Eine Medizin mit gravierender Nebenwirkung
Geldschwemme bei Güterverknappung heißt Stagflationsgefahr.
Vergangene Woche hatte das EU-Statistikamt Eurostat eine unangenehme Überraschung parat: In einigen Euroländern springt die Inflation mitten in der größten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren deutlich an. Lehrbuchgemäß sollte ja eher das Gegenteil, nämlich Deflation, eintreten.
Steigende Preise bei stagnierender oder sinkender Wirtschaftsleistung: Das ist die gefürchtete Stagflation, die die Welt zuletzt während der beiden Ölschocks in den Siebzigerjahren heimgesucht hat. Mit dem Unterschied, dass die Notenbanken zur Abwehr damals die Zinswaffe zücken konnten, während eine eventuell notwendige Zinserhöhung in Zeiten der überbordenden Staatsverschuldung mit Sicherheit einen umfassenden Crash auslösen würde.
Die Gefahr, dass wir in ein vermögensvernichtendes Stagflationsszenario rutschen, ist durchaus real und wird von immer mehr Ökonomen an die Wand gemalt. Ganz einfach deshalb, weil derzeit durch die diversen Coronahilfen sehr viel Geld in Umlauf ist, während gerissene Lieferketten und pandemiebedingte Produktionserschwernisse das Angebot verknappen.
Man kann das im Kleinen oft mit freiem Auge beobachten. Neulich etwa in einer Filiale einer Elektrokette: Kunden drängen sich in der Herdabteilung, aber dort, wo normalerweise die Ausstellungsgeräte stehen, klaffen zur Hälfte Löcher in den Küchenkästen. „Ein Wahnsinn“, sagt der genervte Kundenberater. Es gebe Nachfrage wie lange nicht mehr, aber die Firmen könnten nicht liefern. Man habe in der Not schon die meisten Ausstellungsstücke verkauft, aber es komme nichts nach.
Da trifft also stark erhöhte Nachfrage auf ein deutlich verknapptes Angebot. Und diese Situation wird, wenn sie großflächig auftritt, Preisdruck erzeugen. Großen Preisdruck. In den Siebzigerjahren war die Inflation in Europa in einem durchaus ähnlichen Szenario auf über zehn Prozent hochgeschossen. Was so etwas bei null Prozent Einlagezinsen für Finanzvermögen bedeutet, kann sich jeder leicht selbst ausmalen. Forciertes „Gelddrucken“ist also offenbar doch eine Medizin mit sehr unangenehmen Nebenwirkungen.