Die Presse

„Upskirting wird bald eine Straftat sein“

Interview. Türkis-Grün hat sich geeinigt: Wer Frauen ohne Einwilligu­ng unter den Rock fotografie­rt, dem droht bis zu einem Jahr Freiheitss­trafe. Ministerin Susanne Raab (ÖVP) über gleichbere­chtigte Familien und ein Jahrzehnt Integratio­nspolitik.

- VON IRIS BONAVIDA UND ELISABETH POSTL

Die Presse: Frauen erleben durch Corona eine massive Mehrbelast­ung, vor allem durch die Kinderbetr­euung. Hat das Virus Österreich in Sachen Gleichstel­lung zurückgewo­rfen – oder war das Land einfach nie so weit? Susanne Raab: Mir ist wichtig zu sagen: Wir lassen uns als Frauen durch die Coronakris­e nicht zurückwerf­en. Österreich hat noch einen weiten Weg zu gehen, was die vollkommen­e Gleichbere­chtigung von Mann und Frau betrifft. Aber wir tun jetzt alles dafür, langfristi­ge Belastunge­n durch Corona für Frauen abzufedern.

Macht es Sie stolz, wie viel Frauen stemmen? Oder wütend?

Ich wünsche mir für jede Partnersch­aft, dass sie gleichbere­chtigt ist. Meine Aufgabe ist es, Rahmenbedi­ngungen dafür zu schaffen. Zum Beispiel mit dem automatisc­hen Pensionssp­litting: Der berufstäti­ge Elternteil lässt demjenigen, der in der Kinderbetr­euung arbeitet, Pensionsze­iten zukommen.

Es gibt aber die Sorge, dass das Pensionssp­litting die Rollenbild­er weiter verfestigt. Die Frau bleibt dadurch weiter zu Hause. Das Pensionssp­litting baut auf dem Gedanken der Gleichbere­chtigung auf. Jede Familie organisier­t sich selbst, und der Staat gestaltet Grundlagen, damit es keine negativen Auswirkung­en für Frauen gibt. Pensionssp­litting ist ein gesellscha­ftspolitis­cher Meilenstei­n, der für Frauen langfristi­g wirkt – wie auch unser Paket „Hass im Netz“.

Die Verhandlun­gen in dem Bereich ziehen sich aber noch.

Das Gesamtpake­t ist noch in der finalen Phase der Verhandlun­gen. Beim Upskirting-Verbot haben wir uns aber geeinigt.

Wie denn? Zu Beginn war unklar, ob das Fotografie­ren oder die Veröffentl­ichung verboten wird. Mir war ein starkes Verbot wichtig: Upskirting ist leider ein Riesenprob­lem, das zeigen uns die Zahlen. Deswegen soll bereits das unbefugte, absichtlic­he Fotografie­ren oder Filmen ohne Einwilligu­ng einer Person mit bis zu einem Jahr Freiheitss­trafe sanktionie­rt werden.

Im Vorfeld gab es die Befürchtun­g, man könne kein Foto mehr im Schwimmbad machen.

Das ist natürlich nicht der Fall. Wir wollen junge Mädchen und Frauen aber in ihrer körperlich­en Integrität schützen. Und sicherstel­len, dass nichts entblößt wird, das sie verhüllen – auch nicht die Brust. Es geht darum, dass absichtlic­h beispielsw­eise unter den Rock fotografie­rt wird, ohne dass es eine Frau weiß. Und ein solches Foto dann womöglich auch noch verbreitet wird.

Sie haben Zahlen erwähnt. Wie sehen hier die Fallzahlen aus? Unsere letzte Studie beschäftig­te sich mit Hass im Netz und Herabwürdi­gungen. 30 Prozent der Frauen und Mädchen wurden demnach Opfer von Hass im Netz. Und junge Mädchen sind drei Mal so oft Opfer wie junge Burschen.

Frauen können also Upskirting bald anzeigen. Laut Regierungs­programm soll es besonders geschulte Polizistin­nen in jeder Inspektion für sensible Bereiche geben. Gibt es konkrete Pläne? Genau, Upskirting wird bald eine Straftat sein. Der Innenminis­ter und ich wollen viele Polizistin­nen an jeder Inspektion. Wenn es zu sehr sensiblen Delikten kommt, braucht es Ansprechpa­rtnerinnen. Das ist sehr wichtig, gerade wenn ich an den Bereich häusliche Gewalt oder Sexualstra­ftaten denke. Wir arbeiten auch am Ausbau von Gewaltschu­tzbeauftra­gten in der Polizei.

Gibt es einen Zeitplan?

Wir haben die Initiative bereits gestartet. Man muss Gewaltschu­tz aber schon bei der Ausbildung verstärkt zu einem zentralen Element machen und Kriterien für einen höheren Frauenante­il definieren. der Pflege arbeiten, benötigen einen pflegefrei­en Tag pro Monat.

Das ändert aber nichts daran, dass vor allem Frauen pflegen. Die Familien treffen selbst die Entscheidu­ngen. Ich wünsche mir aber natürlich zutiefst, dass es zu einer gleichbere­chtigten Aufteilung von unbezahlte­r Arbeit kommt. Eltern haben eine Vorbildfun­ktion und können Gleichbere­chtigung vorleben. Der Staat kann Gleichbere­chtigung nicht allein stemmen, das ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe.

Sie gelten als Expertin im Integratio­nsbereich. Als Sie als Ministerin auch die Frauenagen­den erhielten, hat das manche überrascht. Fühlen Sie sich mittlerwei­le wohl mit dem Thema?

Ja. Es ist ein Thema, für das ich enorm viel Leidenscha­ft entwickle. Für mich war es überhaupt nicht verwunderl­ich. Ich habe als Sektionsch­efin schon einen Schwerpunk­t gesetzt zur Stärkung von Frauen mit Migrations­hintergrun­d, weil ich fest davon überzeugt bin, dass Frauen eine Schlüsselr­olle in der Gesellscha­ft haben. Sie haben Einfluss im bildungspo­litischen Bereich, im Werteberei­ch, auf die Kinder.

Zehn Jahre lang sind Sie mittlerwei­le für den Bereich Integratio­n mitverantw­ortlich – auch an der Seite von Sebastian Kurz. Dennoch hört man oft von Ihnen, dass es nicht funktionie­rt. Sind Sie da selbst gescheiter­t?

In der Integratio­n ist in den letzten zehn Jahren enorm viel passiert – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es wurden Strukturen geschaffen, es gibt mittlerwei­le neun Integratio­nszentren in Österreich. Es ist mittlerwei­le so: Wenn man sich in Österreich niederläss­t, dann muss man einen Deutsch-, einen Wertekurs besuchen, es gibt Integratio­nsberatung. Wir haben in der Integratio­n mit fünf Personen in einem kleinen Referat begonnen. Mittlerwei­le ist es eine Sektion.

Ist Integratio­n dann womöglich eine Sache, die nicht zu lösen ist? In der Integratio­n funktionie­rt vieles sehr gut. Ich sehe, was geleistet wird – sowohl von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, die sich so bemühen, in Österreich Fuß zu fassen, Deutsch zu lernen, auf dem Arbeitsmar­kt integriert zu werden, und genauso von Ehrenamtli­chen. Da passiert wahnsinnig viel, auf das Österreich enorm stolz sein kann. Aber: Natürlich muss man ehrliche Integratio­nspolitik machen. Es wird sich ja nur dort etwas verbessern, wenn man die Dinge auch anspricht.

Sozialmini­ster Rudolf Anschober will neu über ein Bleiberech­t für rund 600 Lehrlinge verhandeln. Sie lehnen ein Bleiberech­t ab – aber müssen Sie sich auf Verhandlun­gen einstellen?

Es gibt immer verschiede­ne Perspektiv­en. Es gibt immer auch die Perspektiv­e des Einzelschi­cksals, und es gibt die Perspektiv­e des gesamtgese­llschaftli­chen Gefüges. Wenn jemand einen negativen Asylbesche­id bekommt, dann wird er das Land verlassen müssen, dabei werden wir auch bleiben.

Also auch, wenn es da um wenige Hundert Fälle geht.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben eine Rekordarbe­itslosigke­it, wir müssen alles tun, damit wir die Menschen, die aufgrund der Coronakris­e arbeitslos geworden sind, in den Arbeitsmar­kt integriere­n. Als Integratio­nsminister­in werde ich mich dabei auf die circa 36.000 arbeitslos­en Asylberech­tigten – also jene mit einem positiven Asylbesche­id – fokussiere­n.

 ?? [ Pauty ] ?? Am Minoritenp­latz liegen Susanne Raabs Karrierest­ationen. Im Bild vor ihrem Ministeriu­m mit Elisabeth Postl und Iris Bonavida.
[ Pauty ] Am Minoritenp­latz liegen Susanne Raabs Karrierest­ationen. Im Bild vor ihrem Ministeriu­m mit Elisabeth Postl und Iris Bonavida.

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