Klangtreppen ohne Ausweg in Salzburg
Glänzender Auftakt der Festspielreihe „Fragmente – Stille“: das Klangforum mit „in vain“von G. F. Haas.
Angst und bang kann einem bei dieser Musik werden – im schönsten Sinne. Gleich der Beginn von Georg Friedrich Haas’ „in vain“für 24 Instrumente mit seinen flirrenden, schwirrenden Tonkaskaden könnte Festspielbesucher, die noch das Finale der „Elektra“in der Warlikowski-Inszenierung vor Augen haben, an den immer dichter und schneller werdenden Fliegentornado erinnern, der dort das vergossene Blut der Klytämnestra umtobt hat. Konkrete musikalische Motive und deren Verarbeitung gibt es freilich nicht in diesem Werk, das in den 20 Jahren seiner Existenz zum Klassiker geworden ist, nur Klangräume, wechselnde Verhältnisse von Bewegung und Ruhe, von prickelnden und breiten Ereignissen.
Unheimlich tönen die tiefen, düster dräuenden Dissonanzen, wenn sich in Kontrabässen und Blech Glissando-Reibungen aufbauen, ähnlich den herben Hornrufen in der Mannenszene der „Götterdämmerung“, doch mikrotonal nachgeschärft. Anderswo scheint die Musik einen auch wohlig einzulullen – dort, wo sich in den Bläsern Naturtonakkorde auftürmen, die an Alphörner denken lassen. Die Naturtonreihe mit ihren sogenannten ekmelischen, vom temperierten System der zwölf Halbtöne abweichenden Stufen sorgt für eine tonale Anmutung, die ohne jede Süßlichkeit bleibt. Etwas Herbes, Echtes, Wahrhaftiges schwingt mit in dieser fremden und zugleich vertrauten Harmonik, sodass sich die Worte der Klytämnestra aufdrängen: „Das klingt mir so bekannt. Und nur als hätt’ ich’s vergessen, lang und lang.“
Dunkel in der Kollegienkirche
Gewiss, diese Verweise auf „Elektra“sind aus der Salzburger Festspielluft gegriffen. Aber sie zeigen vielleicht, wie nah der Startpunkt von Haas’ Musik an dem liegt, was einem breiteren Publikum geläufig ist – und wie weit „in vain“jene Neugierigen davon wegführt, die sich auf diesen fulminanten Auftakt der Reihe „Fragmente – Stille“eingelassen haben.
Die irisierenden Klangfarben werden vorübergehend in reales Dunkel getaucht, wenn das Licht in der Kollegienkirche ausgeht. Da müssen die Mitglieder des Klangforums Wien auf die ordnende Hand des Dirigenten Emilio Pom`arico verzichten und können sich, mit ihren nun auswendig gespielten Parts, nur über das Ohr aufeinander abstimmen. Wieder zeigt sich, dass dieses Ensemble die Partitur nicht bloß bewältigt, sondern virtuos mit Leben erfüllt. Aber Erlösung und Verklärung gibt es keine am Ende dieser dramatischen Klangreise: Da verfängt sich das Ohr wieder in flimmernden Tonleitern, die so clever und zugleich gruselig komponiert sind, dass ihre ständige Fallbewegung in sich selbst zurückführt, als seien wir in einer der ausweglosen grafischen Treppenkonstruktionen von M. C. Escher gefangen . . . Begeisterung.
Fortsetzung: Cantando Admont mit Musik aus Renaissance und Moderne, 6./8. 8.