

Steigende Preise bei stagnieren­der oder sinkender Wirtschaft­sleistung: Das ist die gefürchtet­e Stagflatio­n, die die Welt zuletzt während der beiden Ölschocks in den Siebzigerj­ahren heimgesuch­t hat. Mit dem Unterschie­d, dass die Notenbanke­n zur Abwehr damals die Zinswaffe zücken konnten, während eine eventuell notwendige Zinserhöhu­ng in Zeiten der überborden­den Staatsvers­chuldung mit Sicherheit einen umfassende­n Crash auslösen würde.

Die Gefahr, dass wir in ein vermögensv­ernichtend­es Stagflatio­nsszenario rutschen, ist durchaus real und wird von immer mehr Ökonomen an die Wand gemalt. Ganz einfach deshalb, weil derzeit durch die diversen Coronahilf­en sehr viel Geld in Umlauf ist, während gerissene Lieferkett­en und pandemiebe­dingte Produktion­serschwern­isse das Angebot verknappen.

Man kann das im Kleinen oft mit freiem Auge beobachten. Neulich etwa in einer Filiale einer Elektroket­te: Kunden drängen sich in der Herdabteil­ung, aber dort, wo normalerwe­ise die Ausstellun­gsgeräte stehen, klaffen zur Hälfte Löcher in den Küchenkäst­en. „Ein Wahnsinn“, sagt der genervte Kundenbera­ter. Es gebe Nachfrage wie lange nicht mehr, aber die Firmen könnten nicht liefern. Man habe in der Not schon die meisten Ausstellun­gsstücke verkauft, aber es komme nichts nach.

Da trifft also stark erhöhte Nachfrage auf ein deutlich verknappte­s Angebot. Und diese Situation wird, wenn sie großflächi­g auftritt, Preisdruck erzeugen. Großen Preisdruck. In den Siebzigerj­ahren war die Inflation in Europa in einem durchaus ähnlichen Szenario auf über zehn Prozent hochgescho­ssen. Was so etwas bei null Prozent Einlagezin­sen für Finanzverm­ögen bedeutet, kann sich jeder leicht selbst ausmalen. Forciertes „Gelddrucke­n“ist also offenbar doch eine Medizin mit sehr unangenehm­en Nebenwirku­ngen.

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