„Es braucht ein Krisenszenario“
Interview. Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun fordert staatliche Haftungen für „gesunde Unternehmen, denen nun aus formalen Gründen Finanzierungsprobleme drohen“.
Die Presse: Wie geht es in diesen Zeiten einem Unternehmen wie Siemens Österreich, das ja vor allem öffentliche Aufträge abwickelt?
Wolfgang Hesoun: Siemens ist sehr divers aufgestellt. Ein Großteil unserer Aufträge kommt aus dem öffentlichen Bereich. Das ist in der derzeitigen Phase natürlich ein stabiler Faktor. Er hat Geld, und die meisten Institutionen haben auch vor, dieses weiterhin auszugeben. Das hilft uns, weil es uns eine Perspektive gibt.
Diese Perspektive fehlt vielen anderen Unternehmen.
Im privaten Umfeld schaut die Sache auch bei uns ganz anders aus. Wir beliefern ja auch die Lieferanten der großen deutschen Auto- und Maschinenbauer. Deren Lust, Investitionen zu tätigen, ist überschaubar. Und dennoch haben viele unserer Partner in der ersten Phase sogar mehr Bauteile gekauft und sich so auch abgesichert. Jetzt gibt es aber auch da stärkere Rückgänge.
Was heißt das unter dem Strich? Diese Rückgänge werden sich bei uns erst später zu Buche schlagen. Deshalb werden wir im heurigen Geschäftsjahr (endet am 30. September, Anm.) nicht so schlecht aussteigen. Ich rechne im privaten Sektor mit Einbußen von maximal zehn Prozent.
Sie wurden vor genau zehn Jahren Siemens-Chef. Damals bekamen Sie die Nachwehen der Finanzkrise noch mit. Was unterscheidet die beiden Krisen? Damals waren eher jene betroffen, die von den Finanzierungen der Banken abhängig waren. Uns traf es also indirekt, weil die Kunden ihre Investitionen nicht mehr finanzieren konnten. Der Einschnitt war damals gerade in der Industrie sehr groß. Die Kurzarbeit war viel unattraktiver, deshalb war auch die Arbeitslosigkeit in Relation zur jetzigen Nutzung der Kurzarbeit sehr hoch. Aber 2010 war bereits eine Aufwärtsbewegung erkennbar.
Siemens Österreich steuert viele Töchter vor allem in Ost- und Südosteuropa. Wie schätzen Sie dort die Lage ein?
Das sind in Summe 20 Länder mit total unterschiedlichen Situationen. Zum Teil ist eine Einreise derzeit nicht möglich, etwa in Israel, Moldau und in der Ukraine. Dennoch hat sich die Zusammenarbeit nicht verändert. Mehr Sorgen bereitete uns der Lieferstopp aus einigen Ländern, etwa aus Italien. Da hatten wir wirklich Angst, nicht mehr voll produzieren zu können.
Weil die Lieferkette abgerissen wäre.
Ja, aber zum Glück ist das nicht passiert. Und deshalb hatten wir in Österreich keinen einzigen Tag Kurzarbeit. Ich mache mir weniger Sorgen, dass Siemens selbst in
Schieflage kommen könnte. Vielmehr beschäftigt mich, wie es uns gelingen kann, die Lieferkette aufrechtzuerhalten. Da muss die Regierung einige Aspekte stärker beachten.
Welche?
Viele Unternehmen, nicht nur unsere Zulieferer, arbeiten derzeit zulasten ihres Eigenkapitals. Wir haben in Österreich ja traditionell eine geringe Ausstattung mit Eigenkapital. Eine steuerliche Besserstellung, wie es derzeit angedacht ist, wird da nur partiell helfen. Der Staat muss sich also überlegen, wie er jenen Unternehmen unter die Arme greifen kann, die die Acht-Prozent-Marke beim Eigenkapital unterschreiten.
Das ist jene Grenze, bei der einem Unternehmen ein Insolvenzverfahren droht.
Ja, und deshalb braucht es ein neues Regulativ, um diesen an sich gesunden Unternehmen eine Restrukturierung formell zu ersparen. Sonst kann es passieren, dass die Banken die Kreditlinien kappen müssen. Das hätte eine Insolvenzwelle zur Folge. Aus Sicht von Siemens könnte das auch Zulieferer betreffen und so wieder zu Produktionsproblemen führen.
Die Krise offenbart, dass die heimischen Unternehmen zu wenig Eigenkapital haben.
Wenn man so will, ja. Wir werden es aber jetzt kurzfristig nicht schaffen, die Eigenkapitalbasis der Unternehmen zu stärken. Es braucht ein Krisenszenario, um die Bonität der Unternehmen zu verbessern.
Das klingt schon wieder nach Staatsgarantien.
In der Finanzkrise wurden Banken mit Partizipationskapital ausgestattet. Dadurch hatten die Banken ein höheres Eigenkapital und eine bessere Bonität. So ein ähnliches Modell kann ich mir auch für Unternehmen vorstellen. Oder man könnte das ehemalige Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz hernehmen. Dies ermöglicht Haftungen in Form von Garantien – kein Geld –, um die Liquidität von Unternehmen sicherzustellen. Das belastet das Budget nur im Falle einer Insolvenz. Aber es ist ja nicht davon auszugehen, dass gesunde Unternehmen, denen nun aus formalen Gründen Finanzierungsprobleme drohen, diese Krise nicht meistern.
Muss dieses Partizipationskapital immer vom Staat kommen? Das kann durchaus auch eine interessante Investition für Privatinvestoren sein.
Am Ende hilft das indirekt auch den Banken. Denn eine Insolvenzwelle würde viele faule Kredite mit sich bringen.
Es könnte durchaus sein, dass eine temporäre Bonitätsverbesserung für Unternehmen die billigste Lösung ist. Es geht vor allem um das größere Gewerbe und die mittelständische Industrie, die für die Großindustrie die Zulieferkette bilden.
Die Regierung kann doch nicht die Großen retten und die Kleinen ihrem Schicksal überlassen.
Groß ist immer relativ. Was man in Deutschland als Mittelstand bezeichnet, nennt sich in Österreich Industrie. Dieser Mittelstand ist das Rückgrat des Standortes, an dem Arbeitsplätze und Kaufkraft hängen.
Diese Staatsgarantien sind ja vor allem auch ein europäisches Thema.
All diese Hilfsfonds auf EU-Ebene sind ja nichts anderes als Garantien für die Banken, um Unternehmen zu finanzieren.
Mit dem Abstand von wenigen Monaten: Teilen Sie den Eindruck, dass die EU in dieser Zeit eine wesentlich kleinere Rolle gespielt hat als die Nationalstaaten?
Gewisse Themen sind nun einmal auf nationaler Ebene zu regeln. Etwa das Gesundheitsthema und der Lockdown. Dennoch hat sich die EU zu wenig eingebracht, als es um die Bedarfsabdeckung ging. Angefangen bei den Schutzmasken bis zu den Beatmungsgeräten. Da hat ja jeder für sich und Gott für uns alle agiert. Da hätte die EU doch für eine gewisse Ordnung sorgen können.
Und die Diskussion um die EUHilfsgelder?
Enttäuscht war ich über die Partikularinteressen, die vor allem auf nationaler Ebene stattgefunden haben. Und auch zuletzt über diese ewigen Diskussionen über Feinziseliertes. Denn ob ein Land einen Kredit in 40 Jahren nicht zurückzahlen wird oder jetzt eine Spende bekommt, macht für mich keinen Unterschied.
Wie beurteilen Sie die Performance der Regierung?
Ich glaube, dass es letztendlich alternativlos war, diese Schritte zu setzen. Man kann als verantwortungsvoller Politiker in so einem Fall nur den Weg auf der sicheren Seite wählen. Dass natürlich rückwirkend betrachtet das eine oder andere nicht gut gelaufen ist, ist evident. Aber der Grundansatz war gut. Wenn ich mir Schweden anschaue, brauch ich nicht lang zu diskutieren. Dort gibt es siebenmal so viele Tote wie bei uns.