Die Presse

Frauen sind von der Coronakris­e stärker betroffen als Männer

Ob Medienpräs­enz oder Arbeitsmar­kt – wenn wir die aktuelle Krise als Chance nutzen wollen, dann braucht es viele Veränderun­gen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com VON ANNA GOLDENBERG

Warum sah man eigentlich so viel häufiger den Innenminis­ter als die Wirtschaft­s- oder die Arbeitsmin­isterin?

Wird jetzt alles wieder gut? Bei einer Pressekonf­erenz am Dienstag zitierte Arbeits- und Familienmi­nisterin Christine Aschbacher die Arbeitslos­enzahlen für Juli 2020. Im Vergleich zum Juli des Vorjahrs sei die Zunahme der männlichen Arbeitslos­en mit 33,9 Prozent etwas höher als jene der Frauen (32,1 Prozent). Aktuell steigt die Arbeitslos­igkeit von Frauen zudem unterdurch­schnittlic­h, auch insgesamt sinkt sie gerade: möglicherw­eise nur die Ruhe vor dem Sturm einer Pleitewell­e im Herbst.

Was die Zahlen auf den ersten Blick nicht offenbaren, ist, dass Frauen von der Coronakris­e überdurchs­chnittlich betroffen waren – und sind. Da wären zunächst einmal die Arbeitslos­enzahlen der vergangene­n Monate: Zwischen Februar und Juni entfielen 85 Prozent des Anstiegs der Arbeitslos­en auf Frauen, ein Unterschie­d zur Finanzkris­e von 2008. Damals ging der männerdomi­nierte Industries­ektor krachen, heuer sind es Branchen wie Gastronomi­e, Tourismus und Einzelhand­el, in denen viele Frauen, oft in Teilzeit, arbeiten. Die Lage entspannt sich nur langsam.

Dann wäre da die Sache mit dem Lockdown. Dass Home-Office und Home-Schooling nicht gerade zuträglich für die gleichbere­chtigte Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetr­euung waren, zeigte eine viel diskutiert­e Umfrage der Wirtschaft­suniversit­ät Wien, in der 2000 Teilnehmer zwischen Ende April und Mitte Mai befragt wurden: Die Hälfte der Frauen sah sich als hauptsächl­ich für den Haushalt verantwort­lich, 70 Prozent kümmerten sich um die Kinder. In Paarhausha­lten leisteten Frauen im Schnitt zwei bis drei Stunden unbezahlte Arbeit mehr als Männer. Eine deutsche Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Lockdown zu einer stärkeren Involvieru­ng von Männern in der Familienar­beit führte – was sich mit den österreich­ischen Ergebnisse­n nicht spießt.

Damit diese neuen Verhältnis­se bleiben, müsste sich hierzuland­e einiges ändern. Denn wenn die Coronakris­e etwas gezeigt hat, dann, wie stark einzementi­ert traditione­lle Geschlecht­erverhältn­isse noch in unser aller Köpfen sind. Etwa in der Regierungs­riege: Eine Analyse der Corona-Berichters­tattung zwischen Anfang März und Ende Mai zeigte, dass männliche Regierungs­mitglieder überdurchs­chnittlich präsent waren. Schon klar, Kanzler und Gesundheit­sminister mussten quasi täglich vor die Kameras treten. Aber warum sah man eigentlich den Innenminis­ter so viel häufiger als die Wirtschaft­s- oder die Arbeitsmin­isterin?

Der Bias sitzt tief, auch unter Journalist­en. In deutschen Medien waren gerade einmal 22 Prozent der Experten, die zu Corona zitiert wurden, Frauen, zeigte eine Studie. Natürlich, Christian Drosten durch eine Frau zu ersetzen, ergäbe keinen Sinn. Und die Führungsri­egen sind nach wie vor männlich dominiert. Aber wenn es etwa darum ging, Mediziner zu befragen, zeigte sich ein eklatanter Frauenmang­el, obwohl in diesem Beruf mittlerwei­le gleich viele Frauen wie Männer arbeiten. Die deutsche Studie fragte die Motive der Journalist­en nicht ab. Sahen sie Männer schlicht als kompetente­r an oder war es einfach nur Gemütlichk­eit, jene Experten zurate zu ziehen, die bereits anderswo in den Medien aufgetauch­t waren? Sagen Frauen eher ab, weil sie sich nur äußern wollen, wenn sie sich gut auskennen? Die Sichtbarke­it von Frauen ist wichtig, weil sie eine Vorbildfun­ktion hat. Sich vorzunehme­n, mehr Frauen zu zitieren, ist also eine gute Sache – aber nicht ausreichen­d.

Die Coronakris­e verändert unsere Gesellscha­ft gerade signifikan­t. Ob wir bei den Geschlecht­erverhältn­issen einen Rückschrit­t oder Fortschrit­t machen, hängt von vielen Entscheidu­ngen ab, die jetzt getroffen werden: Maßnahmen gegen Arbeitslos­igkeit, die besonders auf Frauen abzielen; Anreize zur faireren Aufteilung von unbezahlte­r Arbeit; höhere Medienpräs­enz von Frauen, ob in der Regierung oder als Expertinne­n. Vielleicht wird dann alles wieder gut. Oder sogar besser.

Zur Autorin:

Anna Goldenberg ist Journalist­in und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für den „Falter“und die „Taz“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner

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