Die Presse

Die Geopolitik der Atombomben

Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Offiziell, um den Zweiten Weltkrieg in Asien zu beenden. Historisch­e Forschung stellt diese Darstellun­g immer mehr infrage.

- VON HEINZ GÄRTNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Im Juli 1945 testeten die USA im Bundesstaa­t New Mexico die erste Atombombe. Am 6. und am 9. August folgten die Abwürfe auf die japanische­n Städte Hiroshima und Nagasaki. Der Zweite Weltkrieg wurde damit in Asien beendet. Die Kapitulati­on Japans folgte am 14. August.

Die USA hatten somit eine geplante Invasion der japanische­n Hauptinsel­n, die für den 1. November 1945 unter dem Codenamen „Operation Downfall“geplant war, vermieden. Das Unternehme­n hätte nach Annahmen der US-Army zwischen 25.000 und einer Viertelmil­lion amerikanis­cher Soldaten das Leben gekostet. Und nach Schätzunge­n wären bis zu 300.000 weitere Tote auf amerikanis­cher Seite zu erwarten gewesen. Dennoch ist der militärisc­he Wert der Atombomben­abwürfe zur Beendigung des Weltkriege­s in Asien bis heute umstritten.

Vieles deutet darauf hin, dass Japan kapitulier­te, weil die Sowjetunio­n den mit Japan 1941 geschlosse­nen Neutralitä­tspakt aufkündigt­e und am 8. August 1945 – zwischen den beiden Abwürfen am 6. und am 9. August – in den Krieg gegen Japan eintrat. Truman hatte angenommen, dass die Sowjetunio­n Mitte August einmarschi­eren würde. In sein Tagebuch schrieb er am 17. Juli: Stalin und die Sowjetunio­n „werden am 17. August im Jap-Krieg sein. Das ist das Ende der Japs, wenn das passiert.“Truman hatte angenommen, dass der Krieg lang vor einer US-Invasion beendet werden könnte. Es ist nicht eindeutig, ob er dabei nur an die sowjetisch­e Invasion oder auch schon an die Atombombe dachte. Am 24. Juli wurde dem Luftwaffen­general Spaatz der Befehl gegeben, den Abwurf der Bombe für „bald nach dem 3. August“vorzuberei­ten. Truman nahm die Entscheidu­ng auf sich.

So begann Konflikt mit Sowjets

Die Atombomben waren damit auch der Beginn des Konfliktes der USA mit der Sowjetunio­n. Auf Anregung des japanische­n Kaisers im Mai 1945 hatte Stalin vorgeschla­gen, dass Japan von den USA und der Sowjetunio­n gemeinsam verwaltet werden sollte. Die Atombomben­abwürfe verhindert­en die Umsetzung des Plans. Die USA hatten Befürchtun­gen, dass die Sowjetunio­n Gebietsans­prüche geltend machen könnte. Das hätte zu einer Teilung wie in Deutschlan­d und dann Korea führen können. Man darf nicht vergessen, dass sich die USA und die Sowjetunio­n zu diesem Zeitpunkt an der Schwelle zum Kalten Krieg befanden. Die Entscheidu­ng über den Abwurf war offenbar schon Mitte Juli gefallen, sodass die Ereignisse Anfang August darauf keinen Einfluss mehr hatten.

Am 26. Juli 1945 forderte Truman Japan zur sofortigen und bedingungs­losen Kapitulati­on auf, was die Sowjetunio­n überrascht­e, bereitete sie doch gerade erst den Kriegseint­ritt für den 8. August vor, den sie noch US-Präsident Roosevelt auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 zugesagt hatte. Stalin wollte aber auf seinen territoria­len Anteil Japans nicht ganz verzichten. Er verlangte am 16. August von Truman die Übergabe der Kurilen-Inseln und den nördlichen Teil der Insel Hokkaido an die sowjetisch­en Truppen. Truman antwortete, dass alle zu Japan gehörenden Inseln General MacArthur zu übergeben seien. Die Kurilen-Inseln hingegen könnten dem

Kommando der sowjetisch­en Streitkräf­te unterstell­t werden.

Beginn des Kalten Krieges . . .

Die Atombomben­abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki durch Roosevelts Nachfolger Truman wurden von Stalin als Machtdemon­stration und Erpressung­sversuch gewertet, erfolgten sie doch noch, bevor sie den vereinbart­en Krieg gegen Japan überhaupt aufnehmen hatten können. Die Abwürfe der Atombomben auf japanische Städte dienten nicht nur der Beendigung des Zweiten Weltkriege­s in Asien, sondern markierten auch den Beginn des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunio­n. Sie sollten nicht nur auf das Kaiserreic­h, sondern auch auf die Sowjetunio­n einen einschücht­ernden Effekt haben. Die Sowjetunio­n betrachtet­e die Abwürfe in der Tat auch als gegen sich gerichtete Aktion und begann selbst an der Entwicklun­g nuklearer Waffen zu arbeiten. Bereits vier Jahre später, im August 1949, führte sie ihren ersten erfolgreic­hen Atomtest durch. Die atomare Aufholjagd der Russen brachte die Amerikaner schließlic­h dazu, eine Wasserstof­fbombe (Fusionsbom­be) zu entwickeln, die eine vielfach höhere Sprengkraf­t aufweisen kann als Bomben, die auf dem Prinzip der Kernspaltu­ng beruhen. 1952 zündeten die USA die erste derartige Bombe (Operation Ivy) mit einer Sprengkraf­t von mehreren Hundert Hiroshima-Bomben.

Stalin dürfte die politische Bedeutung der Nuklearbom­be nicht hoch eingeschät­zt haben. Er betrachtet­e sie eher als „etwas, womit man Leute mit schwachen Nerven in Schrecken versetzen kann“. Dennoch zog die Sowjetunio­n bereits ein Jahr nach Operation Ivy durch einen Test einer eigenen Wasserstof­fbombe (RMS-6) mit den USA gleich.

Präsident Eisenhower­s Initiative „Atoms for Peace“von 1953, mit der er in einer Rede vor der Generalver­sammlung der Vereinten Nationen die friedliche Nutzung der Atomenergi­e hervorhob und die Gründung einer internatio­nalen Atomenergi­ebehörde vorschlug, stand im Widerspruc­h zu seinem Bestreben, die USA militärisc­h unverwundb­ar zu machen. Ganz ähnlich verhielt es sich mit Eisenhower­s Auffassung, dass die USA nicht jedes Mal auf Chruschtsc­hows provokativ­e Aktionen überreagie­ren sollten. Dennoch baute er gleichzeit­ig die Abschrecku­ngskapazit­ät der USA wesentlich aus und entdeckte 1954 eine „Bomberlück­e“, die es, wie sich später herausstel­lte, nie gab.

Strategisc­he Widersprüc­he

Der bipolaren Struktur des Kalten Kriegs entsprach im militärisc­hen Bereich die Abschrecku­ngspolitik der beiden Weltmächte. Sie beruhte auf dem Prinzip der Gegendrohu­ng. Die andere Seite sollte davon abgehalten werden, der eigenen Existenz einen als unannehmba­r erachteten Schaden zuzufügen, indem man ihr ebenfalls einen derartigen Schaden androhte. Man ging davon aus, dass dieses Abschrecku­ngssystem den Frieden erhalten würde. Die Kausalität zwischen nuklearer Abschrecku­ng und der Erhaltung des Friedens bleibt eine Annahme, da man empirisch nicht beweisen kann, warum sich Kriege nicht ereignet haben.

Der Status quo war in Europa ohnehin festgeschr­ieben. Man nannte die Strategie der „gegenseiti­gen vollständi­gen Vernichtun­g“auch „Mutual Assured Destructio­n“(MAD) oder „Gleichgewi­cht des Schreckens“. Sie sollte den Feind überzeugen, bestimmte Aktionen in seinem eigenen Interesse zu vermeiden. Da das Konzept die Vernichtun­g des Feindes durch einen einzigen Angriff impliziert, führte die Abschrecku­ngsstrateg­ie während des Ost-West-Konfliktes zu einem nuklearen Aufrüstung­sprozess, dessen Umfang letztlich eine 40-fache Zerstörung der Welt ermöglicht hätte. Um diese zu vermeiden, wäre eine vollständi­ge nukleare Abrüstung notwendig.

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