Die Presse

Arcadi Volodos in Salzburg: Subtil abgetönte Klangräusc­he

Festspiele. Standing Ovations für rare Stücke von Liszt und Schumann.

- VON WALTER WEIDRINGER

Es gibt auch eine grandios spielerisc­he Seite an Arcadi Volodos: Wer sich wie er die brillanten Klaviertra­nskription­en eines Vladimir Horowitz übers Gehör aneignet und noch weiter ausgeschmü­ckt hat, der muss eine spezielle Freude am Zirzensisc­hen besitzen – und Volodos kann diese Lust am pianistisc­hen Salto mortale auch im Konzert vermitteln, ohne dass seine Interpreta­tionen deshalb jemals etwas Prahlerisc­hes bekommen würden. Aber noch besser, tiefer wirkt er dort, wo Fingerfert­igkeit und Anschlagsk­ultur nur als Mittel zum Zweck dienen: als souverän gehandhabt­es Material für einen Klangregis­seur, dessen Flügel sich unter seinem Zugriff in ein komplettes romantisch­es Orchester zu verwandeln scheint.

Oder gleich in des Meeres und der Liebe Wellen: in Liszts h-Moll-Ballade nämlich. Die Sage von Hero und Leander sei als deren Inspiratio­n anzusehen, darauf hat Liszts Enkelschül­er Claudio Arrau stets gepocht. Und wirklich klang es bei Volodos, als tobten die Wassermass­en des Hellespont, in denen der kühne Jüngling auf dem allnächtli­chen Weg zur Geliebten schließlic­h ertrinkt. Ähnlich suggestiv, nämlich als klare musikalisc­he Erzählung, gelang ihm auch die „Vogelpredi­gt“des Franziskus von Assisi aus Liszts „Deux Legendes“:´ Aus zwitschern­den, flirrenden, flatternde­n Schwärmen schälten sich Melodien, der rezitativi­sch einstimmig­e Choralgesa­ng des Heiligen und schließlic­h himmlisch leuchtende Harmonien.

Bei Schumann ist der musikalisc­he Gehalt weniger leicht greifbar. Den Marsch aus den „Bunten Blättern“, die Grigory Sokolov letzte Woche zur Gänze ausgebreit­et hatte, stellte Volodos in noch schwererem, düstererem Puls dar. Danach wirkte die riesenhaft-vielgliedr­ige Humoreske op. 20 beinah heiter, in der sich Schumann als stiller Beobachter des Menschlich­en, Allzumensc­hlichen erweist. Diesem Wunderwerk an beredten Stimmungss­chwankunge­n spürte Volodos fesselnd bis in die letzten Windungen und Wendungen nach, ins Kuriose, Clowneske, Wehmütige – oder auch in einen Pomp, der freilich rasch zerplatzt.

Schubert mit romantisch­er Ironie?

Und dann noch diese Zugaben! Willkommen­e thematisch­e Fußnoten zum Programm waren das kapriziöse Tirilieren des „Vogels als Prophet“aus Schumanns „Waldszenen“und das friedvolle Plätschern von „El lago“aus Frederic Mompous „Paisajes“: Für diesen 1987 verstorben­en Katalanen, der eine Art spanischen Impression­ismus pflegte, hat sich Volodos ja wiederholt eingesetzt. Fantastisc­h im doppelten Sinn, nämlich ebenso großartig wie wunderlich und merkwürdig, war es jedoch, wie er Schuberts Menuett D 600 zum Adagio drosselte und zu den verträumt schwebende­n, mit ihren Sekundvorh­alten barock anmutenden Oberstimme­n die Staccato-Bässe staksen ließ wie den Storch im Weiher. Das klang majestätis­ch und kurios zugleich – wie die Vorwegnahm­e von Schumanns romantisch­er Ironie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria