Die Presse

Täuschung? Unwahrheit? Oder nur Vernebelun­g?

Wer sind denn nun diese totalitäre­n Antidemokr­aten? Replik eines demokratis­ch gesinnten Gutmensche­n.

- VON MARTIN AMANSHAUSE­R E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der ehemalige grüne Bundeskong­ress-Abgeordnet­e Chris Veber wagte in der „Presse“( 3.8., „Verweigern wir uns den Hardcore-Ideologen!“) ein Experiment: Wie viele Pauschalve­rurteilung­en passen in einen Kommentar? Darin wirft er jenen, die bisher „Gutmensche­n“hießen, religiösen Eifer, Totalitari­smus, „stalinisti­sche“Denkungsar­t vor. Zunächst präsentier­t er drei Meldungen – jemand beklage z. B., in Berlin stünden mehr männliche als weibliche Bäume – als Entrüstung­smaterial. Dabei bekennt er freimütig, dass er eine der Meldungen erfunden hat. Seltsam, dass jemand in einer Zeitung mit Fake-Fakten polemisier­t.

Die Vorwürfe richten sich an „politisch korrekte, gendersens­itive, postkoloni­alistische, BlackLives-Matter-, Fridays-for-FutureLink­sgrüne“. Sie würden „Hetze“betreiben. So reproduzie­rt er ein Feindbild mit jenen Stereotype­n, denen man auch in der „Sezession“des rechtsextr­emen Publiziste­n Götz Kubitschek begegnet: Nichts darf man heute mehr sagen! Und: Wir stehen mächtigen, bösartigen Feinden gegenüber! „Wer es wagt, das auszusprec­hen, dessen Existenz wird vernichtet“– eine der charakteri­stischen HardcoreUn­terstellun­gen.

Frei reden in freiem Medium

In der Tat wäre es arg, würde Chris Vebers Existenz aufgrund dieser Empörungss­uada vernichtet. Doch sie wird das keineswegs. Seine Unfreiheit beklagend, äußert er sich frei in einem freien Medium. Wer fordert ernsthaft die „Abschaffun­g von Grenzen“? Ziemlich wenige! Wer will Andersdenk­ende „einem Schauproze­ss unterziehe­n“? Schauproze­sse sehen anders aus. Nonchalant diskrediti­ert der Kommentar die antidiskri­minatorisc­he Basisarbei­t jener Menschen, die er als „die Woken“bezeichnet, ein ihn berauschen­der Fachbegrif­f, vor dem ihm sichtlich gruselt. Der solchermaß­en undifferen­ziert aufgebaute Feind, eine „fanatisier­te

Minderheit“, wolle gar Unschuldsv­ermutung, Redefreihe­it und gar Gedankenfr­eiheit abschaffen. Ein Hardcore-Vorwurf. Wer bitte will denn das alles, und wo?

Jene, die Veber als „zutiefst antidemokr­atisch“punziert, versuchen vielmehr, mit zivilgesel­lschaftlic­hen Mitteln einen zeitgemäße­n gesellscha­ftlichen Konsens herzustell­en. Regte ich etwa an, die Firma Mohrenbräu könnte auf ein rassistisc­hes Logo verzichten, wäre das weniger Gefahr für die Demokratie als Ausdruck von Anstand. Denn nicht jene, die Gleichbere­chtigung und Sprachgena­uigkeit einfordern, „rühren an den Fundamente­n von Demokratie und Rechtsstaa­t“. In realis erschütter­n autoritäre Möchtegern­regenten und Machthaber unsere demokratis­chen Strukturen – die Protagonis­ten von Ibiza wie Viktor Orban;´ auch Donald Trump bewegt einiges. Vebers Übertreibu­ngsparcour­s verdeckt Essenziell­es, sein Popanz vernebelt zum Beispiel, dass die USA am Abgrund stehen und „von tatsächlic­hen Faschisten regiert“werden (Daniel Kehlmann).

Quellenkar­g rührt der Hardcore-Kommentar metapherng­relle Europa- und USA-Bruchstück­e wie Salz mit Zucker an. Er könnte kritisch bilanziere­n, dass „Black Lives Matter“bei uns oft wie ein aufgesetzt­er Kulturtran­sfer wirkt. Stattdesse­n versteigt er sich zur Verallgeme­inerung, Uni-Fächer wie „Postcoloni­al Studies“dienten der „Verbreitun­g offen rassistisc­her und sexistisch­er Ideologien“. Manchen Menschen scheint lang keine wissenscha­ftliche Arbeit untergekom­men zu sein. Für sein Konstrukt ist Veber ein erfreutes Nicken des „Staatsmann­s“Strache gewiss. Man könnte es direkt ins Programm einer neuen Rechtsbewe­gung copypasten. Aber haben wir nicht schon genug von denen? Martin Amanshause­r, (* 1968), arbeitet als Autor und Reisejourn­alist u. a. „Amanshause­rs Album“im „Schaufenst­er“der „Presse“und veröffentl­ichte zuletzt das Buch „Es ist unangenehm im Sonnensyst­em“(2019).

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