Foitik für Maskenpflicht in der Schule
Gerry Foitik. Der RotKreuz-Manager ist Mitglied der CoronaTaskforce. Er plädiert für eine Maskenpflicht in Innenräumen ab September.
Gespräche mit Abstand: der RotKreuz-Manager im Interview.
Die Presse: Was war zu Beginn der Krise Ihr größter Irrtum? Gerry Foitik: Der hat wahrscheinlich die App betroffen. Ich dachte, dass so eine smarte Maßnahme, die nicht viel kostet, aber viel bringt, unumstrittener wäre.
In unserem Interview am 18. 3. haben Sie gesagt: Die Risikogruppen sollen sich jetzt isolieren, beim Rest müsste man in Kauf nehmen, dass er sich kontrolliert ansteckt. Haben Sie an eine Herdenimmunität geglaubt?
Für den Umgang mit einer Pandemie gibt es mehrere Strategien. Erstens, man dämmt sie ein, sprich sie entsteht gar nicht. Die zweite Option ist, eine Herdenimmunität zu schaffen. Entweder durch eine Impfung, auf die die ganze Welt jetzt hofft, oder indem die Leute krank werden. Aber das ist nur der Plan B, wenn es mit der Impfung nicht funktioniert. Eine kontrollierte Infektion aller Österreicher würde zwei bis zweieinhalb Jahre dauern.
Aber haben Sie damals an Plan B, quasi den schwedischen Weg, geglaubt?
Für den Fall, dass die anderen Maßnahmen nicht erfolgreich wären, muss man das in Kauf nehmen, damit das Leben weitergeht.
Es ist dann anders gekommen: Im Lockdown haben sich alle geschützt.
Ja, weil die Pandemie an Fahrt aufgenommen hat, wurde die Notbremse gezogen. Hätten sich weiter alle drei Tage die Infektionszahlen bei gleich bleibendem Anteil der schwer Erkrankten verdoppelt, wäre das Gesundheitssystem rasch überlastet worden.
Sie haben die Stopp-Corona-App erwähnt. Die deutsche App, die später gestartet ist als die österreichische, hat über 16 Millionen Downloads. Unsere 880.000. Auch wenn man den Größenunterschied der Länder miteinberechnet, sind es in Deutschland viel mehr. Wie erklären Sie sich das? Die deutsche Entwicklung war eine andere. Die haben lang entwickelt, gestritten und diskutiert und haben, als die Apple-Google-Schnittstelle aufkam, dann rasch um etwa 20 Millionen Euro die App entwickelt. Wir haben die App sehr früh entwickelt, als es noch keine Apple-Google-Lösung gab. Und die Diskussionen wie in Deutschland wurden bei uns geführt, als die App schon da war. Dadurch hatten die Leute im Hinterkopf: Da ist doch etwas mit der App. In Deutschland hat auch die gesamte Republik vom Präsidenten abwärts dafür geworben – plus viele Celebrities. Aber abgesehen davon: Mit 20 Prozent der Bevölkerung ist auch Deutschland noch nicht da, wo man hingehört.
Dass die ganze Republik die App bewirbt, das war bei uns nicht so. Nein.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie schädlich war die halb laute Debatte über eine Pflicht-App? Das kann ich nicht sagen. Die Debatte über Datenschutz, Grundrechte und persönliche Freiheit ist wichtig, aber es war schade, dass sie anhand der App geführt wurde. Für uns war von Anfang an klar, dass es ein freiwilliges Angebot sein muss. Eine Pflicht wäre technisch wie inhaltlich ein Blödsinn. Nicht so klar war zu Beginn, wie anonym die App sein wird, aber auch hier hat sich rasch herausgestellt, dass sie nur bei größtmöglicher Privacy akzeptiert wird.
Auf die App-Debatte folgt nun die Ampel-Debatte. Auch hier hat man das Gefühl: Eine einfache Idee wird kompliziert. Ist es nicht seltsam, dass es auf die simple Frage „Was passiert bei Rot?“keine Antwort gibt?
Jetzt gibt es noch keine, weil der gemeinsame Diskussionsprozess noch im Gange ist. Aber klar ist: Wenn Rot die letzte Stufe ist, bedeutet das logischerweise Quarantäne. Aber wen die dann genau umfasst, das muss geklärt werden.
Nimmt Österreich die Pandemie eigentlich inzwischen zu locker? Verspielen wir den Vorsprung gegenüber dem Virus, weil wir uns eine Sommerpause gönnen? Nein, die Situation ist volatil, aber unter Kontrolle. Und ich denke auch, jetzt ist nicht die Zeit, um mit massiven Maßnahmen das Gefühl der Unfreiheit in der Bevölkerung aufkommen zu lassen. Aber es gibt eine Kritik, die ich teile: Man muss wieder zu einfacheren Maßnahmen zurückkehren. Die verstehen die Leute besser, und die sind daher wirksamer. Dass die Maskenpflicht so unterschiedlich gehandhabt wird, dass es in Velden so, in St. Wolfgang so und in Strobl wie
der anders ist, das ist nicht zu verstehen. Daher plädiere ich dafür, dass wir spätestens mit September zu ganz einfachen Hygienemaßnahmen zurückkehren. Dazu gehört, dass man Mund-NasenSchutz in Innenräumen trägt, wenn eine Person dabei ist, die nicht zum Haushalt gehört.
Soll die Maskenpflicht für Innenräume unabhängig von der Ampel gelten?
Ja. Die Ampel beschreibt Reaktionsmaßnahmen, um einer Situation zu begegnen, die schlechter wird. Masken dagegen zählen für mich zur Basishygiene, die übrigens hoffentlich auch dazu führt, dass die Zahl der Grippe- und Erkältungserkrankungen abnimmt. Ich trage seit eineinhalb Wochen bei jedem Indoor-Meeting Maske.
Hätte man die Maskenpflicht nie abschaffen sollen?
Vielleicht. Aber vielleicht hätte man sich dann auch vorwerfen lassen müssen, dass man die Menschen trotz geringer Zahl von Neuinfektionen zwingt, bei Hitze Maske zu tragen.
Maskenpflicht in Innenräumen heißt auch: Im Herbst sitzen alle Schüler mit Maske im Unterricht. Genau. Denn was ist der Unterschied zwischen einer Klasse mit einem Lehrer, der laut redet, und dem Rotary-Club in Salzburg, wo einer einen Vortrag hält? Ich habe selbst zwei Kinder in der Schule – sie würden lieber ohne Maske gehen, aber sie verstehen, wenn sie sie tragen müssten. Aber weil wir wissen, dass Null- bis Neunjährige ganz wenig zum Infektionsgeschehen beitragen, könnte man Kindergarten und Volksschulen außen vor lassen d. h. dort gilt nur für Lehrer Maskenpflicht.
Junge Erwachsene und Teenager gelten als Hauptüberträger. Muss man darauf strategisch reagieren?
15- bis 30-Jährige leiden natürlich besonders unter den Maßnahmen. Ich bin bald 50, habe Familie, mir ist es egal, wenn ich sechs Monate abends zu Hause bin. Für den 17-jährigen Gerry Foitik wäre das viel schwieriger gewesen: dass es keine Festivals gibt, dass man nicht in die Diskothek gehen kann, dass man nicht flirten kann. Daher muss man Verständnis haben, dass die jungen Menschen Möglichkeiten suchen, wie sie ihre Bedürfnisse ausleben können. Vielleicht kann man ja Diskotheken aufsperren, wenn alle Masken tragen? Flirten geht auch mit Maske.
Sie finden, man soll die Diskotheken wieder aufsperren?
Nein, da fehlt mir die Evidenz. Was ich sagen will: Man sollte über gelindere Mittel nachdenken.
Peter Klimek, Forscher am Complexity Science Hub, glaubt, dass eine zweite Welle immer wahrscheinlicher wird. Sie auch?
Mir gefällt der Begriff zweite Welle nicht. Es sind lauter kleine Wellen.
Dann sagen wir: erneute exponentielle Entwicklung.
Die setzt ein, wenn wir die dritte, vierte Generation bei Clustern nicht mehr eindämmen können. Bis jetzt gelingt das. Wenn Sie 1450 anrufen, werden Sie relativ schnell getestet und Ihre Kontakte informiert. Aber wenn Erkältungs- und Grippeerkrankungen dazukommen, wird die Zahl der Verdachtsfälle rapide steigen. Wenn nicht 1000 sondern 20.000 Leute täglich anrufen, wird das System nicht mehr so gut funktionieren. In der Folge muss man die Verdachtsfalldefinition enger machen, was bedeutet, dass die Dunkelziffer größer wird. Wenn man zehn echte Fälle am Tag nicht nachverfolgen kann, und die stecken wieder zehn Leute an, haben wir irgendwann die exponentielle Entwicklung. Aber ich glaube, dass wir das verhindern können, wenn wir gut agieren und Hygienemaßnahmen einhalten.
Sie haben gesagt: Es wird relativ schnell getestet. So schnell wie es sein sollte, geht es nicht. Warum? Das liegt daran, dass niemand den Gesamtprozess vom Anruf über den Test bis zur Übermittlung des Befunds und den Konsequenzen steuert. Es wäre vernünftig, wenn es in jedem Bundesland einen oder eine gäbe, die sagt: Für die nächsten drei, vier Wochen ist das meine Aufgabe.