Die Presse

Kommt jetzt schon die zweite Welle?

Coronaviru­s. „Erwartbare­s Wachstum“nennen es die einen, vor einem neuen Lockdown warnen die anderen: Der aktuelle Rekordanst­ieg an Infektione­n deutet an, was im Herbst zu erwarten ist.

- VON JULIA WENZEL

Der aktuelle Rekordanst­ieg an Corona-Infektione­n deutet an, was im Herbst anstehen könnte.

Wien. Die Zahl der Coronainfe­ktionen in Österreich steigt deutlich an. Zwar ist deren Wachstum derzeit noch anders als in Zeiten des Lockdown nicht exponentie­ll, die Sorge vor einer zweiten Welle im Herbst aber steigt ähnlich schnell.

1 Welche Ursachen hat der aktuelle Anstieg an Neuinfekti­onen?

„Die sozialen Kontakte haben sich wieder aufgewärmt“, sagt Mario Dujakovic, Sprecher des Wiener Gesundheit­sstadtrats, Peter Hacker (SPÖ), auf die Frage, welche Erklärung es für den Corona-Rekordanst­ieg – bundesweit 194 neue Fälle und damit so viele wie seit 11. April nicht mehr – gibt.

Eine davon lautet: Die Mobilität der Österreich­er zwischen den Bundesländ­ern und ins Ausland hat sich erhöht, das Treffen von Familie und Freunden und die persönlich­e Anwesenhei­t am Arbeitspla­tz haben sich weitgehend normalisie­rt. Das zeigt sich derzeit vor allem in der Bundeshaup­tstadt, wo es mit 91 Neuinfekti­onen innerhalb von 24 Stunden mit Abstand die meisten Neuinfekti­onen gab. Dort erklärt man den Anstieg aber auch mit der Einmeldung von 2760 Befunden an einem Tag.

Dennoch will man seitens der Stadtregie­rung beruhigen: Es handle sich derzeit um ein „erwartbare­s“Wachstum bzw. ein „höheres Grundrausc­hen“, sagt Dujakovic. Tatsächlic­h liegt der Ages zufolge die Reprodukti­onszahl weiterhin unter der kritischen Marke 1. Seit 25. Juli unveränder­t blieb auch die Zahl der Todesopfer in Wien.

2 Sind die Anstiege bereits Anzeichen einer „zweiten Welle“?

Nein, da die Zahlen nicht exponentie­ll ansteigen. Dennoch könne man nicht von einem linearen Wachstum sprechen, sagt Simulation­sexperte Niki Popper zur „Presse“. In dessen Modellen, die der Bundesregi­erung seit Beginn der Pandemie als Entscheidu­ngsgrundla­ge dienen, sehe Popper, „dass wir derzeit viele kleine Mikroepide­mien haben“.

Das augenschei­nlich lineare Wachstum sei vielmehr das Resultat einer „riesigen Leistung und eines komplizier­ten Gleichgewi­chts“aus Abstand, Hygiene und politische­n Maßnahmen, die die Mini-Epidemien derzeit „glückliche­rweise relativ schnell einfangen“. Die Hygienereg­eln bilden dabei den einen, die Strategie des Testens, Tracens und Isolierens (TTI) den anderen „Drehregler“.

Letztere wird in Wien recht offensiv umgesetzt: In Wien werden – anders als in den anderen Bundesländ­ern – alle Kontaktper­sonen ersten Grades eines Infizierte­n flächendec­kend getestet. Wäre die Stadt ein Nationalst­aat, befände sie sich unter den Ländern Europas mit den meisten Tests pro Million Einwohner. Bis dato wurde hier um 27 Prozent mehr als in Deutschlan­d, um 33 mehr als in der Schweiz und um 57 Prozent mehr als in Frankreich getestet.

3 Welchen Einfluss haben Reiserückk­ehrer auf die Infektions­zahlen?

Ein immer größerer Anteil entfällt inzwischen auf Heimkehrer: 50 Prozent der Fälle waren es bundesweit in den vergangene­n sieben Tagen, 8,7 Prozent im August bisher in Wien. Der Balkan spielt dabei eine große Rolle: Insbesonde­re Wiens größte migrantisc­he Community, jene der Serben, begibt sich nun langsam auf den Rückweg vom Verwandtsc­haftsbesuc­h, viele Österreich­er verbringen den Urlaub in Kroatien. Bei den Stichprobe­ntests an der Grenze werden viele jedoch symptomlos durchgewin­kt. Am Brenner in Tirol will man deshalb ab Montag verstärkt kontrollie­ren. Angesichts der bald beginnende­n Sommerschu­le bzw. des Ferienende­s ist der Anstieg für die Schulen besonders heikel. Ein lang ersehntes Konzept will Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) am Montag präsentier­en.

4 Welche Strategien verfolgt die Regierung für den Herbst?

Die Corona-Ampel soll ab September lokale Maßnahmen vereinheit­lichen, während sich das Tempo der TTI bis in den Herbst „dringend erhöhen“müsse, sagt Popper. Hacker forderte zuletzt auch freiwillig­e Tests an den Grenzen. „Wir brauchen eine bundesweit­e Lösung“, sagt sein Sprecher Dujakovic. Eine „Presse“-Anfrage ließ man im Büro von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) am Mittwoch unbeantwor­tet.

Eine baldige Impfung bleibt – anders als in Russland – indes aus, auch wegen Sicherheit­sbedenken: Für Österreich komme „ein nicht ausreichen­d erprobter Impfstoff nicht infrage“, ließ sich Anschober in einer Aussendung zitieren.

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