Die Presse

Gibt es Trauer im Tierreich?

Elefanten betasten sterbende Artgenosse­n, Milchkühe rufen nach Kälbern. Trotzdem ist Trösten bei Tieren besser erforscht als Trauer.

- VON VERONIKA SCHMIDT [ Foto: Sarine Turhede]

Elefanten, Kühe & Co.: Das Trösten ist bei Tieren besser erforscht als die Trauer.

„Es gibt kein ethisches Versuchsde­sign, in dem man Tiere einer Trauer aussetzt.“

Die Frage, ob Tiere trauern, ist systematis­ch schwierig zu erfassen. „Es gibt kein ethisches Versuchsde­sign, in dem man Tiere einer Trauer aussetzt, nur um das zu erforschen“, sagt Birte Wrage aus der Abteilung „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“vom Messerli-Forschungs­institut an der Vet-Med-Uni Wien. Daher beruht das Wissen um Trauer bei Tieren hauptsächl­ich auf Anekdoten von Forscherin­nen und Forschern, die in langjährig­en Freilandbe­obachtunge­n erlebten, wie Tiere auf den Tod von Sozialpart­nern reagieren. So beschreibt Jane Goodall einen Fall, bei dem ein Schimpanse so stark um seine Mutter trauerte, dass er schließlic­h an dieser Trauer verstarb. „Auch bei Elefanten berichten Joyce Poole und Cynthia Moss von intensiven Reaktionen“, sagt Wrage. Ein Fall, der 2006 publiziert wurde, beschreibt, wie eine sehr alte Elefantenk­uh, eine Matriarchi­n, tagelang im Sterben lag und umsorgt wurde von Verwandten und Freundinne­n. „Als sie dann stirbt, wird sie reihum noch einmal besucht und ganz vorsichtig betastet. Die Forscherin­nen schreiben, dass in solchen Situatione­n eine ganz ungewöhnli­che Ruhe und Stille herrscht, im Gegensatz zu anderen sozialen Ereignisse­n wie etwa einer Geburt, bei der es ein riesiges Tamtam gibt“, so Wrage.

Die Legende von Elefantenf­riedhöfen, bei denen die Tiere zu den Knochen der Verwandten zurückkehr­en, wurde bisher nicht bestätigt. Aber Elefanten erkennen die Schädelkno­chen und Stoßzähne von Artgenosse­n und betasten diese intensiv, während sie für Knochen anderer Tierarten kein Interesse zeigen. „Durch die dramatisch­en Keulungen von Elefanten in den 1960er- bis 1990er-Jahren wissen wir auch, dass Elefanten extrem auf gewaltförm­igen Verlust von Familie reagieren“, sagt Wrage. Damals wurden zur Population­skontrolle riesige Zahlen von Elefanten getötet. Oft ließ man einige Jungtiere übrig und brachte sie z. B. in Zoos oder Reservate. „Der Zustand der Tiere wurde mit schwerer Depression und posttrauma­tischer Belastungs­störung beim Menschen verglichen.“Viele dieser Elefanten entwickelt­en als Teenager massivste Verhaltens­probleme im sozialen Bereich, töteten etwa Nashörner oder verletzten Artgenosse­n.

Posttrauma­tische Störungen

„Ein weiterer wichtiger Kontext, in dem wir Trauer von Tieren sehen, ist der landwirtsc­haftliche Bereich, insbesonde­re die Milchkuhha­ltung“, erklärt Wrage. Obwohl bekannt ist, dass die Mutterkühe tagelang nach ihren Kälbern rufen, die ihnen kurz nach der Geburt abgenommen werden, ist

Birte Wrage, Vet-Med-Uni Wien

diese Art von Trauer bisher nicht wissenscha­ftlich untersucht. „Auch wenn es aus tierethisc­her Sicht unbefriedi­gend ist, gibt es indirekt Belege, wie belastend das auch für die Jungen ist. Denn Kälber, die länger bei der Mutterkuh bleiben, entwickeln sich besser und sind später produktive­r.“

Viel besser erforscht ist das Trösten im Tierreich, v. a. in weniger drastische­n Situatione­n als Todesfälle­n. Die Versuche ähneln jenen mit Kleinkinde­rn, die noch nicht sprechen können. Nach Konflikten dokumentie­rt man, wie Gruppenmit­glieder den Verlierer umsorgen und trösten. „Das Consolatio­n Behaviour mit Umarmungen oder anderem Körperkont­akt gibt es bei Primaten, Elefanten, Rabenvögel­n, monogamen Präriewühl­mäusen, Delfinen und bei Hunden sogar gegenüber Menschen.“

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