Mehr Geld, weniger Bürokratie
Innovationen. Eine Expertenrunde zeigt auf, wie die Entwicklung und Einführung innovativer Therapien vorangetrieben werden kann.
Im Praevenire-Gipfelgespräch wurden die wichtigsten Punkte definiert, um Innovationen im Gesundheitsbereich in Österreich voranzubringen. „Das österreichische Gesundheitssystem ist mit zwei großen Dynamiken konfrontiert“, erklärte Ronald Pichler, Leiter Public Affairs & Market Access bei Pharmig, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreich. „Einerseits mit der demografischen Entwicklung. Dadurch erreichen immer mehr Personen eine Lebensphase, in der sie Arzneimittel in einem stärkeren Ausmaß benötigen.“Die zweite Dynamik betrifft den medizinischen Fortschritt. Es stehen bahnbrechende Entwicklungen in der Pipeline – die große Herausforderung sei die Finanzierung. „Mit einem System der Vergangenheit kann Österreich die Challenge der Zukunft nicht meistern“, sagt Pichler. „Wir brauchen neue Überlegungen hinsichtlich Finanzierungen von Innovationen, um sicherzustellen, dass Patienten auch Zugang zu innovativen Arzneimitteln haben, wenn sie ihrer bedürfen.“ Kompetente Entscheider Gernot Idinger, Leiter der Anstaltsapotheke LKH Steyr und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Krankenhauspharmazie, warf ein, dass in den letzten Jahren zu wenig unternommen wurde, um innovative Arzneimittel einzuführen. Was seiner Meinung nach an den Entscheidungsprozessen liegt. „Jeder Versuch, der am grünen Tisch entstanden ist, hat für die Patienten wenig gebracht. In den Diskussionen müssen sich Personen einbringen, die über die notwendigen Kompetenzen verfügen – wie Ärzte, Pharmazeuten und Vertreter der Industrie.“Es müsse sichergestellt sein, dass die Menschen, unabhängig von Wohnort und sozialem Status, Zugang zu den neuesten Arzneimitteln haben. „Generika und Biosimilars können zur Finanzierung des medizinischen Fortschritts beitragen, weil mit ihnen enorme Einsparungen möglich sind“, sagt Sabine Möritz-Kaisergruber, Präsidentin des Österreichischen Biosimilarverbandes. Biosimilars sind gleichwertige Nachfolgeprodukte von bereits zugelassenen Biopharmazeutika, deren Patent abgelaufen ist. „Wir helfen, den Zugang zu medizinischen Fortschritten mittel- und langfristig sicherzustellen“, so die Präsidentin. Bürokratie beschleunigen Eine Problem sieht Wolfgang Wein, ehemaliger Geschäftsführer Merck Austria, in den bürokratischen Hürden, internationale Studien nach Österreich zu bekommen. „Wenn es hierzulande rund sechs Monate dauert, bis man zum Beispiel einen Vertrag bekommt, wird man international unattraktiv und die Studien wandern in andere Länder.“In China beträgt der Zeitraum für eine klinische Studienanmeldung 16 Tage. Dadurch ist China nicht nur bei der Produktion Leader, sondern läuft Europa auch in der Forschung den Rang ab. „Wollen wir in dem internationalen Wettbewerb mithalten, bedarf es einer Entbürokratisierung, Beschleunigung und einer Attraktivität für Studien der verschiedenen Entwicklungsphasen.“Michael Gnant, Facharzt für Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie der Medizinischen Universität Wien, hält Befristungen für sinnvoll. „Innovation bedeutet auch: Schnell sein.“Er wäre für eine festgelegte Frist von rund 60 Tagen. Wird innerhalb dieser Zeit von Seiten der Behörde nicht geantwortet, gilt ein Projekt als genehmigt. „Das würde die Prozesse dramatisch beschleunigen.“Pichler schlägt einen One-Stop-Shop als Anlaufstelle für internationale Unternehmen vor, die in Österreich klinische Studien durchführen wollen. „Dieser One-Stop-Shop managt die dahinterliegende Komplexität.“ Richtig fördern Auch die Wirtschaftskammer Wien unterstützt bei der Motivation kreativer Köpfe und setzt bei der Wirtschaftsstrategie 2030 auf den Schwerpunkt „Gesundheitsmetropole Wien“. „Außerdem unterstützen wir bei der Vernetzung von Universitäten, Start-ups, Wirtschaft und Fördergebern“, sagt Regina Plas von der WK Wien. „Österreich ist gut aufgestellt bei den Gründungsförderungen, aber es fehlen die Anschlussförderungen.“
Auch Wolfgang Wein kritisiert eine falsche Förderstrategie. „Gefördert wird vorwiegend in der präklinischen Forschungsphase. Durch diese Förderpolitik bleiben innovative Biotech-Spin-offs spätestens in Phase zwei finanziell hängen und verkaufen ihre Ideen an ausländische Unternehmen.“Ziel müsse sein, die Biotechszene in Österreich fit zu machen, um Produkte hier entwickeln zu können. „Präklinisch sind wir gut, aber wenn es in die eigentlich wertvollen Entwicklungsphasen geht, sind die Unternehmen finanziell überfordert und es kommt zum Ausverkauf österreichischer Ideen und Erfindungen.“Stoppen ließe sich der Ausverkauf durch private Investoren, etwa in Form von geregelten Fonds mit moderaten Risiken.
In vielen Fällen ist jedoch evident, dass entweder aus gesamtgesellschaftlicher Sicht — wie Erhalt der Teilhabe am Arbeitsprozess — oder auch alleine aus medizinischer Folgekostensicht Innovationen nicht zwangsläufig ein Mehr an Gesamtkosten bedeuten, sondern auf der Metaebene betrachtet oftmals zu Einsparungen führen. Hinzu kommt, dass gerade der Einsatz von Generika und Biosimilars enorme Einsparungen ermöglicht und eine Voraussetzung für die gesicherte Finanzierung des medizinischen Fortschritts ist. Einigkeit herrschte unter den Teilnehmenden des Gipfelgesprächs auch darüber, dass der Nutzen für Patientinnen und Patienten in alle Entscheidungen zu integrieren ist und das österreichische solidarische Gesundheitssystem beibehalten, aber effizient sein muss. Statt einer strukturgebundenen Finanzierung bedarf es einer nutzer- und nutzenorientierten Finanzierungsform. Qualität sichern Ansgar Weltermann, Leiter des Tumorzentrums OÖ, brachte die Themen Qualitätssicherung und Qualitätsmessung aufs Tableau. „Wir kennen noch nicht einmal die Qualität unserer aktuellen Behandlungen genau, wie sollen wir dann innovative Produkte einordnen können?“Für den Onkologen ist Qualitätssicherung ebenfalls eine Form der Innovation. „Hinsichtlich 2030 brauchen wir eine Qualitätssicherung, die dem Namen gerecht wird.“Eine Lösung sieht er darin, bewusst Projekte zu fördern, bei denen Qualitätssicherung im Fokus stehen. Gnant würde sogar einen Schritt weitergehen. „Es ist eine elementare Aufgabe des Staates, das Langzeit-Outcome von Investitionen in hochpreisige, innovative Medikamente zu kennen.“Unerlässlich sei eine zentrale österreichweite Erfassung innovativer Projekte anhand eines Registers zur Sicherung und Messung der Qualität. Nur so könne eine transparente, ganzheitliche Betrachtung und Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgen.