Wie Kamala Harris lernte, hart zuzuschlagen – auch gegen Joe Biden
Porträt. Die demokratische Vize-Kandidatin gilt als sehr angriffslustig, sehr ehrgeizig und scharfsinnig. Politisches Engagement wurde ihr praktisch in die Wiege gelegt.
Die verbalen Kampfkünste seiner frisch gekürten Vize-Kandidatin hat Joe Biden am eigenen Leib erfahren. Bei einer der ersten TV-Debatten zum Start des demokratischen Vorwahlkampfs vor gut einem Jahr versetzte Kamala Harris dem erfahrenen Politiker vor laufender Kamera einen harten Schlag – und das ausgerechnet bei einem Thema, das in Zeiten von „Black Lives Matter“nun wieder brandaktuell ist: Rassismus.
Die Senatorin aus Kalifornien attackierte Biden während der Diskussion, weil er in den 1970er-Jahren gegen das sogenannte Busing war: Damals wurden in Kalifornien schwarze Kinder in Schulbussen in weiße Schulen gefahren, um die Rassentrennung zu überwinden. Kamala Harris war eines von ihnen – Biden, damals Senator, zählte zu den prominentesten Gegnern dieser Maßnahme. „Schmerzhaft“, schleuderte Harris Biden entgegen, sei damals auch sein Lob für und seine Zusammenarbeit mit zwei rassistischen Senatoren gewesen. Biden geriet in Erklärungsnot. Die „New York Times“schrieb vom „vielleicht dramatischsten Moment“der frühen demokratischen TV-Debatten.
Ihre scharfe Zunge und das rhetorische Geschick, das Harris ins Rampenlicht katapultierte, brachten ihrer eigenen Präsidentschaftsbewerbung zwar nicht den gewünschten Erfolg: Schon im Dezember stieg sie aus und schaffte es damit nicht einmal bis zum Start der Vorwahlen Anfang Februar in Iowa. Die Fähigkeiten aber werden ihr (und Biden) in der Wahlschlacht der nächsten Monate noch sehr zugute kommen. Einschüchtern lässt sich die 55-Jährige jedenfalls nicht – im Gegenteil. „Ich weiß, wie man mit Raubtieren umgeht“, sagte Harris einmal über sich selbst. Bei einer Senatsanhörung zum sogenannten Mueller-Bericht vergangenes Jahr kam selbst Justizminister William Barr durch ihre harten Fragen ins Straucheln.
Aktivismus liegt in der Familie
Politischer Aktivismus ist Harris praktisch in die Wiege gelegt worden. 1964 als Tochter eines aus Jamaika stammenden Wirtschaftsprofessors und einer Krebsforscherin aus Indien in Kalifornien geboren, wurde sie von ihren Eltern schon im Kinderwagen auf Protestmärsche für Wahl- und Bürgerrechte an die Berkeley-Universität mitgenommen. Die Familie hielt Kontakt zu führenden Köpfen der Bürgerrechtsbewegung, wöchentlich wurde in einer Studiengruppe über Schriften schwarzer Autoren debattiert, wie die „New York Times“schreibt – von Anti-Apartheid-Aktivisten in Südafrika bis zu Malcolm X.
Ihre Mutter sei mit einem Gerechtigkeitssinn geboren worden, der sich in ihre Seele eingebrannt habe, sagt Harris. Auch das ein Familienerbe: Ihre Großeltern mütterlicherseits kämpften schon in Indien gegen die Kolonialherrschaft der Briten und engagierten sich für Schwangerschaftsverhütung in armen Dörfern auf dem Land.
Harris selbst wuchs in der schwarzen Gemeinde in Oakland auf, sang mit ihrer Schwester im Chor einer schwarzen Kirche, verbrachte die Nachmittage in einem schwarzen Kulturzentrum. In der ersten Klasse wurde Harris Teil jenes „Busing“-Pilotprojekts, das zu der Konfrontation mit Joe Biden Jahrzehnte später führte.
Veränderung aus dem System heraus
Nach der Schulzeit entschied sich Harris bewusst dafür, Staatsanwältin zu werden – gerade „weil ich das Kind von Menschen bin, die, wie jene heute, auf den Straßen marschierten und Gerechtigkeit verlangten“. Innerhalb des Systems, so das Kalkül, müsse sie nicht um Erlaubnis fragen, um Dinge zu verändern. Politik und Wirtschaft studierte sie dann an der afroamerikanischen Howard University in Washington, Jus an der University of California, Hastings College of the Law.
Nach Zwischenstationen beim Staatsanwalt von Alameda County und in San Francisco kandidierte sie 2003 schließlich erfolgreich als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco – in einer Kampfkandidatur gegen ihren früheren Boss und den Amtsinhaber, Terence Hallinan. Als dieser über eine Einflussnahme ihres Exfreundes Willie Brown, zu dieser Zeit Bürgermeister der Stadt, spekulierte, drohte sie ihm recht unverhohlen mit Korruptionsermittlungen. Hart zuzuschlagen, sagen Freunde, habe Harris in San Francisco gelernt.
Hart, ehrgeizig, ausdauernd
Es ist wohl auch diese Härte kombiniert mit enormem Ehrgeiz und einem starken Durchhaltewillen, was ihr erlaubt hat, sich immer wieder durchzusetzen. 2011 wurde Harris als erste Frau und erste Schwarze Generalstaatsanwältin und Justizministerin von Kalifornien. Sechs Jahre später zog sie für den bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA in den Senat ein, als zweite afroamerikanische Frau in der Geschichte.
Dass Harris gleichzeitig den Ruf hat, vorsichtig zu sein und nur gut durchdachte Entscheidungen zu fällen, ist ihr in ihrer Karriere immer wieder vorgeworfen worden. So sagen Kritiker, sie habe notwendige Polizeireformen in Kalifornien (wo sie sich stolz als „Top Cop“bezeichnete) zu langsam in Angriff genommen.
Privat ist Harris leidenschaftliche Köchin; Rezepte präsentierte sie auch schon auf YouTube. Sie hört Hip-Hop und ist seit 2014 mit einem Anwalt aus New York verheiratet. Für ihren Angriff auf Joe Biden bei der TV-Debatte hat sich Harris übrigens nie entschuldigt – obwohl das Team des Präsidentschaftskandidaten darauf gedrängt haben soll. Ihr Argument: „Es war eine Debatte!“So laufe das eben.