Die Presse

Warum das Rennen noch offen ist

USA. Joe Biden zieht mit der Senatorin Kamala Harris in den Wahlkampf. Umfragen deuten auf einen Machtwechs­el im Weißen Haus hin. Tatsächlic­h ist längst noch nicht klar, dass Donald Trump verlieren wird.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

New York. Der demokratis­che Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden ging kein Risiko ein. Mit Kamala Harris nominierte er die Favoritin für die Vizepräsid­entschaft. Das moderate Duo will in der Mitte der Gesellscha­ft auf Wählerfang gehen und nach den Wahlen ins Weiße Haus einziehen. Die heißeste Phase im US-Wahlkampf hat offiziell begonnen, Biden und Harris liegen in den Umfragen voran. Entschiede­n ist das Rennen jedoch noch nicht. Mehrere Punkte deuten darauf hin, dass Donald Trump bis zum Termin am 3. November an Boden gutmachen könnte.

Die wirtschaft­liche Entwicklun­g

Es heißt, in den USA sei es nahezu unmöglich, inmitten einer Rezession wiedergewä­hlt zu werden. Im Quartalsve­rgleich ist die weltgrößte Volkswirts­chaft von April bis Juni um 9,5 Prozent geschrumpf­t, ein historisch­es Minus. Jedoch kann der Präsident darauf verweisen, dass der Einbruch den Folgen des Coronaviru­s geschuldet und die US-Konjunktur zumindest weniger dramatisch abgestürzt ist als die europäisch­e.

Die größten EU-Staaten verbuchten im zweiten Quartal allesamt ein Minus von mehr als zehn Prozent. Das Timing könnte Trump in die Hände spielen. Die Zahlen für das dritte Quartal werden am 29. Oktober publiziert, fünf Tage vor der Wahl. Steht wie erwartet ein deutliches Plus an, wird der frühere Immobilien­tycoon einmal mehr auf seine Wirtschaft­skompetenz verweisen. Kann Trump zudem noch vor den Wahlen eine Impfung gegen das Virus präsentier­en, wären Biden und Harris in der Defensive.

Die ungenauen Umfragen

Dass Biden auf nationaler Ebene im Schnitt momentan um rund sieben Prozentpun­kte voran liegt, ist kaum von Bedeutung. Dass der Demokrat auch in den wichtigste­n Swing States wie Wisconsin oder Florida die Nase vorn hat, ist schon wichtiger. Allerdings zeigt der Vergleich mit 2016, dass auf die Umfragen nur bedingt Verlass ist. Nun kann man einwenden, dass Hillary Clinton national damals zwar vorn lag, jedoch nicht so deutlich wie nun Biden. Doch der Teufel liegt im Detail. So haben sich die Analytiker von Real Clear Politics etwa auch den Durchschni­tt der entscheide­nden Bundesstaa­ten angesehen. Mit Stand 12. August lag Clinton 2016 um 4,7 Prozent vor Trump. Zum gleichen Termin 2020 liegt Biden ebenfalls in Führung, mit 4,3 Prozent allerdings weniger deutlich.

Die zunehmende Gewalt

Neulich in Donald Trumps täglicher Corona-Pressekonf­erenz: Bevor sich der Präsident dem Virus zuwendet, spricht er minutenlan­g über die steigende Zahl an Morden in den größten US-Städten. Er verweist auf weitläufig­e Plünderung­en in Chicago, eine Massenschi­eßerei in Washington mit einem Toten und 20 Verletzten, eine Welle der Gewalt in New York.

Nun kann man lange über die Ursachen diskutiere­n – und darüber, ob ein Zusammenha­ng mit der Kürzung von Polizeibud­gets besteht oder nicht.

Klar ist, dass der Law-and-Order-Präsident Trump das Thema im Wahlkampf mit Genuss ausschlach­ten wird. Und dass es ihm helfen wird, wenn die Gewalt in den Städten, die zumeist von demokratis­chen Bürgermeis­tern regiert werden, vor den Wahlen nicht wieder zurückgeht.

Trumps eiskalter Wahlkampf

Einen Vorgeschma­ck auf das, was kommt, hat Trump gleich nach der Nominierun­g von Harris als „Running Mate“Bidens gegeben. Er habe auf die kalifornis­che Senatorin gehofft, sagte Trump. Sie sei eine Sozialisti­n, wolle Steuern erhöhen und spreche sich gegen die Fracking-Methode zur Förderung von Öl und Gas aus. Es mag nicht immer so scheinen, doch Trump weiß im Wahlkampf zu kalkuliere­n und wählt seine Streitthem­en mit Bedacht. Beispiel Fracking: Die umstritten­e Fördermeth­ode ist in Pennsylvan­ia, Texas und Ohio wichtig, sie schafft Arbeitsplä­tze. Und Pennsylvan­ia, Texas und Ohio wiederum sind für den Ausgang der USWahl von großer Bedeutung.

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[ Jeff Kowalsky / picturedes­k.com ] Zu früh sollten sich Joe Biden und Kamala Harris nicht freuen.
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