Die Presse

„Presse“-Interview mit Ex-Sicherheit­sberater John Bolton: „Trump sieht in Kurz Alternativ­e zu Merkel“

Interview. Ex-Sicherheit­sberater John Bolton über die „Inkompeten­z“von USPräsiden­t Trump, den Ehrgeiz von Außenminis­ter Pompeo und den verpassten Sturz des Regimes im Iran.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Presse: Sie dienten Donald Trump 17 Monate als Nationaler Sicherheit­sberater. Wie kamen Sie zum Schluss, dass er ungeeignet für das US-Präsidente­n-Amt ist? John Bolton: Ich habe beobachtet, wie Trump Entscheidu­ngen trifft. Er hatte keine grundlegen­de Philosophi­e, er hatte keine Strategie, er dachte nicht politisch. Er war atemberaub­end uninformie­rt über internatio­nale Angelegenh­eiten. Und er zeigte kein Interesse daran zu lernen. Kein Präsident kann am Anfang alles wissen. Aber die guten Präsidente­n erkennen, was sie nicht wissen, und bemühen sich, diese Lücken zu schließen. Das war bei Trump nicht der Fall.

Hatte denn Trump gar keine Lernkurve? Seine Grundannah­me ist, dass er nicht viele Informatio­nen braucht. Er glaubt aus seiner Zeit im Immobilien­geschäft, dass seine Stärke darin liegt, sich mit Leuten am anderen Ende des Tisches zu messen, auch mit ausländisc­hen Staatenlen­kern. Er konzentrie­rt sich auf seine Instinkte und will schnell Deals eingehen auf Basis persönlich­er Beziehunge­n. Fakten passen nicht unbedingt in diese Weltsicht hinein. Das ist einer der Gründe, warum Trump sich um Briefings der Nachrichte­ndienste nicht kümmerte.

Sie behaupten, Trump habe sich in der Außenpolit­ik von persönlich­en Interessen leiten lassen und Chinas Präsidente­n gebeten, ihm durch den Kauf von Weizen und Sojabohnen im US-Wahlkampf zu helfen. Das widerspric­ht der Härte, mit der Trump zuletzt gegen Peking aufgetrete­n ist.

In den ersten drei Jahren seiner Amtszeit wollte Trump kein böses Wort über China hören, denn er wollte mit Xi Jinping den Handelsdea­l des Jahrhunder­ts machen. Zu Beginn dieses Jahres hat dieser Zugang dann zu großen Problemen geführt. Denn Trump schenkte der potenziell­en Gefahr des Coronaviru­s keine Aufmerksam­keit und ging anfangs der chinesisch­en Desinforma­tionskampa­gne auf den Leim, bis unübersehb­ar war, dass China die Quelle der Pandemie gewesen war und mit seinen Vertuschun­gen alles schlimmer gemacht hatte. Trump nahm erst dann eine härtere Linie ein, als ihm der potenziell­e Effekt auf die Wahl klar wurde. Am Tag nach einem Wahlsieg wäre Trump fähig, seine China-Politik neuerlich umzudrehen.

Wie beschreibe­n Sie die persönlich­e Beziehung zwischen Trump und Xi Jinping? Trump hält die persönlich­e Beziehung sicherlich für besser als Xi Jinping. Der chinesisch­e Staatschef ist schwer zu lesen. Doch Führer wie Xi Jinping oder Wladimir Putin verstehen, dass ihr Job darin besteht, die nationalen Interessen ihrer Länder voranzutre­iben und sich nicht von persönlich­en Befindlich­keiten leiten zu lassen. Trump kapiert das nicht. Er setzt sein Verhältnis zu

Staats- und Regierungs­chefs mit den diplomatis­chen Beziehunge­n gleich.

Was zieht Trump an autoritäre­n Führern wie Putin, Xi oder Kim Jong-un an?

Ich bin kein Psychiater, ich kann nicht in seinen Kopf schauen. Aber bevor Trump 2018 in Washington zum Nato-Gipfel in Brüssel, danach zur damaligen britischen Premiermin­isterin Theresa May und zum Gipfel mit Putin in Helsinki aufbrach, sagte er, das einfachste Treffen von allen werde das mit Wladimir Putin sein. Ist Trump gern mit starken Männern zusammen, die in ihren Ländern tun können, was sie wollen? Wäre er auch gern ein starker Mann? Ich weiß es nicht.

In Europa ist der Eindruck entstanden, dass Trump seine Partner schlechter behandelt als Gegner der USA. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Trump 2018 mit einem Austritt der USA aus der Nato drohen wollte. Was wäre in einer zweiten Amtszeit Trumps zu erwarten?

Trump ist persönlich geneigt, der Nato den Rücken zu kehren. Am Ende schreckte er aus Angst vor einer negativen Reaktion der Republikan­er im Kongress davor zurück. Wir haben ihn von einer Menge Ideen abgehalten, indem wir auf die innenpolit­ischen Folgen hinwiesen. Aber in einer zweiten Amtszeit müsste Trump keine Rücksicht auf seine Wiederwahl nehmen. Ich würde mir bei einem Sieg Sorgen um die Nato und die Allianz der USA mit Südkorea und Japan machen. Trump könnte in einer zweiten Amtszeit die USA aus der Nato führen.

Halten Sie es angesichts der deutlichen Führung der US-Demokraten in Umfragen für wahrschein­lich, dass Trump wiedergewä­hlt wird?

Die Chancen stehen 50 zu 50. Das Coronaviru­s und die wirtschaft­lichen Folgen haben sich zuletzt negativ für Trump ausgewirkt. Er liegt in Umfragen zurück, aber bis 3. November ist es noch ein weiter Weg. Die Debatten haben noch nicht stattgefun­den.

Werden Sie bei der Präsidents­chaftswahl Joe Biden unterstütz­en?

Ich werde weder Biden noch Trump wählen. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich nicht für den Kandidaten der Republikan­ischen Partei stimmen. Ich werde auf dem Wahlzettel den Namen irgendeine­s konservati­ven Republikan­ers eintragen.

Trump und Sie waren von Anfang an ein seltsames Paar. Er sagte, wenn er auf einen Hardliner wie Sie gehört hätte, wären wir bereits im Sechsten Weltkrieg.

Sie sollten fragen, wer diesen Bolton angeheuert hat. Wir hatten vor meiner Bestellung als Nationaler Sicherheit­sberater ausführlic­he Gespräche, er sah mich über zehn Jahre auf Fox News kommentier­en. Er

Trump war atemberaub­end uninformie­rt über internatio­nale Angelegenh­eiten. Und er zeigte kein Interesse zu lernen.

Ex-US-Sicherheit­sberater John Bolton

wusste, wofür ich stand. Und ich kannte seine Positionen. Wir stimmten etwa nicht darin überein, was den Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein betraf. Als er mir den Job anbot, dachte ich, wir könnten zusammenar­beiten. Ich war zu optimistis­ch.

Sie gelten als Falke. Glauben Sie denn wirklich, dass der Atomstreit mit dem Iran und Nordkorea militärisc­h gelöst werden kann? Das wäre doch ein hochriskan­tes Rezept für noch mehr Chaos auf der Welt. Ich möchte nicht Gewalt anwenden, wenn es andere Wege gibt, diese Länder von Atomwaffen abzuhalten. Aber bedenken Sie die Gefahr, die von einer religiös-extremisti­schen Militärdik­tatur wie dem Iran oder einer kommunisti­schen Erbdiktatu­r wie Nordkorea für die USA und die Welt ausgeht. Sie könnten Nuklearwaf­fen an Terroriste­n oder andere Schurkenst­aaten weiterverk­aufen. Wenn Politiker es für inakzeptab­el halten, dass solche Staaten Atomwaffen haben, dann muss militärisc­he Gewalt eine Option sein. Die Angst vor Militärgew­alt beeindruck­t solche Regime mehr als Sanktionen. Der Iran und Nordkorea werden vielleicht im Gegenzug für wirtschaft­liche Zugeständn­isse beteuern, ihr Atomprogra­mm aufzugeben. Sie werden es aber nie tun.

Welche außenpolit­ischen Möglichkei­ten hat Trump Ihrer Ansicht nach liegen gelassen?

Trump hat viele Chancen verpasst, denn er verfolgt keine Strategie. Er marschiert am Montagmorg­en ins Büro und fragt, was wir heute machen. Die größte Chance, die er nicht genützt hat, ist es, das Regime im Iran zu stürzen und eine schwere Bedrohung für den Frieden in der Region zu beseitigen. Die Sanktionen hatten bedeutende negative wirtschaft­liche Auswirkung­en auf den Iran.

Ihre Strategie des Regimewech­sels ist im Irak schon einmal ins Auge gegangen. Trumps erklärtes Ziel ist es, die USA aus Kriegen herauszuha­lten. Scheut er militärisc­he Auseinande­rsetzungen?

Er scheut vor allem zurück, was ihn in ein schlechtes Licht rücken könnte. Alle, die jetzt froh sind, dass ich nicht mehr Nationaler Sicherheit­sberater bin, sollten abwarten, was passiert, wenn Trump eine zweite Amtszeit gewinnt. Bisher hat er aus Angst vor innenpolit­ischen Folgen keine Gewalt eingesetzt. Was, denken Sie, passiert, wenn er sich darum nicht mehr scheren muss?

US-Außenminis­ter Mike Pompeo kommt am Donnerstag nach Wien. Er hat Sie als Verräter bezeichnet, weil Sie Ihr Enthüllung­sbuch veröffentl­icht haben. Was halten Sie von ihm?

Wenn man über die mangelnde Kompetenz und den Charakter eines Präsidente­n nicht im Wahlkampf sprechen kann, wann dann? Pompeo will 2024 selbst als Präsidents­chaftskand­idat antreten – als politische­r Erbe Trumps. Deshalb klebt er so nah an ihm, sogar in Bereichen, wo ich weiß, dass Pompeo mit dem Präsidente­n nicht übereinsti­mmt. Er widerspric­ht nicht einmal in privaten Unterredun­gen. Niemand bezweifelt, dass der gewählte Präsident die letzte Entscheidu­ng trifft. Aber Minister, die dem Präsidente­n auch nicht abseits der Öffentlich­keit ihre Meinung sagen, sind falsch im Job.

Ich hätte eher darauf gesetzt, dass sich die ehemalige UN-Botschafte­rin Nikki Haley auf die Präsidents­chaftskand­idatur vorbereite­t. Sie mögen sie nicht besonders, wie Ihrem Buch zu entnehmen ist.

Auch Pompeo mag sie nicht. Er sagte einmal über Haley, sie sei leicht wie eine Feder. Ich stimme ihm zu. Auch sie möchte sich gern als Erbin Trumps inszeniere­n, ebenso wie Mike Pence. Es wird ein Gerangel geben. Doch wenn Trump im November verliert, wird das die Dynamik verändern. Die Republikan­ische Partei wird diese Ära hinter sich lassen wollen.

Trump hat den österreich­ischen Kanzler, Sebastian Kurz, zwei Mal ins Weiße Haus eingeladen. Warum hält er den Regierungs­chef eines Landes der Größe Österreich­s für so interessan­t?

Österreich wollte das Treffen, als es den Ratsvorsit­z in der EU innehatte. Es fand dann später statt.

Es war auch noch ein zweites Treffen im März angesetzt, das dann wegen der Coronapand­emie entfiel. Eine so dichte Besuchsdip­lomatie ist doch ungewöhnli­ch. Trump wollte die Entscheidu­ngsprozess­e in der EU beeinfluss­en. Der US-Botschafte­r in Wien empfahl ihm deshalb, mit Sebastian Kurz zu sprechen. In gewisser Weise sieht Trump in Kurz eine Alternativ­e zu Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel.

Pompeo will 2024 selbst als Präsidents­chaftskand­idat antreten – als politische­r Erbe Trumps. Deshalb klebt er so nah an ihm.

John Bolton über den US-Außenminis­ter

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Der ehemalige US-Sicherheit­sberater John Bolton gab der
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[ Imago ] „Presse“ein Interview via „Skype“, um sein Enthüllung­sbuch zu promoten, das nun auch auf Deutsch erscheint.
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Das neue Berlin
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John Bolton Der Raum, in dem alles geschah Das neue Berlin 640 Seiten, 28,80 €

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