„Alternative zum Kaffeehaus“? Warum es Ethik für alle braucht
Religion und Ethikunterricht zu trennen und nur konfessionslose Schüler in Ethik zu schicken ist diskriminierend – und kontraproduktiv.
Die Überführung des Pflichtfachs Ethik in den Regelunterricht bedeutet immerhin einen Schulversuch weniger.
Die türkis-grüne Bildungspolitik, könnte man etwas zynisch behaupten, hat ein Interesse daran, Schüler zu trennen. Nicht nur, dass das Modell der Gesamtschule, also der gemeinsamen Schule der Sechs- bis 15-Jährigen, längst gestorben ist. Auch die von Türkis-Blau eingeführten umstrittenen Deutschförderklassen gibt es weiterhin. Die Realität zeigt, dass sie nicht funktionieren: Oft sitzen zu wenige Kinder in den Klassenzimmern, und die Trennung von den Mitschülern tut ihnen nicht gut. Es fehlt an Möglichkeiten, sich zu integrieren, und die sind unumgänglich, um gut Deutsch zu lernen.
Und nun wird einmal mehr die Chance verfehlt, den Ethikunterricht als gemeinsames, verbindendes Fach zu etablieren, in einer multikulturellen, diversen Gesellschaft wie der unseren wichtiger denn je. Diese Woche passierte die Regierungsvorlage den Ministerrat. Ab dem Schuljahr 2021/22 müssen Schüler ab der neunten Schulstufe einen verpflichtenden Ethikunterricht besuchen, so sie nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Berufsbildende höhere Schulen, bei denen Religion kein Pflichtgegenstand ist, sind ebenso davon ausgenommen wie – aus unerklärlichen Gründen – Polytechnische Schulen. Auch wird es kein Lehramtsstudium Ethik geben; ein weiteres Versäumnis.
Eine gute Sache daran: Die Überführung des Pflichtfachs Ethik in den Regelunterricht bedeutet immerhin einen Schulversuch weniger. Deren Wildwuchs kritisierte der Rechnungshof vor einigen Jahren, als er Schulversuche für das Schuljahr 2012/13 evaluierte: Damals wurden rund 5400 Schulversuche in ganz Österreich gezählt. Eine erhebliche Anzahl habe das Erprobungsstadium überschritten und war quasi dauerhaft eingerichtet worden. Etwa die Möglichkeit zur verbalen Beurteilung, seit 1966 etabliert. Ethik, 1997 erstmals als Schulversuch genehmigt, wird aktuell an 233 Oberstufen als Schulversuch angeboten.
Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hat den Ethikunterricht als „Alternative zum Kaffeehaus“bezeichnet.
Ganz abgesehen davon, dass Kaffeehäuser Orte des Austauschs, der Gemeinsamkeit und der Arbeit sein können und Österreich vielfach stolz auf seine intellektuell inspirierende Kaffeehauskultur ist: Dieser Aussage liegt die absurde Annahme zugrunde, dass jungen Menschen ohne Religionsunterricht – und somit ohne Religion – etwas fehlt, das der Staat nun ergänzen muss. Als ob das Lernen von Bibel, Tora oder Koran die einzige Möglichkeit wäre, ein Wertegerüst aufzubauen und zu verstehen, was ethisches Verhalten ist. Eytan Reif, Sprecher des Volksbegehrens „Ethik für alle“, hat die Regierungsvorlage kürzlich in einem „Presse“-Gastkommentar zu Recht als „diskriminierend“bezeichnet.
Es ist wichtiger denn je, sich mit Religion, Ideologien und Ethik auseinanderzusetzen. Gerade in Zeiten, in denen fundamentalistische Strömungen an Einfluss gewinnen, während sich große Teile der Gesellschaft zunehmend säkularisieren. Religion hat längst nicht mehr die eine, „zentrale Steuerung“inne, vom Staat ist sie in den meisten Bereichen getrennt, und das ist gut so.
Ein Unterrichtsfach, in dem die großen Fragen, die uns als Gesellschaft betreffen, strukturiert und ergebnisoffen behandelt werden, ist deshalb umso dringender notwendig – und zwar für alle. Religions- und Ethikunterricht zu trennen ist kontraproduktiv. Ist es nicht um ein Vielfaches gewinnbringender, wenn junge Menschen unterschiedlicher Religionen gemeinsam diskutieren? Und zwar nicht, wie Verfechter von „Reli“vorschlagen, hin und wieder in Unterrichtskooperationen, sondern durchgehend? Besser wäre ein verpflichtender Ethikunterricht für alle; wer möchte, kann zusätzlich den konfessionellen Religionsunterricht besuchen.
Das würde die nächste Generation unserer multikulturellen, diversen Gesellschaft zusammenschweißen und sie nicht, wie es andere bildungspolitische Vorhaben leider tun, weiter trennen.
Zur Autorin:
Anna Goldenberg ist Journalistin und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für den „Falter“und die „Taz“.