„Upskirting wird bald eine Straftat sein“
Interview. Türkis-Grün hat sich geeinigt: Wer Frauen ohne Einwilligung unter den Rock fotografiert, dem droht bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Ministerin Susanne Raab (ÖVP) über gleichberechtigte Familien und ein Jahrzehnt Integrationspolitik.
Die Presse: Frauen erleben durch Corona eine massive Mehrbelastung, vor allem durch die Kinderbetreuung. Hat das Virus Österreich in Sachen Gleichstellung zurückgeworfen – oder war das Land einfach nie so weit? Susanne Raab: Mir ist wichtig zu sagen: Wir lassen uns als Frauen durch die Coronakrise nicht zurückwerfen. Österreich hat noch einen weiten Weg zu gehen, was die vollkommene Gleichberechtigung von Mann und Frau betrifft. Aber wir tun jetzt alles dafür, langfristige Belastungen durch Corona für Frauen abzufedern.
Macht es Sie stolz, wie viel Frauen stemmen? Oder wütend?
Ich wünsche mir für jede Partnerschaft, dass sie gleichberechtigt ist. Meine Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Zum Beispiel mit dem automatischen Pensionssplitting: Der berufstätige Elternteil lässt demjenigen, der in der Kinderbetreuung arbeitet, Pensionszeiten zukommen.
Es gibt aber die Sorge, dass das Pensionssplitting die Rollenbilder weiter verfestigt. Die Frau bleibt dadurch weiter zu Hause. Das Pensionssplitting baut auf dem Gedanken der Gleichberechtigung auf. Jede Familie organisiert sich selbst, und der Staat gestaltet Grundlagen, damit es keine negativen Auswirkungen für Frauen gibt. Pensionssplitting ist ein gesellschaftspolitischer Meilenstein, der für Frauen langfristig wirkt – wie auch unser Paket „Hass im Netz“.
Die Verhandlungen in dem Bereich ziehen sich aber noch.
Das Gesamtpaket ist noch in der finalen Phase der Verhandlungen. Beim Upskirting-Verbot haben wir uns aber geeinigt.
Wie denn? Zu Beginn war unklar, ob das Fotografieren oder die Veröffentlichung verboten wird. Mir war ein starkes Verbot wichtig: Upskirting ist leider ein Riesenproblem, das zeigen uns die Zahlen. Deswegen soll bereits das unbefugte, absichtliche Fotografieren oder Filmen ohne Einwilligung einer Person mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe sanktioniert werden.
Im Vorfeld gab es die Befürchtung, man könne kein Foto mehr im Schwimmbad machen.
Das ist natürlich nicht der Fall. Wir wollen junge Mädchen und Frauen aber in ihrer körperlichen Integrität schützen. Und sicherstellen, dass nichts entblößt wird, das sie verhüllen – auch nicht die Brust. Es geht darum, dass absichtlich beispielsweise unter den Rock fotografiert wird, ohne dass es eine Frau weiß. Und ein solches Foto dann womöglich auch noch verbreitet wird.
Sie haben Zahlen erwähnt. Wie sehen hier die Fallzahlen aus? Unsere letzte Studie beschäftigte sich mit Hass im Netz und Herabwürdigungen. 30 Prozent der Frauen und Mädchen wurden demnach Opfer von Hass im Netz. Und junge Mädchen sind drei Mal so oft Opfer wie junge Burschen.
Frauen können also Upskirting bald anzeigen. Laut Regierungsprogramm soll es besonders geschulte Polizistinnen in jeder Inspektion für sensible Bereiche geben. Gibt es konkrete Pläne? Genau, Upskirting wird bald eine Straftat sein. Der Innenminister und ich wollen viele Polizistinnen an jeder Inspektion. Wenn es zu sehr sensiblen Delikten kommt, braucht es Ansprechpartnerinnen. Das ist sehr wichtig, gerade wenn ich an den Bereich häusliche Gewalt oder Sexualstraftaten denke. Wir arbeiten auch am Ausbau von Gewaltschutzbeauftragten in der Polizei.
Gibt es einen Zeitplan?
Wir haben die Initiative bereits gestartet. Man muss Gewaltschutz aber schon bei der Ausbildung verstärkt zu einem zentralen Element machen und Kriterien für einen höheren Frauenanteil definieren. der Pflege arbeiten, benötigen einen pflegefreien Tag pro Monat.
Das ändert aber nichts daran, dass vor allem Frauen pflegen. Die Familien treffen selbst die Entscheidungen. Ich wünsche mir aber natürlich zutiefst, dass es zu einer gleichberechtigten Aufteilung von unbezahlter Arbeit kommt. Eltern haben eine Vorbildfunktion und können Gleichberechtigung vorleben. Der Staat kann Gleichberechtigung nicht allein stemmen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Sie gelten als Expertin im Integrationsbereich. Als Sie als Ministerin auch die Frauenagenden erhielten, hat das manche überrascht. Fühlen Sie sich mittlerweile wohl mit dem Thema?
Ja. Es ist ein Thema, für das ich enorm viel Leidenschaft entwickle. Für mich war es überhaupt nicht verwunderlich. Ich habe als Sektionschefin schon einen Schwerpunkt gesetzt zur Stärkung von Frauen mit Migrationshintergrund, weil ich fest davon überzeugt bin, dass Frauen eine Schlüsselrolle in der Gesellschaft haben. Sie haben Einfluss im bildungspolitischen Bereich, im Wertebereich, auf die Kinder.
Zehn Jahre lang sind Sie mittlerweile für den Bereich Integration mitverantwortlich – auch an der Seite von Sebastian Kurz. Dennoch hört man oft von Ihnen, dass es nicht funktioniert. Sind Sie da selbst gescheitert?
In der Integration ist in den letzten zehn Jahren enorm viel passiert – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es wurden Strukturen geschaffen, es gibt mittlerweile neun Integrationszentren in Österreich. Es ist mittlerweile so: Wenn man sich in Österreich niederlässt, dann muss man einen Deutsch-, einen Wertekurs besuchen, es gibt Integrationsberatung. Wir haben in der Integration mit fünf Personen in einem kleinen Referat begonnen. Mittlerweile ist es eine Sektion.
Ist Integration dann womöglich eine Sache, die nicht zu lösen ist? In der Integration funktioniert vieles sehr gut. Ich sehe, was geleistet wird – sowohl von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich so bemühen, in Österreich Fuß zu fassen, Deutsch zu lernen, auf dem Arbeitsmarkt integriert zu werden, und genauso von Ehrenamtlichen. Da passiert wahnsinnig viel, auf das Österreich enorm stolz sein kann. Aber: Natürlich muss man ehrliche Integrationspolitik machen. Es wird sich ja nur dort etwas verbessern, wenn man die Dinge auch anspricht.
Sozialminister Rudolf Anschober will neu über ein Bleiberecht für rund 600 Lehrlinge verhandeln. Sie lehnen ein Bleiberecht ab – aber müssen Sie sich auf Verhandlungen einstellen?
Es gibt immer verschiedene Perspektiven. Es gibt immer auch die Perspektive des Einzelschicksals, und es gibt die Perspektive des gesamtgesellschaftlichen Gefüges. Wenn jemand einen negativen Asylbescheid bekommt, dann wird er das Land verlassen müssen, dabei werden wir auch bleiben.
Also auch, wenn es da um wenige Hundert Fälle geht.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, wir müssen alles tun, damit wir die Menschen, die aufgrund der Coronakrise arbeitslos geworden sind, in den Arbeitsmarkt integrieren. Als Integrationsministerin werde ich mich dabei auf die circa 36.000 arbeitslosen Asylberechtigten – also jene mit einem positiven Asylbescheid – fokussieren.