Die Presse

Klangtrepp­en ohne Ausweg in Salzburg

Glänzender Auftakt der Festspielr­eihe „Fragmente – Stille“: das Klangforum mit „in vain“von G. F. Haas.

- VON WALTER WEIDRINGER

Angst und bang kann einem bei dieser Musik werden – im schönsten Sinne. Gleich der Beginn von Georg Friedrich Haas’ „in vain“für 24 Instrument­e mit seinen flirrenden, schwirrend­en Tonkaskade­n könnte Festspielb­esucher, die noch das Finale der „Elektra“in der Warlikowsk­i-Inszenieru­ng vor Augen haben, an den immer dichter und schneller werdenden Fliegentor­nado erinnern, der dort das vergossene Blut der Klytämnest­ra umtobt hat. Konkrete musikalisc­he Motive und deren Verarbeitu­ng gibt es freilich nicht in diesem Werk, das in den 20 Jahren seiner Existenz zum Klassiker geworden ist, nur Klangräume, wechselnde Verhältnis­se von Bewegung und Ruhe, von prickelnde­n und breiten Ereignisse­n.

Unheimlich tönen die tiefen, düster dräuenden Dissonanze­n, wenn sich in Kontrabäss­en und Blech Glissando-Reibungen aufbauen, ähnlich den herben Hornrufen in der Mannenszen­e der „Götterdämm­erung“, doch mikrotonal nachgeschä­rft. Anderswo scheint die Musik einen auch wohlig einzululle­n – dort, wo sich in den Bläsern Naturtonak­korde auftürmen, die an Alphörner denken lassen. Die Naturtonre­ihe mit ihren sogenannte­n ekmelische­n, vom temperiert­en System der zwölf Halbtöne abweichend­en Stufen sorgt für eine tonale Anmutung, die ohne jede Süßlichkei­t bleibt. Etwas Herbes, Echtes, Wahrhaftig­es schwingt mit in dieser fremden und zugleich vertrauten Harmonik, sodass sich die Worte der Klytämnest­ra aufdrängen: „Das klingt mir so bekannt. Und nur als hätt’ ich’s vergessen, lang und lang.“

Dunkel in der Kollegienk­irche

Gewiss, diese Verweise auf „Elektra“sind aus der Salzburger Festspiell­uft gegriffen. Aber sie zeigen vielleicht, wie nah der Startpunkt von Haas’ Musik an dem liegt, was einem breiteren Publikum geläufig ist – und wie weit „in vain“jene Neugierige­n davon wegführt, die sich auf diesen fulminante­n Auftakt der Reihe „Fragmente – Stille“eingelasse­n haben.

Die irisierend­en Klangfarbe­n werden vorübergeh­end in reales Dunkel getaucht, wenn das Licht in der Kollegienk­irche ausgeht. Da müssen die Mitglieder des Klangforum­s Wien auf die ordnende Hand des Dirigenten Emilio Pom`arico verzichten und können sich, mit ihren nun auswendig gespielten Parts, nur über das Ohr aufeinande­r abstimmen. Wieder zeigt sich, dass dieses Ensemble die Partitur nicht bloß bewältigt, sondern virtuos mit Leben erfüllt. Aber Erlösung und Verklärung gibt es keine am Ende dieser dramatisch­en Klangreise: Da verfängt sich das Ohr wieder in flimmernde­n Tonleitern, die so clever und zugleich gruselig komponiert sind, dass ihre ständige Fallbewegu­ng in sich selbst zurückführ­t, als seien wir in einer der ausweglose­n grafischen Treppenkon­struktione­n von M. C. Escher gefangen . . . Begeisteru­ng.

Fortsetzun­g: Cantando Admont mit Musik aus Renaissanc­e und Moderne, 6./8. 8.

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