Warum das Rennen noch offen ist
USA. Joe Biden zieht mit der Senatorin Kamala Harris in den Wahlkampf. Umfragen deuten auf einen Machtwechsel im Weißen Haus hin. Tatsächlich ist längst noch nicht klar, dass Donald Trump verlieren wird.
New York. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden ging kein Risiko ein. Mit Kamala Harris nominierte er die Favoritin für die Vizepräsidentschaft. Das moderate Duo will in der Mitte der Gesellschaft auf Wählerfang gehen und nach den Wahlen ins Weiße Haus einziehen. Die heißeste Phase im US-Wahlkampf hat offiziell begonnen, Biden und Harris liegen in den Umfragen voran. Entschieden ist das Rennen jedoch noch nicht. Mehrere Punkte deuten darauf hin, dass Donald Trump bis zum Termin am 3. November an Boden gutmachen könnte.
Die wirtschaftliche Entwicklung
Es heißt, in den USA sei es nahezu unmöglich, inmitten einer Rezession wiedergewählt zu werden. Im Quartalsvergleich ist die weltgrößte Volkswirtschaft von April bis Juni um 9,5 Prozent geschrumpft, ein historisches Minus. Jedoch kann der Präsident darauf verweisen, dass der Einbruch den Folgen des Coronavirus geschuldet und die US-Konjunktur zumindest weniger dramatisch abgestürzt ist als die europäische.
Die größten EU-Staaten verbuchten im zweiten Quartal allesamt ein Minus von mehr als zehn Prozent. Das Timing könnte Trump in die Hände spielen. Die Zahlen für das dritte Quartal werden am 29. Oktober publiziert, fünf Tage vor der Wahl. Steht wie erwartet ein deutliches Plus an, wird der frühere Immobilientycoon einmal mehr auf seine Wirtschaftskompetenz verweisen. Kann Trump zudem noch vor den Wahlen eine Impfung gegen das Virus präsentieren, wären Biden und Harris in der Defensive.
Die ungenauen Umfragen
Dass Biden auf nationaler Ebene im Schnitt momentan um rund sieben Prozentpunkte voran liegt, ist kaum von Bedeutung. Dass der Demokrat auch in den wichtigsten Swing States wie Wisconsin oder Florida die Nase vorn hat, ist schon wichtiger. Allerdings zeigt der Vergleich mit 2016, dass auf die Umfragen nur bedingt Verlass ist. Nun kann man einwenden, dass Hillary Clinton national damals zwar vorn lag, jedoch nicht so deutlich wie nun Biden. Doch der Teufel liegt im Detail. So haben sich die Analytiker von Real Clear Politics etwa auch den Durchschnitt der entscheidenden Bundesstaaten angesehen. Mit Stand 12. August lag Clinton 2016 um 4,7 Prozent vor Trump. Zum gleichen Termin 2020 liegt Biden ebenfalls in Führung, mit 4,3 Prozent allerdings weniger deutlich.
Die zunehmende Gewalt
Neulich in Donald Trumps täglicher Corona-Pressekonferenz: Bevor sich der Präsident dem Virus zuwendet, spricht er minutenlang über die steigende Zahl an Morden in den größten US-Städten. Er verweist auf weitläufige Plünderungen in Chicago, eine Massenschießerei in Washington mit einem Toten und 20 Verletzten, eine Welle der Gewalt in New York.
Nun kann man lange über die Ursachen diskutieren – und darüber, ob ein Zusammenhang mit der Kürzung von Polizeibudgets besteht oder nicht.
Klar ist, dass der Law-and-Order-Präsident Trump das Thema im Wahlkampf mit Genuss ausschlachten wird. Und dass es ihm helfen wird, wenn die Gewalt in den Städten, die zumeist von demokratischen Bürgermeistern regiert werden, vor den Wahlen nicht wieder zurückgeht.
Trumps eiskalter Wahlkampf
Einen Vorgeschmack auf das, was kommt, hat Trump gleich nach der Nominierung von Harris als „Running Mate“Bidens gegeben. Er habe auf die kalifornische Senatorin gehofft, sagte Trump. Sie sei eine Sozialistin, wolle Steuern erhöhen und spreche sich gegen die Fracking-Methode zur Förderung von Öl und Gas aus. Es mag nicht immer so scheinen, doch Trump weiß im Wahlkampf zu kalkulieren und wählt seine Streitthemen mit Bedacht. Beispiel Fracking: Die umstrittene Fördermethode ist in Pennsylvania, Texas und Ohio wichtig, sie schafft Arbeitsplätze. Und Pennsylvania, Texas und Ohio wiederum sind für den Ausgang der USWahl von großer Bedeutung.