Leck mich doch: Was das Fremdputzen bei Milchkühen verrät
Wer wem Putzdienste erweist, zeigt soziale Beziehungen in der Herde an.
Bei vielen Arten pflegen Tiere die Körper ihrer Gefährten, an Stellen, wo diese selbst schwer hinkommen. Affen lausen nicht nur sich selbst, Vögel kraulen mit dem Schnabel das Gefieder von anderen, Pferde beknabbern sich gegenseitig. Dieses „Fremdputzen“dient nicht nur der Hygiene, es bereitet dem Empfänger des Gefallens auch Vergnügen und hat vor allem soziale Funktionen. Noch nicht breit erforscht ist es bei Rindern, die sich meist im Gesicht und am Nacken lecken lassen. Ein Forscherteam hat nun eine Herde von erwachsenen Milchkühen kurz nach dem Kalben auf einer Experimentalfarm in Chile einen Monat lang gezielt auf dieses Verhalten hin beobachtet (Frontiers in Veterinary Science, 4. 8.).
Das Ergebnis: Eine Kuh, die eine andere putzt, hat eine bessere Chance, selbst von dieser geputzt zu werden – es liegt also ein kooperatives Verhalten vor. Meist lecken sich gleichaltrige Kühe, die gemeinsam aufgewachsen und miteinander vertraut sind (also „Freunde“). Doch ein hierarchischer Aspekt, den man von anderen Spezies kennt, fehlt bei Rindern: Wer in der Rangordnung tiefer steht, erkauft sich nicht durch Putzdienste Schutz oder Zugang zu Futter. Sehr wohl aber lecken ältere (und damit hierarchisch meist höhergestellte) Kühe öfter andere, und zwar quer durch die Herde – eine Großzügigkeit, die unbedankt bleibt, denn sie selbst werden seltener geputzt. Damit übernehmen sie wohl die Aufgabe, die Gruppe stabil und ruhig zu halten.
Keine artgerechte Praxis
Auch Tiere, die später zu der Herde dazustoßen, putzen andere öfter, ganz so, als wollten sie sich bei den neuen Kolleginnen beliebt machen. Das kann aber auch daran liegen, dass sie gerade geboren haben, man ihnen (wie üblich) das Kalb schon nach wenigen Stunden weggenommen hat und sie den Drang, ihr Junges zu lecken, nun an Erwachsenen ausleben. In der ganzen Herde aber zählte man in Wochen mit Neuzugängen weniger Putzdienste. Erst wenn sich die Struktur der Gruppe wieder stabilisiert hatte, kehrte die Hilfsbereitschaft und damit wohl auch die Harmonie auf das alte Niveau zurück. Diese Erkenntnis bestätigt frühere Studien über aggressive Verhaltensweisen. Und sie hat hohe Relevanz.
Denn in der Praxis größerer Höfe werden Kühe oft umgruppiert – je nachdem, in welchem Stadium der Milchbildung sie stehen und welches Futter sie brauchen. Stets müssen sie sich in eine neue Umgebung integrieren, was Stress verursacht. Die Folge: Sie fressen weniger, die Ruhephasen sind kürzer, sie gönnen sich weniger Zeit zum Wiederkäuen – und geben weniger Milch. (gau)