Gibt es Trauer im Tierreich?
Elefanten betasten sterbende Artgenossen, Milchkühe rufen nach Kälbern. Trotzdem ist Trösten bei Tieren besser erforscht als Trauer.
Elefanten, Kühe & Co.: Das Trösten ist bei Tieren besser erforscht als die Trauer.
„Es gibt kein ethisches Versuchsdesign, in dem man Tiere einer Trauer aussetzt.“
Die Frage, ob Tiere trauern, ist systematisch schwierig zu erfassen. „Es gibt kein ethisches Versuchsdesign, in dem man Tiere einer Trauer aussetzt, nur um das zu erforschen“, sagt Birte Wrage aus der Abteilung „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“vom Messerli-Forschungsinstitut an der Vet-Med-Uni Wien. Daher beruht das Wissen um Trauer bei Tieren hauptsächlich auf Anekdoten von Forscherinnen und Forschern, die in langjährigen Freilandbeobachtungen erlebten, wie Tiere auf den Tod von Sozialpartnern reagieren. So beschreibt Jane Goodall einen Fall, bei dem ein Schimpanse so stark um seine Mutter trauerte, dass er schließlich an dieser Trauer verstarb. „Auch bei Elefanten berichten Joyce Poole und Cynthia Moss von intensiven Reaktionen“, sagt Wrage. Ein Fall, der 2006 publiziert wurde, beschreibt, wie eine sehr alte Elefantenkuh, eine Matriarchin, tagelang im Sterben lag und umsorgt wurde von Verwandten und Freundinnen. „Als sie dann stirbt, wird sie reihum noch einmal besucht und ganz vorsichtig betastet. Die Forscherinnen schreiben, dass in solchen Situationen eine ganz ungewöhnliche Ruhe und Stille herrscht, im Gegensatz zu anderen sozialen Ereignissen wie etwa einer Geburt, bei der es ein riesiges Tamtam gibt“, so Wrage.
Die Legende von Elefantenfriedhöfen, bei denen die Tiere zu den Knochen der Verwandten zurückkehren, wurde bisher nicht bestätigt. Aber Elefanten erkennen die Schädelknochen und Stoßzähne von Artgenossen und betasten diese intensiv, während sie für Knochen anderer Tierarten kein Interesse zeigen. „Durch die dramatischen Keulungen von Elefanten in den 1960er- bis 1990er-Jahren wissen wir auch, dass Elefanten extrem auf gewaltförmigen Verlust von Familie reagieren“, sagt Wrage. Damals wurden zur Populationskontrolle riesige Zahlen von Elefanten getötet. Oft ließ man einige Jungtiere übrig und brachte sie z. B. in Zoos oder Reservate. „Der Zustand der Tiere wurde mit schwerer Depression und posttraumatischer Belastungsstörung beim Menschen verglichen.“Viele dieser Elefanten entwickelten als Teenager massivste Verhaltensprobleme im sozialen Bereich, töteten etwa Nashörner oder verletzten Artgenossen.
Posttraumatische Störungen
„Ein weiterer wichtiger Kontext, in dem wir Trauer von Tieren sehen, ist der landwirtschaftliche Bereich, insbesondere die Milchkuhhaltung“, erklärt Wrage. Obwohl bekannt ist, dass die Mutterkühe tagelang nach ihren Kälbern rufen, die ihnen kurz nach der Geburt abgenommen werden, ist
Birte Wrage, Vet-Med-Uni Wien
diese Art von Trauer bisher nicht wissenschaftlich untersucht. „Auch wenn es aus tierethischer Sicht unbefriedigend ist, gibt es indirekt Belege, wie belastend das auch für die Jungen ist. Denn Kälber, die länger bei der Mutterkuh bleiben, entwickeln sich besser und sind später produktiver.“
Viel besser erforscht ist das Trösten im Tierreich, v. a. in weniger drastischen Situationen als Todesfällen. Die Versuche ähneln jenen mit Kleinkindern, die noch nicht sprechen können. Nach Konflikten dokumentiert man, wie Gruppenmitglieder den Verlierer umsorgen und trösten. „Das Consolation Behaviour mit Umarmungen oder anderem Körperkontakt gibt es bei Primaten, Elefanten, Rabenvögeln, monogamen Präriewühlmäusen, Delfinen und bei Hunden sogar gegenüber Menschen.“