Der Maturant und die Wall Street Guys
Argentinien. Der schmächtige und stets höfliche Stoppelbartträger Mart´ın Guzm´an wurde von den US-Verhandlern anfangs belächelt. Doch Argentiniens Finanzminister wusste genau Bescheid.
Buenos Aires. Als hätten Argentiniens Fußballer die Weltmeisterschaft gewonnen. In einer lauen Sommernacht mitten im südlichen Winter kam es zu weit vorgerückter Stunde endlich zu jenem Jubel, auf den Staatschef Alberto Fernandez´ seit seinem Amtsantritt im Dezember hatte warten müssen. Am Dienstagmorgen, kurz nach drei Uhr früh, konnte Mart´ın Guzman´ den entscheidenden Treffer landen. Der junge Finanzminister und die Chefverhandlerin des weltgrößten Vermögensverwalters Black Rock verständigten sich auf eine Umschuldung jener Anleihen im Wert von 68 Milliarden Dollar, die Argentinien unter New Yorker Recht aufgelegt hat und deren Schuldendienst seit Mai aussteht.
Als extrem zäh und mühsam haben sich die Gespräche erwiesen, die sich zwei Stunden vor der Einigung nochmals verhakt hatten und nur dank des besänftigenden Eingreifens der begleitenden Banker abgeschlossen werden konnten. In seiner ersten Offerte am 20. April hatte Argentinien dargelegt, nicht mehr als 38 Prozent der Schulden erstatten zu können, während die Gläubiger mindestens 60 Prozent erwartet hatten. Nun einigten sich beide Seiten auf eine Umschuldung im Gesamtwert von 54,8 Prozent. Durch die Übereinkunft wird das Land in den kommenden fünf Jahren 42,5 Milliarden Dollar einsparen.
Die Einigung ist jedenfalls ein erster Hoffnungsschimmer in der tiefen Depression, die Argentinien nach zwei Jahren Rezession und mehr als 130 Tagen Corona-Lockdown fest im Griff hält. Die längste Quarantäne der Welt hatte die Ausbreitung von Sars-Covid-2 bremsen können, doch weil große Teile der Bevölkerung es sich nicht erlauben können, zu Hause zu bleiben, haben sich die Infektionen seit dem Einbruch des Winters massiv ausgebreitet. Die 6782 Neuansteckungen am 4. August bedeuten einen neuen Rekordwert – auch die 168 Sterbefälle.
Ganze Wirtschaftszweige wie etwa die Tourismusindustrie sind beinahe völlig zum Erliegen gekommen. Patagonien und Feuerland meldeten Rekord-Schneefälle, aber der Pistenzauber bleibt reserviert für die Einheimischen, denn bis heute sind Inlandsreisen untersagt. Und ob der internationale Flugverkehr wie angekündigt im September in Betrieb geht, darf angesichts ständig steigender Infektionen bezweifelt werden. Der Internationale Währungsfonds schätzte im Juni, dass Argentiniens Wirtschaft heuer um 9,9 Prozent schrumpfen werde. Aber das war vor der Explosion der Infektionen, die sich inzwischen auch im Landesinneren ausbreiten.
In dieses grimme Szenario passten die massiven Verständnisprobleme zwischen Mart´ın Guzman´ und den Wall-Street-Löwen. Der schmächtige und stets höfliche Stoppelbartträger wirkte für die Tough Guys wie ein Maturant. Aber bald mussten sie erkennen, dass er genau Bescheid wusste. Als Assistent des Wall-Street-kritischen Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hatte Guzman´ sämtliche relevanten Umschuldungsprozesse der vergangenen Jahre studiert. Er kannte die Strategien seines Gegenübers und entwickelte seine eigenen: niemals einen Plan vorlegen. Und keine direkten Verhandlungen. Stattdessen machte Guzman´ vier „allerletzte“Komplettangebote, die er sukzessive verbessern musste.
Besserer Deal für Gläubiger?
Auf den ersten Blick haben die Gläubiger den besseren Deal gemacht, denn sie haben ihre ursprünglichen Ansprüche nur um gut fünf Prozent gesenkt. Guzman´ musste 17 Prozent nachbessern. Tatsächlich heißt der große Gewinner Alberto Fernandez.´ Für Argentiniens früheren Kabinettschef, den die mächtige Cristina Kirchner mit dem Auftrag ins Präsidentenamt gehoben hatte, Argentinien aus der Schuldenklemme zu holen, kann der Kompromiss zum Türöffner werden.
Die Belastungen durch den externen Schuldendienst werden sehr moderat sein und erst gegen Ende des Jahrzehnts ansteigen. Das gibt dem Präsidenten und auch dessen Nachfolger erheblichen fiskalischen Spielraum. Die Peronisten wollen mit einem staatlichen 100-Punkte-Programm die Wirtschaft ankurbeln. Die enorme Liquidität auf den Finanzmärkten könnte Argentinien sogar helfen, in absehbarer Zeit neue Kredite aufzunehmen, zu deutlich günstigeren Konditionen.
Ehe das jedoch geschehen kann, wird Fernandez´ liefern müssen. Zunächst müssen die seit August 2019 ausgesetzten Peso-Anleihen umgeschuldet werden, deren Gesamtvolumen umfasst das Doppelte der New Yorker Schulden.
Will das seit 2011 stagnierende und weithin abgeschottete PampaLand endlich wieder wachsen, muss es sein Pensions-, Steuerund Arbeitsrecht reformieren. Genau diese Änderungen wird der Internationale Währungsfonds einfordern, um die Rückzahlung des 45-Milliarden-Dollar-Kredits von 2018 zu strecken. Um diese Reformen durchzusetzen, wird der Sozialdemokrat Fernandez´ die Macht der Gewerkschaften herausfordern müssen, wie das einst der deutsche Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 bewerkstelligte. Die Frage wird sein, wie weit die Vizepräsidentin, Cristina Kirchner, da mitmacht.